laut.de-Kritik

Dem pflichtschuldigen Nachfolger fehlt der "Primetime"-Charme.

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Bei der Schreibweise von Alli Neumanns aktuellem Album "Roquestar" kann man sich fragen, wohin der Roquefort-Schafskäse aus hiesigen Kühlregalen verschwunden ist. Um französische Lebensart wie in "Versailles" oder den Alltag als 'Rockstar' geht es in den Songs am wenigsten - (zumindest nicht erkennbar). Mal ist das Genießen des Verliebtseins Thema, mal Verlustangst, und dann eine sich nicht erfüllende Beziehung. Im explosiven Song "Joker" heißt es über die unterschiedlichen Vorstellungen von Liebe, zugespitzt: "Baby, ich bin dein Joker / Aber du hast wieder alles verpokert / Wenn das deine Liebe ist, dann ist deine Liebe nichts für mich. / Baby, dein Game ist over / Ich bin nie mehr dein Joker!"

Die Lyrik ist das eine, was einigermaßen an dieser Platte zufrieden stellt - wenngleich nicht restlos überzeugt. Bezüglich der Texte hatte "Primetime" schon deutlich mehr drauf. Herausragend zeichnet sich auf "Roquestar" nur Allis Gesang aus. Sie hört sich hell, jugendlich, eigenwillig an. Aus Silben mit 'i' macht sie oft zwei Noten und springt zwischen den beiden 'i'-Hälften synkopisch. Trotz der Herausforderung, die deutsche Sprache mit Offbeat zu kombinieren, mit Backbeat, Abweichungen vom Vier-Viertel-Takt und Betonen der Eins, hört sie sich bei diesem Unterfangen so an, als vertone sie ihre persönliche Komfortzone.

In "Schattenboxer" kräht sie lederjackenrockig und voller Ambivalenz. Mit einer Mischung aus Nena im Abgang der Kehle und Nina Hagen, was den Grad der Frechheit betrifft, singt die 30-Jährige passend zu der Ära, auf die sie immer wieder referiert. Als Anfang der 80er Jahre Disco-Funk, New Wave und NDW gleichzeitig kursieren, bringt kaum eine Crew diese Musik-Genres überein. Alli holt genau das nun nach. Im ersten Track macht das Genre-Blending einen brillanten Eindruck ("Ich Kann Gar Nichts"), in "Schrott" glückt es auch, groovt angenehm. Über die Länge der Platte verschleift sich diese Sound-Koloratur jedoch und verkommt zur nur mehr abgearbeiteten Routine.

Beide vorherigen Alben, "Madonna Whore Komplex" und "Primetime", machten schon Gebrauch von Funkiness auf Rock-Riffs mit einem Schuss Falco. Besonders das zweite strahlte dabei viel Kreativität, Überraschung und das Setzen von Maßstäben aus, riss dank "So Wie Du" sogar im Segment Deutsch-Soul-Ballade mit.

"Roquestar" dagegen ziemt sich, der vergleichsweise pflichtschuldige und entsprechend banale Nachfolger zu sein. Er soll wohl das Licht von "Berlin Nightlife" nicht verblassen lassen und zudem beweisen, dass dessen Verfahren mehrmals und in einer breiteren Palette funktioniert, auch schroffer, rauer oder weichgekocht. Für die Klangästhetik ist man einerseits stolz aufs Fagott, das Alli gerade lernt und sogar schon in der Elbphilharmonie und deren Bienenwaben-Architektur bei wenig fagottfreundlicher Akustik vorführte. Bislang überwiegt der Gag. Wirklich klar, eindeutig, positiv oder angenehm heraushören kann man das riesengroße und ordentlich teure Holzblasinstrument selten, vor allem dann am Ende in "Seltsame Welt". Es stellt keine Bereicherung für die LP dar, gleichwohl es optisch auf der Bühne ein Hingucker ist.

Als wesentlich dominantere Neuerung ließ sich Produzentin Novaa allerdings plumpe Platsch-Beats einfallen. Mitunter hören sie sich lieblos an. So sind sie sehr wahrscheinlich nicht gemeint. Die verwaschene Abmischung des Ganzen kann man ein gezieltes Stilmittel nennen oder einfach unsauber produziert, jedenfalls legt sie den Blick auf die entfesselte Live-Energie von Allis Band keineswegs frei, sondern verwischt ihn. Auf die Dance-nahe Produktion legen sich verstümmelt anmutende Vintage-Verstärker. Sie wirken aufgesetzt. So machen sich im Track "Hands Down" Momente von 90er-Jahre-Kratzigkeit breit. In "Nie Wieder Verlieren" nervt unpassendes Alternative Rock-Schrammen.

Was in den Neunzigern dem Grunge und Post-Rock zu verdanken war, mutet heute – außerhalb eines historischen Kontexts und in Zeiten cleaner, digitaler Produktion – doch ein bisschen aus der Zeit gefallen und in Verbindung mit deutscher Lyrik zwar ungewohnt, aber gleichzeitig unecht an. Wie beispielsweise auch Uche Yara weiß Alli nicht immer so recht, wohin mit ihrer kosmischen Funkrock-Energie. Sie selbst singt in "Von Einem Anderen Stern" von kosmischer Energie, kosmischen Vibes. Auf einer Bühne mit Ansagen und Bewegung wirkt ihre Erdenschwere vielleicht, im Studio hingegen kanalisieren weder Uche noch Alli sie zuverlässig. Bei der orangehaarigen Wahl-Berlinerin liegt das wohl an der 'organischen Elektronik', wie Producerin Novaa den Stil nennt. Ein anderer Fach-Terminus aus Novaas Stall lautet Kraut-Synth. Allis Altersgenossin hat bereits eine Menge Deutschpop konzipiert, beispielsweise "Irgendein Dienstag" von Wilhelmine und ein ganzes Trille-Album.

Die Geschichten selbst sind bei der humorvollen Neumann dieses Mal trotz guter Reime teils zu schwach. Die Themen Selbstliebe und Überwindung von Scham dringen nicht wirklich durch und sind wohl außerdem zu wenig Substanz, um einen ganzen Longplayer zu tragen. Zweifel an der Liebe, an sich selbst, Sehnsüchte, der Wunsch nach sozialer Anerkennung und die Abhängigkeit sind maßgebliche Punkte, die auftauchen, aber in einer so impliziten Weise, dass man erst den Sprech von Allis Bubble kennen muss, um die Bedeutungen wirklich zu entschlüsseln.

Das dystopisch-melodramatische "Versailles" hinkt schließlich auf beiden Ebenen, musikalisch wie textlich, dem "Primetime"-Charme hinterher. Die Ballade über edle Seide mit der Hookline "hinter mir stürzt alles ein' und klugen einzelnen Zeilen wie "ja, Mama, du hattest Recht: Geld macht nur doch nur Geldprobleme weg" beeindruckt maßvoll und fällt in ihrer Holzschnittartigkeit aus dem bisherigen Alli-Gesamtwerk negativ heraus.

"Lalelu" greift die alte Idee von "La-Le-Lu (Nur der Mann im Mond schaut zu)" mit Heinz Rühmann auf. "Lalelu" lässt minimalistische Beats über die Idee verschwörerischer Gemeinschaft pladdern. Hier schaut der Mond selber zu. Dieser Fake-Downbeat ist das Waghalsigste, Druckvollste, Frischeste, Innovativste an "Roquestar". Die autobiographische Hymne zur Bewusstseinserweiterung, "Knock Dich Selbst Aus", hebt sich als rundeste Sache ab. "Mama ist der Beat, Papa ist der Groove", schwärmt Alli über die Verbindung von Musik und Kiffen. Das Thema nutzt sie immer wieder gerne für Running-Gags bei Bühnenansagen und Fernsehinterviews. Die Harmoniefolge und der Stil des Gitarren-Stücks erinnern ganz schwer an The Kinks und insbesondere an "Sunny Afternoon". Dieser feinste Psychedelic-Pop macht ungeachtet des unsteten Außenherum einen perfekten Eindruck.

Die Cover-Grafik wie auch der Produkttext ("ein dem Himmelszelt entfallener Stern (...) Inspiriert von David Bowies 'Ziggy Stardust'") samt dem schon schlimmen Rechtschreibfehler "Cemberlo" und Buzz-Words wie "psychosoziale Utopie" sind bei "Roquestar" eher Red Flags, um im Sprachregister zu bleiben. Sie unterstützen das Produkt jedenfalls nicht. Sie bekräftigen den Eindruck, dass alles hier auf theoretischer Ebene workshopartig und auf praktischem Level ein bisschen schlabberig gestaltet wurde.

Der Entertainment-Wert und das Talent von Alli, mit ihrer Stimme Räume einzunehmen, stehen außer Frage. Doch diesmal entfaltet sie weder ihren üblichen Witz, ihre freche Ironie besonders wirkungsvoll, noch bricht ihre Funkiness - eigentlich Symbol fürs Rebellentum - aus den braven Alt'Rockpop-Settings aus, die irgendwie die Konsistenz von Marshmallows haben, aber den entscheidenden Crunch missen lassen. Unterm Strich enttäuscht "Roquestar", weil kaum Greifbares haften bleibt.

Trackliste

  1. 1. Ich Kann Gar Nichts
  2. 2. Vom Anderen Stern
  3. 3. Joker
  4. 4. LaLeLu
  5. 5. Schattenboxer
  6. 6. Knock Dich Selbst Aus
  7. 7. Schrott
  8. 8. Versailles
  9. 9. Hands Down
  10. 10. Nie Wieder Verlieren
  11. 11. Seltsame Welt

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