laut.de-Kritik
Progressives Songwriting und eingängige Melodien.
Review von Michael EdeleZwei Jahre gingen seit der letzten Soloveröffentlichung des ehemaligen Emperor-Fronters Ihsahn ins Land. Fans sollten "AngL" noch in bester Erinnerung haben. Auch "After" enttäuscht zu keiner Sekunde. In Sachen Songwriting gibt es an der Scheibe nicht das Geringste auszusetzen - und doch reicht es nicht zur Höchstnote.
Das liegt eigentlich einzig und allein daran, dass sich Meister Ihsahn einmal mehr in Experimenten ergeht, die den Hörnerv oftmals überstrapazieren. Dafür zeichnet weitgehend Saxophonist Jorgen Munkeby (Shining) verantwortlich, der sich nicht auf passende Melodien, sondern auf dissonante akustische Verlautbarungen konzentriert. Das gerät mitunter so stressig, dass selbst Lisa Simpson ein Scheiß dagegen ist.
Saxophon halte ich nach wie vor für das ultimative Blues-Instrument. In den meisten anderen Musikstilen kann es schnell nervig werden. Ehrlich gesagt: Mr. Munkeby nutzt fast jede Gelegenheit, um mir mit seinem Getröte auf den Sack zu gehen.
Gerade das finale "On The Shores" könnte so 'ne geile melancholische, stimmungsvolle Nummer sein. Auch mit tollen Sax-Einsatz ... aber nein, man muss ja nach einem guten Einstieg wieder klingen, als ob ein Seelöwe im Delirium furzt.
Doch kommen wir zu den überwiegenden positiven Aspekten: Mit einer gesunden Härte, aber auch diversen Opeth-Zitaten, legt "The Barren Lands" los und zieht gleich alle Register.
Nicht minder stark geht es mit "A Grave Inversed" weiter. Doch das hier zum ersten Mal auftauchende wirre Saxophon bringt in die Raserei von Drums, Gitarren und Ihsahns heiserem Gekeife noch zusätzliche Unruhe. Dabei wäre die Nummer sonst verdammt stark.
Den ersten Kontrapunkt setzt das ruhige, besinnliche "After", das Ihsahn mit warmen Gesang veredelt. Das proggige Stück erinnert vor der leichten Steigerung in der zweiten Hälfte fast schon an Subsignal.
Vor allem im Refrain tauchen diese Parallelen immer wieder auf, wenn der Mann zu schönen Melodien wie in "Undercurrent" oder dem mit ein paar tollen Hammondorgel-Sounds verzierten "Austere" ansetzt.
"Frozen Lakes On Mars" legt deutlich Tempo vor und gibt Ihsahn, Drummer Asgeier Mickelson und Basser Lars K. Norberg (die beide bei Spiral Architect spielen und auch auf "AngL" bereits mit von der Partie waren) ausreichend Platz zur Entfaltung. Dass die beiden an ihren Instrumenten mindestens so talentiert sind, wie Ihsahn an seiner achtsaitigen Klampfe, steht eh außer Frage.
Auch mit "After" lässt Ihsahn keinen Zweifel daran, dass er musikalisch jenseits jeglicher Grenzen agiert. Progressives Songwriting und eingängige Melodien schließen sich dabei in keiner Weise aus. Wenn er sich das nächste Mal das Saxophon spart, reden wir nochmal über die volle Punktzahl.
11 Kommentare
Gute Review, Michael!
So langsam gehen diese Free-Jazz-Saxophon-Eskapaden gehörig auf den Nerv. So ziemlich alles, was sich progressiv nennt, muss mittlerweile minutenlanges Saxophon-Gequäle einbauen. Hoffentlich lässt der Trend demnächst etwas nach...
Danke, mir hat's da zeitweise echt die Zehenenägel bis unter's Knie gerollt. Das Getröte war absolut furchtbar ...
Vielleicht ist es aber auch einfach so, daß da jemand nicht nach möglichst hohen Absatzzahlen schielt, sondern einfach nur genau das macht, was und wie er es möchte.
Wie auch immer, ich finde den Saxophon-Einsatz gar nicht schlimm, daran sieht man, wie unterschiedlich sowas empfunden werden kann.
Immerhin weiß man - zumindest, wenn der Künstler einem zuvor schon nicht gänzlich unbekannt war - nach dieser Rezension ungefähr, was einen erwartet, was sonst nicht immer der Fall ist.
Hat eigentlich schon mal jemand eine Edele'sche Rezension ohne "Sack", "Eier", "Nüsse", "Klöten" oder dergleichen gelesen? Sehr viele können es ja nicht sein
hmm tu mich auch schwer mit dem Zeugs, aber ich würde hier schon nicht mehr von progressiv sprechen, sondern eher von Avantgarde Metal und der ist meist schwerer verdaulich für die Ohren. Nun ja, diese Richtung metalischem Musik-Potpourri setzt wirklich einen gewissen masoistischen Musikgeschmack voraus.^^
@Ragism («
Wenn ein progressiver Musiker ein komplettes Album mit ge-auto-tuneten Rülpsern aufnehmen will, soll er das gerne machen. Muss nur niemand toll finden, oder? »):
Natürlich muß das niemand. Ich hatte Deine Äußerung bzgl. des "Trends" so verstanden, als unterstelltest Du hier eine bewusste Hinwendung dazu. Auch wenn ich nicht weiß, was "ge-auto-tuneten" bedeutet, fällt mir gerade Herr Nattefrost ein, der ja noch ganz anderes als Rülpsen aufgenommen hat - und nein, das finde ich alles andere als toll, obwohl ich sein sonstiges musikalisches Kunstschaffen wirklich goutiere.
bah....was nervt denn alle dieses saxophon? n kumpl fands anfangs auch störend und hats einfach nicht verstanden wenn ich das saxophon einfach so geil fand...eines tages kam er an und meinte: "verdammt..mir gefällt das saxophon plötzlich.." ganz ehrlich..wenn jorgen da nur irgendwelche melodien reingetrötet hätte...wär das zum kotzen gewesen....das muss so klingen und klingt auch geil so...