laut.de-Kritik
NDH-Heldenrock mit stolz wehender Bierfahne.
Review von Ulf KubankeVom Tellerwäscher zum Millionär? Vom Underdog zum Chartstürmer? Solche Geschichten lieben Volk und Feuilleton gleichermaßen. Zuletzt zeigten Goitzsche Front mit "Deines Glückes Schmied" allen Mitbewerbern auf die Pole Position der Charts eine lange Nase. Alles scheint fabelhaft in dieser Story.
"Wir stehen derbe unter Strom und hol'n den dicken Hammer raus." Das ist musikalisch wie ästhetisch ein durchaus eingelöstes Versprechen. Geschickt mischen Goitzsche Front einen Brei, der bei Fans in Eckkneipen ebenso gut funktioniert wie in Stadien. Es ist etwas mehr Deutschrock, um in der reinen NDH-Schublade zu landen. Zugleich ist aber genug teutonischer Stahl am Start, um in Metal- und NDH-Szene Akzeptanz zu finden. Wer es braucht, bekommt es mundgerecht.
"Du bist ein Kerl wie man ihn kennt." Auch das ist wahr. Denn neu ist am Konzept nichts. Das wäre nicht schlimm, böte die Szenekonformität der Platte ein musikalisch eigenes Profil. An diesem Front-Abschnitt wird es allerdings recht eng. Der Gesang zieht einmal mehr die frei.wilde Onkel-Karte zwischen Rauhbein und Ork. Das Songwriting ist melodisch wie strukturell höchst überschaubar und rettet sich meist mit stereotypen Gröhl-Refrains ins Ziel. Wer auf Individualität oder gar ein Alleinstellungsmerkmal hofft, landet bei den Bitterfeldern im ganz bitteren Feld.
Handwerklich jedoch kann man ihnen nichts vorwerfen: Blitzsauber, druckvoll arrangiert und clever produziert spielen sie ihren Springerstiefel herunter. Besonders ihr Faible, hymnischen Midtempo-Rock phasenweise gen Punk-Geschwindigkeit, Speed- oder Powermetal hoch zu fahren, ist nicht ohne. Schade, dass die guten Ansätze sich in Stromgitarrenschlagern verlieren und dem Klischee unterordnen.
Eben dieses Klischee füttern Goitzsche Front besonders textlich in szenetypischer Rollenverteilung. Männerbündlerische Parolen, so abgestanden wie hundertfach wiederholte Witze, geben die stramme Marschrichtung vor. "Wir gehen euch richtig auf den Sack / Des einen Freud, des anderen Leid / Euer Spott ist unser Brot / Unser Lohn ist euer Neid". Auch sonst fehlt im Verlauf der Scheibe kein einziger Schlüsselbegriff zur x-fach totgerittenen "Lieber stehend knien als lebend sterben!"-Clownerie.
Damit geht schlussendlich jegliches Provokationspotential flöten und die Goitzsche Front reduziert sich zur Gähnschen Front. Etwas Unterricht bei ranghohen Provo-Ikonen wie Front 242 ("Kampfbereit", "Funkahdafi") oder O.H.L. könnte helfen. Doch genau diese ohne Not erwählte Selbstlimitierung ist ärgerlich, weil sie den Blick von durchaus vorhandenen Zwischentönen ablenkt.
So wäre etwa gegen ihre sozialromantisch postulierte Heimatliebe (u.a. "Meine Stadt") nichts zu sagen; erst recht nicht, wenn man aus so einem gebeutelten und infrastrukturell vernachlässigten Flecken stammt wie diese vier Musiker. Doch im obigen Zusammenhang verkommt ihr Pathos Marke Caspar David Friedrich leider zu Kasperle und die stolze Flagge zur Bierfahne.
12 Kommentare mit 41 Antworten
Liebe Redaktion, könntet ihr im Sinne des allgemeinen Friedens und zugunsten interessanterer Künstler/Releases bitte damit aufhören, euren treuen Lesern diese jüngste Ladung belangloser NDH Bands in den Rachen zu stopfen? Danke!
ey komm, das bandfoto von diesem ronnytreff war locker das witzigste, das ich heute gesehen hab. Außerdem sind das schöne reviews, muss sich ja auch keiner wirklich anhören
Mein Seelenfrieden ist dir wohl egal? Natürlich muss ich mir das nicht anhören - die reine Existenz ist ein Affront!
"Der Osten rockt."
Sehr sympathische Junx, würde spontan 5/5 geben.
ab in die Mülltonne ! 1/5
ist blos immer interessant das solche bands wie diese plus Ostfront und co. hier den meisten wind entfachen. scheinbar ist das restliche Gedöns hier des schreibens nicht wert, so das ein jeder der NDH vermutet unter seinem stein hervorkriecht und seinen dreck zum besten gibt. 5 Sterne.
Ich hätte gerne einen Meilenstein für "Scheisse, erst ab 18 jahren" von den arschgefickten gummizofen, welches unbestrittenen eines der besten deutschsprachigen Punkalben ist. Vllt sogar das beste!
ich gehöre meilensteinmäßig zu jener fraktion, die denkt, ein meilenstein sollte - schon seines namens nach - irgendwas musikhistorisch gerissen haben. deshalb habe ich zuletzt auch sachen wie alan parsons, roxy music oder morricone für meinen dortigen strang erwählt.
so sehr ich dir auf der privaten nerdy ebene geneigt wäre , da zu folgen. aus meiner sicht ginge im deutschpunkigen ursegment dann schon eher die mutter aller anzüglichkeiten in form des "dauerlutscher" v d strassenjungs. das war aus seiner zeit heraus betrachtet ein echter aufreger.
unter uns, torque: haste dich schonmal mit dem komplett kaputten - aber ebenso genialen - kiev stingl auseinandergesetzt? das solltest du tun. wird dir gefallen.
auf "hart wie mozart" hat er alle möglichen genormten wie abnormen sexuellen tirebe dokumentiert und bereits 1979 den deutschen new wave erfunden. so eine platte - produziert vom unterschätzten achim reichel - wäre heute undenkbar, weil stingl - wie laibach später - alles per methode "überidentifikation" bringt. ich sag nur "liba diva". definitiv einer der besten lyriker und songtexter, die es hierzulande je in den letzten 50 jahren gab.
auf "ich wünsch' den deutschen alles gute" ist er dann total im anus. der hat ja jede verfügbare droge genommen. aber auch große nummer das album. ich sage nur "einsam weiss boys".
auch als schauspieler war der toll. definitiv einer der den deutschen postpunk miterfand und verkörperte.
"lila diva"
+1 für die strassenjungs, auch wenn die zofen natürlich den weitaus schmückenderen namen haben.
2002 über Kazaa viel geloadusert, die Zofen, wobei da fast immer "Kassierer" als Interpret stand.
Das Lied über Hans Meiser gefiel mir am besten.
Freddie das Meerschwein ♥