laut.de-Kritik
Alles riecht viel zu stark nach Jugendzimmer.
Review von Hardy FunkDer Albumtitel und -Opener ist Ansage, so viel ist klar: "Wo Es Beginnt" ist wo Madsen hinwollen. Mit den Zeilen "Ich weiß, ich war nur blind/ Ich stehe, da wo meine Füße sind/ Wo es beginnt!" spielt und singt das Brüdergespann sich in den ersehnten Neuanfang.
Wenn es denn nur so wäre. Madsen traten 2005 mit so viel Verve an, dass man sie für einen kurzen Moment beinahe für die neuen Tocos gehalten hat, wo sie selbst doch lediglich die neuen Sportis sein wollten. Bald waren sie von Tomte kaum mehr zu unterscheiden, woran allerdings Tomte-Kopf und glühender Madsen-Fan Thees Uhlmann genau so seinen Anteil hatte. Dann gingen dem Brüdergespann ziemlich schnell die Sehnsucht, die Wut und die Melodien aus, und nicht mal für die Sportis hat es bis heute so richtig gereicht. Nun wollen Madsen also zurück. Zurück ins Jahr 2005 und zurück aufs Land, zurück dahin, "wo es beginnt".
Leider ist das Ungestüme und Lockere des ersten Albums immer schwer wieder einzufangen. Viele Bands sind schon daran gescheitert, schlaue Bands versuchen es erst gar nicht. Auch Madsen gelingt es nicht. Zumal die großen Melodien trotz penibler Rekonstruktion des 2005er Ambientes - die Band nimmt im Gaga Stuio in Hamburg auf, spielt die Songs live ein statt Spur für Spur und analog statt digital - nicht wiederkommen.
So klingt dann auch das schwer an "Schrei Nach Liebe" von den Ärzten erinnernde Gitarren-Gedengel, das "Lass Es Raus" einleitet, eher nach Kalkulation denn Ekstase. Böse Zungen sprachen ja schon manches Mal im selben Satz von Baukasten-Rock und Madsen. Gleichsam sorgfältig auf das Zielpublikum hingedichtet kommt der Text daher: "Wenn ein Rebell in dir haust/ Dann halt ihn Bitte nicht auf/ Wenn sich Druck aufstaut/ Dann lass es raus!" Auf jeden Fall ein guter Rat für die Teens dieser Welt, aber irgendwie auch ganz schön platt. "Baut Wieder Auf" empört sich, statt Rat zu geben, bleibt aber musikalisch in gefälligen Pop-Metal-meets-Gitarrengeschrammel-Gefilden. Beim vierten Lied nerven die geschrieenen Refrains langsam, aber so ist das halt bei Rocken nach Zahlen: Metal-Riff = gefährlich, Geschrei = wütend. Die kraftwerkigen Synthie-Flächen am Anfang von "Lass Die Musik An" sind dann eigentlich das erste, was man bis dahin loben kann.
Immerhin, eines ist wie damals (und wie eh und je) bei Madsen: Wie 2005 machen sie Musik für das letzte Jahr Schule. Das Jahr, in dem die weite Welt mit all ihren Möglichkeiten lockt und droht, sich aber immer noch in ausreichend sicherer Entfernung befindet. Selbstverständlich kann man im letzten Jahr Schule auch schier Unendliches an aufregenderer Mucke hören, das steht gar nicht zur Debatte. "Die Welt Liegt Vor Dir" jedenfalls ist schon im Titel so ein Song, und zögert nicht, die Drohung auch textlich wahr zu machen: "Der erste Schritt ist schon getan/ Du musst einfach weiterfahr'n/ Darfst niemals den Mut verlier'n/ Blitz und Donner folgen dir/ Aus der Höhle in die Welt/ Voll auf dich allein gestellt/ Du fühlst dich wie neu gebor'n/ Und wer nicht sucht hat schon verlor'n". Wie ist das eigentlich, Madsen, mit 30 Lieder übers 17-Sein zu singen?
Die unvermeidliche Ballade "So Cool Bist Du Doch Nicht" gerät mit dem Gesang von Live-Keyboarderin Lisa Nicklisch und wehleidigen Streichern arg schmachtend und unsäglich radiotauglich. "Für Immer Dein" findet trotz ähnlich pathetischer Liebesthematik ("Ich habe mich geschlagen für dich") zurück in den Rock. Und den schreiben Madsen auch hier wieder in Großbuchstaben, ganz ungerührt der Tatsache, dass sich sonst schon lange niemand mehr traut, überhaupt "Rock" zu sagen, weil's so peinlich ist. Ebenfalls keine Angst vor Peinlichkeit hat übrigens Hardcore-Legende Walter Schreifels (Youth Of Today, Gorilla Biscuits, Rival Schools): Schreifels riskiert den Legenden-Status und trägt zu "Love Is A Killer" die englischen Refrain-Zeilen bei. Man kann nur hoffen, er wusste nicht, was er tat. Kurz nach dem Refrain gibt es übrigens den zweiten schönen Moment der Platte, als die Trompeten auftauchen.
"Generation im Arsch" zeigt: Auch Madsen haben von der "Generation Praktikum" gehört und sind empört, ach was, außer sich vor Empörung. Und was macht man, wenn man außer sich vor Empörung ist, die ganze Zeit aber schon geschrien hat? Noch lauter schreien! "Wir reden hier von Zukunft/ Wir reden hier von Angst!" Keine Frage, die Situation ist äußerst verzwickt und produziert tatsächlich unter anderem Angst. Etwas unklar ist allerdings, ob die "Generation Im Arsch" von Madsen eine Dose Mitleid bekommt oder auf der Anklagebank sitzt: "Eltern haben rebelliert/ Wir haben Medien studiert." Werden hier Festanstellungen von den Arbeitgebern gefordert oder mehr Abenteuerlust auf Seiten der jungen Erwerbssuchenden?
Ansonsten ist das natürlich so ein Konsens-Aufreger-Thema. Das kann man als Madsen ohne Gefahr aufgreifen, damit eckt man nirgendwo an, sogar Mami und Papi dürften da mit ihren Kids einer Meinung sein. Radikal ist anders. Madsen sind übrigens auch gegen Umweltverschmutzung, Atomstrom, BSE, Klimawandel und Terrorismus. All das sind nämlich Sachen, die das schöne Leben im paradiesischen Deutschland bedrohen. 1980 hießen Songs, die gegen etwas waren, noch "Angriff Aufs Schlaraffenland", heute also "Alarm Im Paradies". Generation im Arsch, in der Tat. "Wohin sollen wir noch fliehen/ Wenn es nichts mehr gibt?" fragt Sänger Sebastian Madsen im erwähnten Song. Ich würde ja die Arme von Silbermond vorschlagen, da könnte man immerhin schonmal die Sehnsucht nach Sicherheit und Beständigkeit teilen, siehe "Irgendwas Bleibt". Es ist bezeichnend, dass Madsen weder etwas verändern, noch jemanden verkloppen wollen, sondern einfach nur fliehen.
De facto aber haben Madsen ja gar keine Probleme. Weil Rockmusik aber nunmal aus Liebesliedern und Protestsongs besteht, regen sie sich gerne stellvertretend auf. Und sich stellvertretend aufregen ist im Grunde solidarisch, also eigentlich genau das, woran es immer mehr mangelt. Nur ist es halt so, dass im Fall Madsen alles viel zu stark nach Jugendzimmer riecht. Vielleicht erklärt auch die Tatsache, dass die vier Jungs diesem Zimmer 2005 noch viel näher waren als heute, warum es mit dem Neuanfang qua Rückkehr gar nicht klappen konnte.
35 Kommentare
Der Refrain von "Baut Auf" klingt mir wie ein schnödes, gegenteilig ausgedrücktes "Macht kaputt, was euch kaputt macht" Madsen ist auch so eine Band, bei der man immer wieder sagt "die klingen, wie xxx". Ich habe aber noch nie gehört, dass jemand sagte "xxx klingen genau, wie Madsen". Textlich und vor allem stimmlich (finde ich zumindest) wird einem nicht viel geboten, die Instrumentals gehen in Ordnung. 2/5 von mir.
Der Verriss war mir nach dem ersten Mal durchhören schon klar^^ Ich find es (leider) etwas schlechter als Goodbye Logik, was bei mir schon ganz unten war.
Bierphilosophie und Stammtischlyrik. Nicht mal Hipster hören sich das an. Fürchterlicher Kram.
@Muzl (« Der Sänger könnte ruhig öfter mal so klingen: http://www.youtube.com/watch?v=EsWS2z3n3HM »):
Zielgruppen-Metal ist schon was feines :[
3. HINWEIS an LAUT.DE
... kümmert euch bitte mal um den ominösen "ANONYMOUS"! Allein hier sind 8 Einträge zu verzeichnen !!! Was bedeutet das ?
ich finde einen stern zu wenig (sorry, aber so was sollte man sich für justin bieber und co aufheben), aber 3 würde ich auch nur geben, wenn ich richtig gut drauf bin, da ich finde, dass dem album die leichtigkeit, die madsen immer hatten beinahe komplett abhanden gekommen ist