laut.de-Kritik
Von der Erhabenheit der Bestie.
Review von Dominik Lippe"John und ich haben seit 'Jaws' keinen Film wie diesen mehr zusammen gemacht", schreibt Steven Spielberg im Booklet zur Filmmusik seines bahnbrechenden Science-Fiction-Abenteuers. Es sei ihnen eine Freude gewesen, "ein Genre wieder aufleben zu lassen, das uns vor 18 Jahren so großen Spaß bereitet hatte". "Jurassic Park" markiere den letzten ihres "ersten Dutzends gemeinsamer Filme", schildert der Regisseur weiter. "Es ist die längste persönliche Arbeitsbeziehung, die ich jemals mit jemanden in der Filmbranche hatte. Und ich betrachte es als Privileg, John meinen Freund nennen zu dürfen."
"Jurassic Park" dürfte in erster Linie als technischer Meilenstein in Erinnerung bleiben. Spielberg engagierte Stan Winston, nachdem er sich von dessen Arbeit an der Fortsetzung zu "Alien" begeistert gezeigt hatte. Die Kombination aus den animatronischen Dinosauriern des Spezialeffektkünstlers mit wegweisender CGI-Technik wirkt noch Jahrzehnte später imposant und dürfte einer der Hauptgründe für den enormen Erfolg gewesen sein. Ein weiterer liegt in der einprägsamen Musik von Williams, der sich zu Beginn seiner Mitwirkung Inspiration beim Sound-Designer Gary Rydstrom holte.
Der Tontechniker zeichnete für die ikonischen Soundeffekte der Dinosaurier verantwortlich. Und woran das Team um Akira Ifukube bei "Godzilla" noch gescheitert war, gelang ihm phänomenal: Tierische Laute aufnehmen, mischen und bearbeiten, bis sie prähistorische Wucht erreichten. So setzen sich etwa der Ruf des sanftmütige Brachiosaurus aus Walgesängen, Esel- und Pinguin-Rufen zusammen, der des straußenähnlichen Gallimimus aus Pferdewiehern und der des kranken Triceratops aus grasenden Kühen in der Nähe der Skywalker Ranch. Das Ergebnis brachte Gary Rydstrom gleich zwei Oscars ein.
Folgerichtig eröffnet der Film mit einer Kulisse aus Dschungel-Sounds. Wuchtig und zugleich mit Understatement setzen die "Opening Titles" ein. Ein archaischer, langsamer Trommelrhythmus dominiert die Eröffnung, die nicht von ungefähr an "King Kong und die weiße Frau" erinnert. Nach jedem 'Schritt' beschwört ein wortloser Chor das kommende Unheil herauf. Im letzten Teil des kurzen Stücks gesellt sich die Shakuhachi hinzu, eine japanische Bambusflöte, die einst von buddhistischen Mönchen zur Meditation genutzt worden war und laut John Williams wie "der Ruf eines Dinosauriers" klinge.
"King Kong" stellt eine naheliegende Referenz dar, weil es zum einen um die Verführungskraft von Ungetümen geht und zum anderen um deren kapitalistische Ausbeutung. Der Milliardär John Hammond (Richard Attenborough) hat in "Jurassic Park" mit einem Team aus Gentechnikern einen Weg gefunden, Dinosaurier zu züchten. Dazu gewinnen sie das Blut aus Mücken, die in Bernstein konserviert waren. Nach einem tödlichen Zwischenfall lädt der Unternehmer die Paläontologen Alan Grant (Sam Neil) und Ellie Sattler (Laura Dern) in der Hoffnung ein, Fürsprecher für seinen Park zu gewinnen.
Ausgesprochen elegant begleiten Williams' Streicher den Hubschrauber-Flug, an dem neben Hammond und den beiden Naturwissenschaftler auch der Chaostheoretiker Ian Malcolm (Jeff Goldblum) sowie der Anwalt Donald Gennaro (Martin Ferrero) teilnehmen. "Journey To The Island" steigert sich beim Anflug auf die dicht bewaldete Isla Nublar zu einer ungeheuer erhabenen Bläser-Fanfare, ergänzt um Harfen-Klänge. Wohl einmalig in der Filmgeschichte trifft eine geradezu religiöse Romantisierung der Natur auf die pure Abenteuerlust. Es klingt nach Aufbruch, nach kribbelnder Vorfreude.
Nach der überirdischen Fanfare wechselt "Journey To The Island" im Mittelteil zu wuseliger Neugier. In elektrischen Fahrzeugen fährt die Gruppe ins Innere der Insel zu den ersten lebenden Attraktionen. Das Stück gibt eine leichte Anspannung wieder, als Alan Grant den ersten Dinosaurier entdeckt. Noch sieht das Publikum nur seine Reaktion auf das vermeintliche Ungeheuer. Doch als das Bild auf den Brachiosaurus umschaltet, ergibt sich Williams der Ehrfurcht. Ein warmer und zugleich kleinlauter Streicherteppich vermittelt ein Hochgefühl, ein Hintergrundchor hüllt das Naturwunder in sakralen Glanz.
"Kommen Sie in den modernsten Vergnügungspark der Welt!", spricht der ebenso sympathische wie leicht verschrobene Milliardär seinen Werbetext herunter. "Wir haben lebendige biologische Attraktionen geschaffen, die so unglaublich sind, dass sie die Fantasie des gesamten Planeten erregen werden." John Williams überträgt die treuherzige Freude in seinen Score, der auch für Steven Spielberg geklungen habe, als habe jemand "mit dem Herzen eines Kindes" diesen komponiert. "Wir haben sie nie Monster genannt, wir haben sie nie Dinosaurier genannt. Wir haben sie Tiere genannt."
"John wollte die Dinosaurier unbedingt dorthin bringen, wo sie hingehören", erinnert sich Spielberg später im Rahmen eines Bühnenpanels. "Mit der gleichen Art von Bewunderung und Respekt, die kleine Kinder empfinden, wenn sie durch ein Naturkundemuseum gehen und die Relikte dieser Ära sehen." Williams' "Dino-Ballett" erzielt damit die exakt gegenteilige Wirkung vom abgründigen Score von "Der Weiße Hai". Er verführt sein Publikum geradezu. Erlaubt ihnen, sich staunend in den Park zu begeben, wodurch es derselben Hybris erliegt, die auch John Hammond zum Bau bewegt hat.
Es ist an Ian Malcolm, erste Zweifel am Park-Konzept zu säen. "Wenn uns die Evolutionsgeschichte eines gelehrt hat, dann doch das, dass das Leben sich nicht einsperren lässt", mahnt er, nachdem ihm der Chefgenetiker erläutert hat, dass sich die Dinosaurier ausschließlich im Labor erzeugen ließen. "Das Leben findet einen Weg." Als die Paläontologen einem schlüpfenden Velociraptor beiwohnen, springt die Skepsis auf sie über. "Hatching Baby Raptor" zeichnet die 'Geburt' mit leisem Chor und Harfenklängen als zerbrechliches Wunder, doch kippt im letzten Drittel Richtung bedrohlicher Vorahnung.
Die nur akustisch eingefangene, aber augenscheinlich blutrünstige Raptoren-Fütterung verstärkt die Sorgen weiter. "Der Mangel an Demut vor der Natur, der hier offen gezeigt wird, erschüttert mich", legt Malcolm beim gemeinsamen Mittagessen nach. Ellie Sattler pflichtet ihm bei: "Wie kann man sich anmaßen, auf die Idee zu kommen, es kontrollieren zu können?" Als sich auch noch Alan Grant den Bedenkenträgern anschließt, bleibt Hammond nur noch der "blutsaugende", etwas holzschnittartig angelegte Anwalt Gennaro als Verbündeter in seinen finanziell verheißungsvollen Plänen.
Wie im richtigen Leben tritt die Katastrophe durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren ein. Neben einem tropischen Sturm ist es der verantwortungslose Dennis Nedry (Wayne Knight), der das Sicherheitssystem sabotiert, um Dinosaurier-Embryonen zu stehlen. Die starken Synthesizer-Anteile von "Dennis Steals The Embryo" fallen ebenso aus dem musikalischen Rahmen wie das wandelnde Warnschild aus dem professionellen. Es mag fast zu viel der Ehre sein, doch um den Verrat Nedrys zu unterstreichen, schlägt Williams eine Brücke zu seinem Stück "The Conspirators" aus "J.F.K." von Oliver Stone.
Der tollpatschige Sicherheitsspezialist mit dem warnenden Foto von Oppenheimer am Monitor bezahlt sein abtrünniges Verhalten umgehend mit dem Leben. Grant, Sattler, Malcolm, Gennaro sowie zwei Enkel Hammonds müssen sich unterdessen angesichts des Stromausfalls im Park zurück zum Besucherzentrum durchschlagen. Legendär dürfte sein, wie sich der Ausbruch des Tyrannosaurus mit erderschütternden Schritten ankündigt. Tontechniker Rydstrom verwendete dafür das Geräusch eines Mammutbaumes, der auf dem Erdboden aufschlägt.
Neben der eindrucksvollen visuellen Gestaltung funktioniert die zentrale Szene des Tyrannosaurus ausschließlich über Soundeffekte. Um den Theropoden akustisch zum Leben zu erwecken, bediente sich Rydstrom am Quieken eines Babyelefanten, dem Brüllen eines Löwen oder dem Grunzen eines Koalas. Wenn sich der acht Tonnen schwere Koloss einen Gallimimus aus einer Herde reißt, hört das Publikum eigentlich den bearbeiteten Sound eines spielenden Hundes. Williams vermeidet den musikalischen Kommentar, weil die Szene für sich spricht, aber auch, da die Rolle des Tiers ungeklärt ist.
Wenn der Tyrannosaurus den Jeep mit Sattler, Malcolm und Wildhüter Muldoon (Bob Peck) verfolgt, erklingt zwar die wilde Raserei des Stücks "The Coming Storm", das erst zum 20-jährigen Jubiläum veröffentlicht wurde, aber das dient eher zur Actionuntermalung und weniger, um den Jäger als Antagonisten zu zeichnen. Die eigentlichen Bösewichte von "Jurassic Park" sind die Velociraptoren. "The Raptor Attack" klingt herrlich fruchteinflößend und erinnert am ehesten an "Jaws". Eine Horrormusik, die kriechend, dröhnend, klappernd, umherschwirrend vom drohenden Heimsuchung durch den schlauen Killer erzählt.
John Hammond wird in der Zwischenzeit sein Fehlschlag bewusst. In der leisesten Szene des Films erzählt er Sattler von seinen unternehmerischen Anfängen mit einem Flohzirkus. Er redet sich sein "edles Motiv" schön, den Menschen etwas Reales nahebringen zu wollen. "Remembering Petticoat Lane" klingt passend dazu wie ein Miniatur-Karussell. Die Kombination aus Streichern und einem Spieluhr-Sound erzählt von einem Schmerz, der womöglich über die jüngsten Rückschläge hinausweist. Der Unternehmergeist reißt ihn aber schnell wieder aus der Introspektion: "Das nächste Mal ist alles fehlerfrei!"
"T-Rex Rescue & Finale" begleitet rasant und nervenaufreibend den Endkampf gegen die Raptoren, in dem der Tyrannosaurus als Deux ex machina die Rolle des zur Hilfe eilenden Helden übernimmt. Ausgerechnet "Wecome To Jurassic Park" markiert das Filmende. Die Reste der Gruppe fliehen per Hubschrauber von der Insel, während Williams eine fragile, erschöpfte, aber auch erleichterte Variante des Hauptmotivs am Piano einspielen lässt. Je mehr Abstand die Überlebenden zur Isla Nublar gewinnen, desto feierlicher erklingt die Freude darüber, dem Teufel von der Schippe gesprungen zu sein.
Wenn "Jaws" dem Hai ein nachhaltig schlechtes Image verpasst hat, dann dürfte Spielberg mit "Jurassic Park" in gewisser Weise Wiedergutmachung geleistet haben. Vor allem John Williams' Musik hat er der Erhabenheit der Bestie ein Denkmal gesetzt, das den Autor dieser Zeilen mit sechs Jahren derart beeindruckt hat, dass er seine Kindheit weitgehend mit der Anhäufung von enzyklopädischem Wissen über Dinosaurier verbrachte. Das Gespann aus Regisseur und Komponist setzte in der Zwischenzeit ihre nunmehr 50 Jahre währende kreative Zusammenarbeit fort und reihte Klassiker an Klassiker.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare
Absolut eindringliche Meisterleistung. Phänomenal, wie vieles von Williams. Man hört ein oder zwei Töne und weiß genau, aus welchem Film die Musik stammt.
Uii, ich dachte immer, "Jurassic Park" wäre das Hauptwerk von Jimi Hendrix...
Hab früher immer gedacht, dies sei der Klingelton des lautusers
Hab ich unten auf Vinyl liegen. Absolut eindringliche und einprägsame Musik.
♥