laut.de-Kritik

Keine Regeln, keine Kompromisse.

Review von

Wer im Frühling 2018 die deutsche Medienwelt und ihre Debatte um Antisemitismus in Kollegahs und Farid Bangs durchschaubar inszeniertem Eklat verfolgte, dürfte sich kurz ins Jahr 2005 zurückversetzt gefühlt haben. Damals stellte die SZ die Frage: "Rechts: Auch nur ein Image?" Den Grund des Aufruhrs lieferte Flers lüsterne Umgarnung des Deutschnationalismus'. Ebenfalls erwähnt: die Gruppe M.O.R. Die Presse zitierte hierbei in bester Sippenhaft-Tradition Passagen, die ein einzelnes Mitglied Jahre vorher veröffentlicht hatte.

Allerdings war die SZ nicht von ganz alleine auf diesen Trichter gekommen. Bereits 2002 erschien in der Intro ein Text von Hannes Loh, der den Deutschen ein neues Phänomen vorstellte: den Nazirap. Darin schreibt er: "Die West-Berliner Crew MOR beispielsweise verwendet das N-Wort in jedem zweiten Satz. (…) Vor allem die seit dem Erfolg von Brothers Keepers immer selbstbewusster vorgetragenen offen rassistischen Ressentiments vieler 'Underground-MCs' tragen dazu bei, Deutschrap als Jugendkultur loszulösen aus dem Kontext 'schwarzer Kultur' und auch für Rechte interessant zu machen."

Man muss bestätigen, dass Teile der Berliner Rapszene damals ebenso selbstverständlich und auch in den selben Kontexten die N-Bombe nutzten wie ihre Kollegen von der amerikanischen Westküste. Ob sich M.O.R., bestehend aus vier Deutschen, einem Ungarn und drei Deutschtürken, von denen einer romantisch mit der deutschen Produzentin verbandelt war, wirklich als Role Model eigneten, um Rechtsradikale in Scharen zur Black Music zu bekehren, bleibt zweifelhaft. Dass sie hingegen nicht nur die Hauptstadt endlich ernstzunehmend auf die Deutschrapkarte setzten, sondern auch deutschem Battlerap den benötigten Kickstarter boten, darf als gesichert gelten.

Obwohl nach eigenen Angaben maßgeblich von N.W.A. geprägt, erinnerten die Jungs viel eher an eine Berliner Version des Wu-Tang Clans. Acht unterschiedliche MCs, jeder mit völlig unterschiedlichem Flow und eigener Attitüde, dazu kamen mit Jeyz, Lenny, Lakmann und Azad nicht minder eingängige Featuregäste. Die ständige Melange verschiedener Rapper bescherte NLP eine unbändige Dynamik, die eine extreme Bandbreite an Beatstilen noch zusätzlich untermalte.

"Unsere Instrumentals sind für deine Hoes zu strange, doch ich step' ans Mikrophon und rap', bis meine Stimme flanged." Die drei von Savas sehr puristisch produzierten Stücke "BR8", "Eintr8" und "Gib 8" sind von der Platte ebenso wenig wegzudenken wie der 80er-Funk in "Spreng Die Bank", gebastelt von Fumanschu, oder Martin Bs "Hörst Du, Was Du Sagst?" mit gefühlten 25 Percussion-Elementen über einem enorm simplen Sample. Eingängigere Beats stammten von Melbeatz oder Savas' Cousin RonaldMackDonald: "NLP", "Elefanten" oder "Wer Du Bist, Wie Du Heißt" hätten auf einer Rapparty durchaus zwischen den Beginnern und Samy DeLuxe laufen können, auch wenn man als DJ dafür von MOR gedisst worden wäre.

In deren Augen waren alle anderen einfach nur wack: Hier wurde Battlerap gemacht, und zwar aus dem tiefsten Untergrund heraus. "Manche Leben in Häusern, Bosse leben in Schlössern / Underground MCs leben unter der Erde in Löchern / wo sie Dopeness speichern wie Kamele Fett in den Höckern." Mit Zeilen wie "Denn ich kack' auf alles, Sakko, Fliege, Industrie und Meeting / Denkst du wirklich, dein kopierter Beat kann Premo überbieten?" schrieben M.O.R. die Konkurrenz schlicht als Sell-Out ab.

Diese kompromisslose Attitüde zog sich durch die ganze Platte. Sie hielt sich schlicht an keine Regeln. Die ersten vier Tracks hätten allesamt jeweils einen mehr als passablen Opener abgegeben. Mal wurde es finster, dann plötzlich funky, mal gab es Hooklines, mal nicht, mal durfte J-Luv croonen. "Frisch und rotzig wie die Sex Pistols im Sommer 76", beschrieb das Magazin Spex das Album. Aber immer mit gerade noch genug Eingängigkeit und Melodie, um eben nicht – wie Savas' andere Crew Westberlin Maskulin – ein absolutes Nischenthema für Liebhaber zu bleiben. Gerade Melbeatz erfand einen Stil, der deutschen Rap in den Folgejahren musikalisch geprägt hat.

"Du willst mir wirklich sagen, was Rap ist und was nicht / fass' dich kurz, bevor du unter der Last meines Hasses brichst / Ich step' ans Mic. Du bist ein Rapper? Tight / dann rhyme und flow! Doch ich zerquetsche dich, Hoe / du bist leider nicht geeignet, um Rap zu begreifen / in fünf Wörtern: Du bist nichts als Scheiße / Battle Boss S, ich rappe so fresh, kill' deine Crew mit nur einem Text." Auch wenn Savas und Justus sicher die technisch versiertesten Rapper der Gruppe waren, an überzogenem Selbstbewusstsein und mannigfachen Phantasien, wie die gegnerische Crew gequält und vernichtet werden solle, mangelte es ihren Kollegen keineswegs – auf die Spitze getrieben von Jack Orson, der als Kunstfigur einen Raproboter erschuf, aufgewachsen auf einem Autofriedhof und ernährt von Radkappen, bereit, die Welt zu unterjochen.

Kool Savas strafte den Intro-Schreiberling später in seinem Eko-Disstrack mit den Worten ab: "Du bist ein Typ, der Lügen verbreitet wie Hannes Loh." Sicherlich hätte es dem Mann damals gut zu Gesicht gestanden, seinen Lesern wenigstens Tupacs "Nigga"-Definition als alternative Erklärung mitzuliefern oder sich mal mit dem Zugpferd des ziemlich linken Labels Royalbunker selbst auseinanderzusetzen. Dennoch hätte Lohs Kritik einen soliden Grundstein für künftige Diskussionen legen können. Nein, müssen. Denn so relativ harmlos, wie M.O.R.s Texte 2001 tatsächlich waren, ist deutscher Battlerap in den kommenden 15 Jahren nicht geblieben.

Tatsächlich folgte eine moralische Grenzüberschreitung auf die nächste, immer auf der Jagd nach der derbsten Punchline, dem härtesten Image. Die wenigen, die sich mit dieser Entwicklung kritisch auseinandersetzten, belächelte die Szene meistens, oder disste sie. "Die Rechtfertigung moralischer Aussetzer in Rapmusik wird stets mit dem Argument untermauert, im Battle-Rap sei das nun einmal so und das Bürgertum könne das nicht verstehen. (...) Ich selbst habe etwas Zeit gebraucht, um eine ähnliche ästhetizistische Argumentation fallen zu lassen und meine eigenen einstigen homophoben Textpassagen nicht mehr zu verteidigen. Der Verzicht auf Diskriminierung Andersdenkender, -liebender oder -glaubender ist keine Zensur, sondern moralisches Handeln, zu dem auch die Kunst Übergänge hat", schrieb Retrogott nach der eingangs erwähnten Preisverleihung.

Gingen mehr deutsche Battlerapper so erwachsen und selbstkritisch mit ihren Jugendsünden um, diese überfällige Diskussion innerhalb der Szene stünde heute in voller Blüte. Statt dessen muss Battlerap damit leben, dass die Debatte über ihn geführt wird – via BILD-Schlagzeilen, von den Campinos und Westernhagens dieser Welt.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Intro feat. Valeska
  2. 2. Schlangen feat. J-Luv
  3. 3. Tsjakkaa (Skit) feat. Emile Ratelband
  4. 4. NLP
  5. 5. Eintr8
  6. 6. Elefanten
  7. 7. Wer Rhymed Gewinnt feat. Laki, Jeyz, Lenny
  8. 8. BR8
  9. 9. Hörst Du, Was Du Sagst?
  10. 10. Louis (Skit)
  11. 11. Bei Mir
  12. 12. Wer Du Bist / Wie Du Heisst
  13. 13. Gib 8
  14. 14. Spreng Die Bank
  15. 15. Jeden Weg feat. J-Luv
  16. 16. Fremd Im Eigenen Land II
  17. 17. Nordwestberlin feat. Azad
  18. 18. Rain

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12 Kommentare mit 23 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Hast du nicht auch die Simply the Best Rezi geschrieben? Konntest du den Schock mittlerweile verarbeiten?

    • Vor 6 Jahren

      Das Zauberwort heißt Verdrängung. War aber auch noch ein echt okayes Mixtape dazwischen :)

    • Vor 6 Jahren

      Klar, Hiphop is still ok habe ich natürlich auch. Fand deine Rezi damals nur zu geil. Man hat halt richtig gemerkt: jepp, der ist angepisst. Kann mich daran noch erinnern, weil ich das Album damals gar nicht so scheiße fand. Klar riesen Unterschied und es waren mit diesem jump Track auch wirklich totalausfälle drauf und das Album ist wirklich das schlechteste von Mor, aber so kacke war es auch nicht.

    • Vor 6 Jahren

      Big Derill Mack ist eben nicht Savas - egal, was RB uns früher einreden wollte.

    • Vor 6 Jahren

      Ja, kann gut sein dass damals ein bisschen der enttäuschte Fanboy aus mir rauskam :-)

    • Vor 6 Jahren

      Ach, alles gut. Fand die Rezi ja unterhaltsam.

      Das mit Derill war eh geil. Und wie Staiger ihn die ganze Zeit als neuen Savas verkaufen wollte. Alleine seine Stimme. Er hat nach Mor wohl noch ein paar Sachen gebracht, hat aber niemanden interessiert. Wahrscheinlich wieder auf dem Bau. Was ja nichts schlechtes ist.

  • Vor 6 Jahren

    für mich eines der besten alben überhaupt. kann man auch heutzutage noch hören...allein das bender sample wird nie alt...ronald mc donald mit der mächtigsten punchline ever...schade das es sowas heute nicht mehr gibt

  • Vor 6 Jahren

    Super gut, auch heute noch! Westberlin Maskulin wäre ebenfalls einen Meilenstein wert! ^_^