laut.de-Kritik
Wenn sich mal alle Rapstars solche Mühe gäben!
Review von Yannik GölzForm und Darbietung machen den Eindruck, dass "Aqua" von Luciano einfach nur eines von vielen Mainstream-Hip Hop-Alben ist, das halt rauskommt, damit man die Singles richtig abheften kann. Davon wurde nämlich ein halbes Dutzend vorgeschoben, jetzt kam das Album auf stillen Pfoten, trotz Spotify-Hörern in Capital Bra-Dimensionen scheint sich der Hype vor allem in der eigenen Bubble abzuspielen. Dann dauert die Sause auch noch 23 Titel, gut über ein Stunde. Aber wer denkt, Luciano hat "Aqua" einfach so hingerotzt, der irrt sich. Trotz ein paar repetitiver Nummern steckt spürbar Herz und Denkarbeit in dieser Platte. Die Atmosphäre ist kohärent, der Sound vielseitig und Luciano klingt durch die Bank hungrig.
Fangen wir mit den Schwächen an, die sich über eine derart lange Spielzeit offensichtlich einstellen: Ein paar Songs klingen inhaltlich doch recht hohl. Luciano kann texten, aber lässt sich über inhaltliche Tiefe jetzt auch keine grauen Haare wachsen. Bedeutet ergo, dass man mit einem Grundrauschen an Phrasengedresche einfach leben muss. Oder mit halbgaren, tiefsinnigen Einblicken in seine Welt wie "Pradatreter, doch sie führen nicht zu dir" ("Nicht Mehr Hier") oder "Demons in meinem Kopf trotz Pradashorts" ("Shawty") - dabei sind die therapeutischen Wirkungen kurzer Designerhosen doch eigentlich wohldokumentiert.
Penetranter nerven die immer wieder einsetzenden Sex-Jams, die er zwar ernst genug nimmt, um sie nicht komplett gegen die Wand zu fahren, aber an Songs wie "Peppermint" zeigt sich, dass sie auch nicht seine größte Passion darstellen. Vielleicht ist das ein Detail, aber es ist recht vielsagend, wie prominent Framing-Worte wie "guck" oder Disses an potentielle Expartner in diese vermeintlichen Horny-Jams versteckt werden. Wäre ja cool, wenn er einfach stimmungsvoll über das Rammeln rappen will, aber es wird klar, dass das hier alles eigentlich nur Flex-Nummern an ein männliches Publikum sind. Am Ende wird über die Frauen wie über andere Statussymbole gerappt, was irgendwo ein unangenehmes Gefühl hinterlässt. Außerdem: Persönliches Pet Peeve, aber wer hat dem Jungen gesagt, dass sein Signatur-Adlib dieses bescheuerte Schmatz-Geräusch sein soll? Teilweise knutscht er den Hörer aus der Adlibspur an Stellen, an denen es so gar keinen Sinn ergibt ("Angst vor Gott, bin von Innen tot, *mwaah*" auf "B.A.E."), aber auch sonst stellt dieses Geräusch potentiell auf jedem zweiten Song die Nackenhaare auf.
So viel zum Negativen, aber dagegen muss man stellen, dass "Aqua" ein paar der rundesten, ambitioniertesten und funktionierendsten modernen Hip Hop-Songs der aktuellen Deutschrap-Szene beinhaltet. "Schmetterling" zum Beispiel sollte auf dem Papier nicht besonders spannend sein. "Femme Like You" von K-Maro für einen Dancehall-Pop-Rap-Song zu samplen, das klingt nach absolutem Fast Food, aber die Produktion von Geenaro und Ghana Beats fügt der berühmten Melodie ein distanziertes und nostalgisches Gefühl hinzu. Die Nummer klingt beeindruckend intensiv und melancholisch.
Einen ähnlichen Trick zieht die Headie One-Kollabo "Arrived", auf dem sie gemeinsam "Behind Blue Eyes" auseinandernehmen. Sein britischer Drill-Compadre rappt ihn zwar ziemlich um, stimmungstechnisch gehen sie aber perfekt Hand in Hand. Die Taktik mit den minimalistischen Sample-Refrains ziehen sie gerade auf den Drill-Beats der ersten Hälfte ein paar mal ein – und es funktioniert jedes Mal. Zähnefletschende, düstere Verses gegen nostalgisch abwesende Produktion. Dazwischen wechselt er mal in 2000er-Rap-Terrain für "Give Me Something", gegen später kommen mehr reine Trap- oder Dancehall-Nummern dazu.
So wechseln sich die Sounds ab, während ein paar musikalische Kernelemente den roten Faden durch ein überraschend lebendiges Pacing geben. Auch die Feature-Auswahl wirkt richtig solide eingesetzt, sie kommen oft genug, um Abwechslung zu bieten, aber nicht so oft, um Luciano die Show zu stehlen. Summer Cem und Lucio101 klingen, als hätten sie sich mal richtig Mühe gegeben, Billa Joe nutzt das große Feature für einen Killer-Verse, nur Ufo361 und Yung Hurn haben sich nicht hinreißen lassen, mehr als gelangweiltes Standard-Programm runterzureißen. Die eine Kollabo, die wirklich alles überschattet kommt allerdings von der Türkin Lil Zey. "Elmas" heißt der Song mit dem orientalisch inspirierten Drill-Instrumental, auf dem besagte Zey erst eine ätherische, immersive Hook singt, bevor sie dann selbst einen Abriss-Verse mitliefert.
Am Ende wäre ein Album wie "Aqua" ja schon gut, wenn die Ausbeute stimmt. Aber nicht nur hat Luciano hier eine Handvoll der besseren modernen Deutschrap-Songs aufgefahren, die ganze Platte hat in Sachen Stimmung und Atmosphäre einen überraschend deutlichen und ambitionierten roten Faden. Er hat interessante und teils unerwartete Feature-Gäste an den Start geholt und auf fast jedem Song eine konkrete Idee, was er erreichen will. Dass es ein paar textliche Hänger und ein bisschen Überlänge gibt, verzeiht man da gerne. Denn würden sich alle Pop-Rapper für ihre Projekte in diesem Ausmaße reinhängen, dann wäre deutscher Pop-Rap gerade ein sehr viel spannenderer Ort.
6 Kommentare mit 3 Antworten
4/5, habt ihr Lack gesoffen?
Mucke für den... ach ne, derart maue Gags spare ich mir lieber.
Ungehört 0/5, sollte klar sein.
Nun ja, wer immer diesen Gag so auslutschte, hat dabei immerhin darauf geachtet, dass nicht ein einziger Tropfen daneben ging und kann sich daher sicher sein, dass Darth Reznor in solchen Momenten vom Starfuckers-Todesstern™ aus milde lächelnd auf ihn oder sie herab blickt.
Edith: Ihn oder sie... oder eben dein Sternchen. Sollte klar sein.
Kann hier luciano zum ersten mal was abgewinnen. Die deepen cuts sind saugut.
Gerade Arrived gehört. Man das Ding hat Stimmung. Der Rap ist zwar mehr oder minder belanglos, aber wenn die Stimmung so bleibt, ist das was. Werde mir das Album mal geben in nächster zeit
Warum macht der werte Herr eigentlich nichts mehr mit Nikky Santoro? Loco Squad und dann nix mehr? Jemand einen blassen?
Sind schon ein paar echt sehr gute Tracks drauf, aber diese Monstrum-"Alben" find ich komplett daneben... Die 10-12 besten Tracks rausgezogen wäre es ein echt denkwürdiges Album, so ists die nächste Streaming-Bombe, bei der die guten Tracks im Gesamtbild untergehen... Da hilfts auch nicht, dass alles stimmungsmäßig gut zusammenpasst, ab der Hälfte treten spätestens Ermüdungserscheinungen auf.
Ich denke, der Name Luciano stammt vom Wort Lutscher ab
Dang. „Give me something“ hat den urheftigen beatdrop, des klingt so unfassbar schön. Sehr zu empfehlen.