laut.de-Kritik
Die Melancholie knistert.
Review von Philipp KauseSoul ist ein dehnbarer Begriff. Wer dabei spontan an Bill Withers ("Lovely Day"), Rumer oder Emeli Sandé denkt, sollte sich jetzt in der Kunst der Liebe von Olivia Deans dunkler Stimme schulen lassen.
Die 26-Jährige legt einen reduzierten Auftakt hin, das Intro zu "The Art Of Loving" ist ein Acapella. Als Michael Kiwanuka und Jonathan Jeremiah bekannt wurden, war Olivia elf. Michael und Jonathan machten sich üppige und orchestrale Arrangements zunutze. Das Gegenteil setzte Jazz-Fan Celeste um, als Olivia 20 wurde, die beiden sind quasi Teil einer Welle. Olivia beherrscht beide Klaviaturen, bombastisch und intim. Kollegin Celeste tourte mit Kiwanuka vor einigen Jahren und nährte ein bisschen die Hoffnung, dass Neo-Soul noch einmal einen Schub bekommen könnte.
Auftritt Olivia Dean: In "Nice To Each Other" stellt die Londonerin über folkigem Northern Soul gute und liebevolle Umgangsformen über die Notwendigkeit, auf Teufel komm raus eine Beziehung führen zu müssen. Die atmosphärische Keyboard-Ballade "Close Up" setzt sich mit Bindungsangst auseinander. Wie ruhig und reflektiert die 26-Jährige ihre Geschichte erzählt, zieht einen unmittelbar in diese recht stille Musik hinein. Die Melancholie knistert und ist sich selbst genug.
Irgendwo zwischen Carole King, James Taylor, Donny Hathaway und Lionel Richie hängen geblieben zu sein, sorgt höchstwahrscheinlich nicht für den nächsten TikTok-Hype. Trotzdem kann man einen Song wie "Let Alone The One You Love" kaum besser machen, außer vielleicht wenn man ihn live vor feuerzeug- bzw. handylichtschwenkenden Menschen vorträgt. Gesanglich, kompositorisch und produktionstechnisch ist die Nummer perfekt.
"Something Inbetween" beschreibt, dass Liebe Luft zum Atmen benötigt. Der Sound bleibt weich und zurückhaltend. Die Verpackung passt zur Botschaft: Dem anderen die Pistole auf die Brust zu setzen, sorge nur für Druck, "all or nothing? There has to be something in between!" In "Loud", einer resignierten Ballade darüber, sich auseinander zu leben und anzuschweigen, wählt Olivia eine enorme Dynamik zwischen introvertierter Stille und explosiver Fülle mit Streichern nach bekannter Roachford-Machart.
In "Baby Steps" schwenkt sie mit ihrer Stimme ins Kratzige um, in "A Couple Minutes" changiert sie zwischen schwärmerisch und klagend, hadert mit fortbestehenden Gefühlen nach einer Trennung und wünscht sich Informationen, einen anständigen Abschied oder wenigstens ein paar Minuten, "A Couple Minutes" eben. Liebe sei nie vergeudet, solange man das Objekt der Begierde daran teilhaben lasse. Das niedliche Schlusslied groovt im Modus von "Michelle" von den Beatles und hinterlässt einen angenehmen, zu Herzen gehenden Gesamteindruck.
Olivia Dean schließt die Lücke zwischen einer rustikaleren, leiseren Meskerem Mees, einer elektronischeren Jorja Smith und einer jazzfunkigeren Kitty Liv mit ihrer eigenen Handschrift. Angesichts des Erfolgs der Singles "Man I Need" und "Nice To Each Other" steht die Musikerin Olivia Dean hoffentlich vor einer goldenen Zukunft.
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