laut.de-Kritik

Drei Jahre Garantie auf den 'neuen Freund'.

Review von

Ina Müller meistert auf bizarre Weise seit Jahren den Spagat zwischen der Rolle als Gastgeberin für hochkarätige Musikgäste in ihrer Talkshow und eigenen Songs. Auf "6.0" schwärmt sie dabei im Stück "Mixkassettentage" vom Soundtrack ihrer Jugend, der Sweet, Kiss und ABBA einschloss, für den Intellekt auch ein bisschen Bowie. In ihrer Jugend hießen die Herren, die sich daten ließen, oft Uwe. Aufregendes ereignete sich nicht. Uwe trällerte am Weserufer Hits von der Kassette mit. Romantik pur ...

Obschon sich die Entertainerin unterdessen jahrelang ihrem jüngeren Partner Johannes Oerding hingab, versprüht sie auf dem Album voller Esprit ihre Tipps für "Alte Kerle". Sie denkt sich in diese hinein, erwägt gar, was sie denn als Mann in der Best Ager-Crisis täte: Sich beim Yoga eine jüngere Partnerin angeln, ihr ein Baby zeugen, Hanteln stemmen und auf Instagram posieren.

Die eigene Krise als Frau können wohl nur "13 Männer" angemessen überbrücken, oder ein Vibrator, "Mein Neuer Freund". Diese Lieder geben zwischen den Zeilen Aufschluss über die Zeit nach der Trennung von Oerding. Humorvoll berichtet Ina aus dem Intimleben. "13 Männer" persifliert Gender-Rollen-Stereotypen, zerlegt die verzerrte Flirt-App-Konsumvorstellung vom perfekten Prinzen auf dem weißen Pferd, der gleichzeitig Bodybuilder, Gentleman und intellektueller Sparring-Partner sein soll, "eiermilchlegendes Wollmilchschwein (...) Muskelprotz mit Doktorhut". Hier dringt die geübte Kabarettistin durch. Ohne allzu explizit auf Polyamorie als Ausweg zu plädieren, gibt der Song immerhin zu bedenken, dass kein Mann alle Wünsche erfülle, ob diese nun physisch, mental, finanziell oder bildungsmäßig seien. Trotzdem kommt die Wahl-Hanseatin ironisch zu dem Schluss "Setz dir auf dein Sofa keine Notlösung hin!" Natürlich soll man das wohl nicht alles so super ernst nehmen. Es ist dem Anspruch nach Comedy, deswegen gilt mancher überzeichnende, heteronormative Sexismus schon als automatisch eingepreist, wie man es von der WDR-"Ladies Night" bis Gottschalk kennt.

Das Schöne ist: "6.0" hebt sich als eine der leichtfüßigeren Angelegenheiten des auslaufenden Musikjahres 2025 ab. Es handelt sich zwar nur um Mainstream-Pop, aber um ein unbeschwert gut gemachtes Album, das aus dem prallen Leben erzählt und gar keine Rätsel aufgibt, sondern konkret sagt, was Sache ist. Ungefähr so wie die EAV, süffisant, alltagsnah, szenisch, selbstironisch, lässt die Sängerin und Ko-Texterin hier Bild für Bild, Beschreibung für Beschreibung vom Stapel.

Besonders auffällig: Ina distanziert sich auch von gezwungen cozy klingenden Reim-Schlachten, bei denen die Ironie vor lauter neurotischem Gefallenwollen kaputt geht, wie zuletzt bei Alli Neumann in "Roquestar" passiert (die übrigens am 13. September Inas ARD-Talk-Gast war). Mir fällt das deswegen so arg auf, weil Ina stimmlich oft diesen Kratz- und Reibeisenansatz von Alli einschlägt, der sich einen Touch funkrockig und eine Spur nach Rod Stewart anhört. Aber anders als bei Alli fließen Inas Daily Life-Anekdoten und Kommentare recht mühelos. "Gestrandet" und "Robbi Müller" sind Nummern mit Alli-Knacks in der Stimme.

Ein altes Motiv deutscher Hits hieß 'Freiheit', womit Mey oder Westernhagen ikonische Erfolge landeten. Die Norddeutsche geht der Freiheit auf der Ruhrgebiets-Autobahn A2 nach, besungen in "High": "Im Radio läuft grad mein Lieblingslied / der alte Käfer dröhnt wie der Beat. / Und wenn der Fahrtwind uns wieder umbiegt, verfliegt die Angst auf der A2." Bald landet die Wahl-Hamburgerin dann bei der "Freiheit". Wahlfreiheit genießt sie auch im flexiblen Umgang, den "Mein Neuer Freund" beschert. Erst einmal verfügt der über zahllose Vorzüge: "Er ist dynamisch, athletisch, motorisch gigantisch, rein optisch bombastisch, stilistisch fantastisch (...) empathisch, erotisch, exotisch." Klingt so, als müsse man neidisch werden. Der japanische Hersteller gibt drei Jahre Garantie auf diesen "Freund". Nostalgisch-nachdenkliche Momente wie in "Weiber-WG" passen zwar nicht so ganz dazu, bringen aber wertvollen Chanson-Vibe ein.

Die musikalischen Arrangements erweisen sich als neutral, halten die Balance zwischen dem, was Müller auch in ihrer Sendung "Inas Nacht" an Genres vorkommen lässt, Pop, Americana, Rock, Songwriter-Style. Manchmal wirkt sie damit auch wie ein Pendant zu Stefan Stoppok, so beiläufig wie sie ihren Sarkasmus durch dekliniert oder in "Die Zeit" philosophiert. Aber bei ihr spielen Gitarren eine untergeordnete Rolle. Ausnahmen sind "Dass Es Gut War" (akustisch) und "Mixkassettentage" (elektrisch). Orgeln gibt es gar keine, Drum-Programming leider umso öfter. Der Sound pendelt zwischen mainstreamig, Kleinkunst à la Dota und Storyteller-Pop-Poesie, wohl auch geeignet für Alin Coen-Fans. In die Dancefloor-Falle tappt Ina gar nicht. "Mit Der Stimmt Doch Was Nicht" übers Dasein als Dauer-Single geht ans Äußerste, indem sich netter Bubblegum-Pop mit Handclaps mischt. Ansonsten herrscht überwiegend Rock-Pop vor, wie man ihn schon vor 20 oder 30 Jahren machte. Begrüßenswert wirkt es, dass Müller zwar als Gastgeberin für noch nicht so etablierte Soul-Acts wie Olivia Dean, Jacoténe oder Celeste in den letzten Monaten fungierte, sich aber dieses Genre deswegen noch lange nicht in der eigenen Musik anmaßt.

Die 60-Jährige ließ die Sounds von Benni Dernhoff und Philipp Schwär gestalten. Beide beteiligten sich schon erfolgreich an einer beeindruckenden Menge deutscher Produktionen des Major Label-Charts-Who's'Who, oft beide bei denselben Artists. Dernhoff wirkte unter anderem an Namikas "Nador" und Marianne Rosenbergs jüngstem Output, "Bunter Planet", mit. Er war als Coach in mehreren einflussreichen Casting-Shows vertreten. Schwär gehört zum Beispiel zum Team von Fynn Kliemann. Beide werkelten oft mit Johannes Oerding.

"6.0" hätte auch noch viel mehr Potenzial, wenn das Tempo in der zweiten Hälfte nicht merklich ins Sedierende absinken würde und die Produktion so gemastert worden wäre, dass die Tunes organischer klingen würden. Denn so wie sie hier abgemischt sind, würde man sie ziemlich sicher nicht live performen - da wirken sie zu schal, eingesperrt, eben nicht frei, wild, witzig, sondern seltsam zurecht getrimmt und dadurch eine Spur zu trocken.

Trackliste

  1. 1. High
  2. 2. 13 Männer
  3. 3. Mit Der Stimmt Doch Was Nicht
  4. 4. Gerade So, Dass Es Reicht
  5. 5. Gestrandet
  6. 6. Mein Neuer Freund
  7. 7. Mixkassettentage
  8. 8. Robbi Müller
  9. 9. Weiber-WG
  10. 10. Die Zeit
  11. 11. Was Willst Du Von Ihm
  12. 12. Alte Kerle
  13. 13. Dass Es Gut War

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3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 5 Stunden

    genau das ina müller album reviewen wir auch noch vorm daniel caesar album mit ihm kann mans ja machen

  • Vor 5 Stunden

    "Was ist dieser Mann nun eigentlich? Ein Detektiv, ein Abteilungsleiter oder ein Poet?
    - Alle 3 und auch als Liebhaber nicht unerfahren, nicht wahr, Martha?"

  • Vor 3 Stunden

    Die Nummer mit dem Vibrator scheint ein viel größeres Tabu-Thema zu sein als angenommen. Darunter verbirgt sich wohl ein Loch an Geheimnissen. Ich sitze so oft in Terminen und stelle mir gerade vor, wo genau die Referentin denn IHREN Vibrator versteckt hat, ob sie gerade regelmäßig Anal- oder Oralverkehr genießt oder ob sie sogar beides gleichzeitig macht. Keine Angst - bei männlichen Referenten stelle ich mir häufig vor, wie diese sich neben der langweiligen Ehe im Puff regelmäßig mit Hundescheiße beschmieren lassen und zwar so lange bis wieder irgendjemand fragt: "Wiesel, bist du noch bei uns? Das Analytische ist dein Ding. Viel Erfolg. Feedback bitte bis nächste Woche Freitag."