laut.de-Kritik

Eine Stunde Trap-Stampede, gerappt mit dem Eifer eines Sektierers.

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Mit Abwesenheiten verhält es sich im Trap ein bisschen wie mit Menschen- und Hundejahren. Drei Jahre lang kein Album zu veröffentlichen klänge für einen anderen Musiker wie ein ausgiebiger, aber nicht ungewöhnlicher Urlaub. Im modernen Hip Hop sind dagegen zwischen "Luv Is Rage 2" und "Eternal Atake" zwei Generationen Rapper gekommen und gegangen. Dennoch debütierte das neue Lil Uzi Vert-Projekt nun nach all der Zeit mit Pauken und Trompeten. Er inszeniert sich erst als Sekten-Führer und lässt sich auf der Platte dann von Aliens entführen. Ein Konzept, das inhaltlich überhaupt nicht aufgegriffen wird, aber doch den ästhetischen Rahmen für dieses Album legt. "Eternal Atake" ist eine exzessive, endlos markante und tanzbare Trap-Stampede von einem der außerirdischsten Rapper der neuen Generation.

Es war offensichtlich, dass die Platte polarisieren würde. Es gibt wenig Musikrichtungen, die so archaisch auf persönliche Empfindungen ankommen wie Trap-Rap. Wie viele andere Tapes des Genres steht und fällt "Eternal Atake" mit der grundlegenden Frage, ob dieser Typus marodierender 808-Beat dem Hörer die Füße wippen lässt. Denn es setzt alles oder nichts auf die Tragfähigkeit von Bass-Gebolze und Rap-Eifer. Spezifischer stellt die Produktion sich gegen die aktuellen, etwas leichtfüßigen Trap-Beats und spannt in bester 2016-Manier den Druck auf den Bass aufs Äußerste. Die Produktion der Platte regelt größtenteils Working On Dying, ein paar Nummern kommen von Supah Mario und einzelnen Gästen. Das Resultat ist ein Schlag Songs, der zum Tanzen gemacht ist. Das erste halbe Dutzend Songs klingt spezifisch darauf ausgelegt, live einen Moshpit zu starten.

Sei es der direkt funkende Einstieg auf "Lo Mein" oder der bebende Knock auf "Pop", das Album startet mit zwanzig Minuten Anarchie-Musik. Wer hier nicht intuitiv mitnickt, wird schnell auf Ermüdungserscheinungen stoßen. Sollte man sich aber in die Stimmung einfühlen können, bietet der Auftakt einen Headbanger nach dem anderen. Besonders hart: Der Opener "Baby Pluto", auf dem bizarre, desorientierende Science-Ficiton-Synthesizer die klangliche Farbpalette vorankündigen. Weltraum-Arpeggios und gewarpte, elektronische Samples tragen weite Teile von "Eternal Atake", "You Better Move" integriert - kein Witz - Sounds aus dem Windows Games-Klassiker 3D Pinball. "Silly Watch" dreht sich um einen nicht untraditionellen Piano-Loop, wie auch ein NLE Choppa oder ein Polo G ihn aufgreifen würden, aber unter den unermüdlichen Flows von Lil Uzi und einer penetranten Übersteuerung aller vorhandenen Sounds klingt die Nummer destruktiv, überlebensgroß. Ein Rager an der der Grenze zum Vandalismus.

"I'm Sorry" markiert einen kleinen Wandel, Lil Uzi Vert schaltet hier von pausenlosem Frontalangriff und linearen Rapflows in einen melodischeren Ton. Die Hooks sind eingängier, etwas trauriger und auf Songs wie "Bigger Than Life", "Prices" und "Venetia" schalten sich ein paar der spannendsten Sounds der Platte ein. Spätsommer-Trap, ein bisschen psychedelisch, ein bisschen verwaschen und doch mit unwiderstehlichem Pop-Appeal. Hier finden sich auch die wenigen, subtilen Kollaborationen der Platte: Syd von The Internet gibt den charakterstarken Gegenpol auf dem Heartbreak-Crooner "Urgencies", gemeinsam entfalten sie die Synergie von liebevoll gezeichneten Cartoon-Romanzen. Cashmere Cat liefert ein paar der opulentesten Samples auf "Prices", Chief Keef einen dekadenten Drill-Beat für "Chrome Heart Tags". Auch wenn das Album kaum vom Gas geht, zeigen sich Risse in Uzis Dandy-Selbstdarstellung, er rappt neben Einkaufs-Serie und exotischen Autos in einem Atemzug über gebrochene Herzen und Burnout. Effektiv kulminiert das in "P2", einer Fortsetzung seines Megahits "XO Tour Llif3", die zwar im Konzept einigermaßen faul ist, aber musikalisch den Flow der legendären Hook spannend neu aufkocht und einen emotionalen, zufriedenstellenden Klimax des Tapes darstellt (bevor die einzigen integrierten Singles "Futsal Shuffle 2020" und "That Way" als Bonustracks nochmal auf den Dancefloor zwingen).

Ein wichtiges Glied der Kette bleibt Lil Uzi Vert selbst. Die Aussage, diese Platte sei zum Tanzen gedacht, wird von niemandem besser getragen als von ihrem Protagonisten. Der flowt so atemlos, so überdreht, das er durchgehend in hyperaktiver Bewegung scheint. Er rappt so animiert, so lebhaft, so energetisch, die Kaskaden seiner ausufernden Flows klingen ekstatisch und exzessiv. Dabei inszeniert er seine einzigartige Persona, seine Albernheit und seine so untypische Coolness mühelos wie eh und je. "She looks good but wears Fashionova" ist eine brillant lapidar ausgeführte Punchline, man könnte meinen, er säße nächstes Jahr neben RuPaul in der Drag Race-Jury. Manchmal brennen alle Sicherungen auf einmal durch. Dann rappt er auf "Pop" vier Zeilen nur "Balenci, Banelci, Balenci, Balenci, Balenci, Balenci/ Balenci, Banelci, Balenci, Balenci, Balenci, Balenci/ Balenci, Banelci, Balenci, Balenci, Balenci, Balenci/ Balenci, Banelci, Balenci, Balenci, Balenci, Balenci/" und kommuniziert damit mehr Emotionen als macher Rapper im Umfang eines Proust-Romans kommunizieren könnte. Garniert wird die Summe mit Unmengen an endlos farbenfroher Fashionista-Raps, die von einem wirklichen Kenner und Enthusiasten für Mode stammen müssen und ein paar der besten Popkultur-Verweisen im Game. "Yu-Gi-Oh, Yu-Gi-Oh, you wanna duel?/ Blue-Eyes White Dragon, I can not loose" rappt er da auf dem selben Song, auf dem er sich einen Part vorher noch als "Mother Goose" der Szene bezeichnet hat. Bezaubernd.

Lil Uzi tanzt auf seinen Songs. Er ist der atemloseste, überdrehteste Raver, der in seinem eigenen Mahlstrom aus Chaos, futuristischen Synthesizern und bizarrer Nostalgie den Verstand verliert. "Eternal Atake" ist eine ästhetische Singularität des Genres und doch quintessentieller Trap. Er fühlt sich an wie das wahre Kind der Mitte, denn gleichzeitig rappt er wie Chief Keef und singt wie Young Thug, verwandelt es aber in Flows und Strukturen, die ein NBA Youngboy, ein NLE Choppa oder ein A Boogie Wit Da Hoodie 2020 noch frisch wie Tauwetter fänden. Das alles macht er auf einer Platte, die konzeptuell von einer Science-Fiction-Klangkulisse getragen und mit dem Eifer eines Sektierers gerappt wird. "Eternal Atake" ist ein auf Anhieb ikonisches und destruktiv energetisches Trap-Projekt, das sich mühelos in die Reihen von Playboi Cartis "Die Lit" oder Gunnas "Drip Or Drown 2" einreiht. Gegen den Minimalismus von Carti und die Xanax-Meditation von Gunna hält Lil Uzi Vert eine kompromisslose Lawine. Auf die muss man erst einmal klarkommen, das ist wahr - und über eine Stunde entstehen durchaus Längen. Aber es hat einen Grund, dass Lil Uzi Vert nach drei Jahren ohne Projekt immer noch in der Szene ganz vorne stattfindet.

Trackliste

  1. 1. Baby Pluto
  2. 2. Lo Mein
  3. 3. Silly Watch
  4. 4. POP
  5. 5. You Better Move
  6. 6. Homecoming
  7. 7. I'm Sorry
  8. 8. Celebration Station
  9. 9. Bigger Than Life
  10. 10. Chrome Heart Tags
  11. 11. Bust Me
  12. 12. Prices
  13. 13. Urgency (feat. Syd)
  14. 14. Venetia
  15. 15. Secure The Bag
  16. 16. P2
  17. 17. Futsal Shuffle 2020
  18. 18. That Way

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