laut.de-Kritik
Dem Pathos, Kitsch und Drama mangelt es an dunkler Tiefe.
Review von Anne Nußbaum"Don't let go / Never give up, it's such a wonderful life" - Wem diese Zeilen in letzter Zeit nicht begegnet sind, dem sei gesagt: Du hast gerade einen riesig aufgeblähten Hype verpasst und bekommst in Sachen "Internetnutzung für junge Hipster" die Note ungenügend verpasst.
Zumindest, wenn es nach Musikmagazinen und Blogs dieser Welt geht, sind die Hurts der nächste heiße Scheiß. Mit ihrem aalglatten Look, der kühlen Ästhetik und der Schwarz-Weiß-Optik geistern die beiden pretty boys aus Manchester seit Wochen durch die öffentliche Wahrnehmung.
Die Inszenierung ist ihnen im jeden Fall gelungen: Mit ernstem Blick und Nasenkräuseln, strenger Stirnfalte und passgenau sitzenden Anzügen stürmen Theo Hutchcraft und Adam Anderson Webseiten und Frauenherzen. So setzt die internationale Musikjournaille dem Duo die Krone auf die akurat frisierten Häupter, bevor irgendwer die Platte durchgehört hat.
Es verwundert kaum, dass das Debüt unter so viel goldenem Schwergewicht strauchelt und die Erwartungshaltung nicht tragen kann. Wer sich dem Erstling der Briten widmet, stellt schnell fest, dass nicht ohne Grund ausgerechnet "Wonderful Life" und "Better Than Love" vorab im Internet landeten. Ohne Frage gehören sie zu den großen Momenten des Albums, das vor Synthiehymnen, Waveballaden und schwermutsschwangerem Pomp nur so trieft. Ein geschickter Schachzug immerhin: Die Platte ist tausendfach vorbestellt, die meisten Konzerte in Deutschland sind längst ausverkauft und in größere Säle verlegt.
Vielversprechend düster eröffnet "Silver Lining" zu pochendem Beat, hallender Stimme und bedeutungsschwangerem Piano. Mit Melodramatik in Sound und Lyrics üben sich Theo und Adam in der großen Popgeste. "When the world surrounds you I'll make it go away / Paint the sky with silver lining". So herrlich überzogen die Theatralik auf dem Opener noch klingen mag, so überspannt ist der Bogen spätestens bei "Illuminated" und "Evelyn". Man windet sich unter dem bombastischen Schwulst, den die Hurts mit ihrem effektüberladenen Sound kreieren.
Überbordend auch "Blood, Tears & Gold": Ein Schmachtfetzen par excellence, der fast schon Boybandcharakter aufweist, würden Hurts nicht doch zwischendurch immer wieder mit Synthie-Raffinessen überraschen. Auch die Texte tändeln zu aller Erleichterung nicht am Rande der Backstreet-Boys-Verblödung. Dabei beschäftigt die Briten durchaus vor allem Liebesschmerz: Dramaqueen Theo singt schwärmerisch von Hingabe und Trennung, von Durchhalten und Weitermachen. Dabei jammert er nicht, zerfließt nie in Selbstmitleid, sondern wahrt gefasste Haltung und glamouröse Pose.
Genau darum dreht sich auch die Single "Wonderful Life", die sich auf immer ins Gedächtnis brennt. Dezente Bläserklänge, ein ausgedehnter Synthieteppich, trippelnde Drum-Machine, schimmernder Vocoder und ganz viel Effekt, dazu Theos glasklare Stimme, machen den Kitsch perfekt. "Kisses burn like fire": So emotional und leidenschaftlich der Song gerät, so minimalistisch geben sich Theo und Adam im Clip: Die stoische Bewegungslosigkeit, die die beiden an den Tag legen, zitiert die Optik von Kraftwerk und Depeche Mode.
Überhaupt erweisen sich die Hurts als Fans der großen Synthie-Epoche: Ungehemmt referieren sie auf unvergessene Popmomente der 80er und klauben ihre Melodien aus Versatzstücken aus den Reihen der Pet Shop Boys, Soft Cell und Ultravox zusammen. Das mag man ihnen schwerlich vorwerfen: Recyceln können sie gut, schick zusammengeschnitten wie ihre Frisuren ist auch der Sound.
Zu triumphierendem Synthie und dicken Arpeggios verneigen sie sich auf "Better Than Love" vor Neil Tennant und Chris Lowe, werfen Bernard Sumner zwischendurch Blumen zu und machen Dave Gahan und Martin Gore auf "Silver Lining" einen Heiratsantrag.
Ein Augenzwinkern an Tears For Fears und einen freundschaftlichen Seitenhieb an Erasure können sich die Mancunians auch nicht verkneifen. Sie fahren lediglich das Tempo runter und distanzieren sich mit hochgeschraubtem Trash-Kitsch-Faktor deutlich von aktuellen Vertretern des Elektropop-Genre wie Hot Chip oder Cut Copy.
Das Duo bauscht seine Songs zu epischer Tragweite auf und verpackt sehnsuchtsvollen Weltschmerz in gestriegelte, glattgebügelte Synthie-Melodien, ohne die dunkle Tiefe von Depeche Mode zu erreichen. Trotzdem muss man sich vor so viel zwischen wehmütiger Eleganz und ungenierter Schmonzettenhaftigkeit tändelndem Manierismus fast auf die Knie werfen.
Warum die Hurts allerdings mehrheitlich als Heilsbringer des Synthpop gefeiert werden, bleibt unverständlich. Immerhin haben Delphic, We Have Band und Friendly Fires in den letzten Monaten und Jahren auch kaum etwas anderes getan, als New Order und Konsorten zu zitieren.
19 Kommentare
Mich hat diese Art von Musik und die dazugehörige Ästhetik schon von 25 Jahren gelangweilt. Damals war wenigstens der Sound neu. Der Look zwischen Fritz Langs Metropolis und Leni Riefenstahl hingegen schon damals nicht.
Ist also viel Hype um einen ganz alten Schuh.
Besserwisser
sehr wahr
Unheilig auf Englisch.
Wird sich leider in Deutschland verkaufen wie geschnitten Brot. Die mögen diesen Pathoskram.
@The Death Of Mr. Smith (« Review weg? »):
Bei mir auch.
Nach langer Zeit mal wieder ein Album, das ich mir gekauft habe. Perfekter 80er-Sound, nur ganz neu. Die Titel des Albums lassen sich leicht hören und haben teilweise eine sehr schöne, melancholische Stimmung.
Eingängige Songs, in denen man leicht versinken kann. Sollte sich die Band musikalisch weiterentwickeln, sehe ich da sehr großes Potenzial.
Ich seh mich jetzt genötigt, Hurts zu verteidigen, denn ich höre ihr Album sehr gerne. Es wirkt zwar so wie in den 80er Jahren entstanden und das macht den Sound auch aus. Allesamt Balladen, konnte mich eigentlich nur Water nicht überzeugen. Die Melancholie, die Trägheit, eine schöne Mischung.