laut.de-Kritik

Ein Songwriter-Moment, der gehört werden muss.

Review von

In ihren Anfangstagen war Ndegeocellos Sound noch ein wilder Mix aus Hip Hop, Funk und Rock. Das roch mitunter nach Großstadt, nach Lärm und Hektik. Mit "Weather" hat sie sich endgültig von den lauten Straßen entfernt und in dunklen versteckten Ecken ohne Trubel eingenistet. Es herrscht tiefe Nacht, Pfützen auf endlosen Straßen spiegeln nur noch das schmutzige Licht von flackernden Neonleuchtreklamen.

Den Weg hierher schlug sie bereits mit "Devil's Halo" ein, doch erst mit Produzent Joe Henry kam Meshell Ndegeocello an. Er sperrt ihre in alle Richtungen fließende Kreativität nicht ein, sondern bündelt sie und fügt sie zu einem Album aus einem Guss zusammen, das als Gesamtbild funktioniert.

Ein tiefer Bass durchdringt jeden einzelnen Track und bildet den Puls von "Weather". Der Fokus der einzelnen Songs liegt auf der fast flüsternden Stimme und den intimen Momenten der Lyrics. Sie werden bis auf das Wesentliche gebrochen und sind dann am schönsten, wenn ihnen die Ecken noch ausgefranst vom Leib hängen. Die zerbrechlichen Arrangements bieten eine verhaltene, ruhige Ästhetik. Ndegeocello selbst sagt: "Lange Zeit war ich im Krieg mit allen anderen. Ich kämpfte hart, aber das ist jetzt alles vorbei." Sie scheint sich nun selbst gefunden zu haben. Wünsche und Hoffnungen stehen im Mittelpunkt. Nie gibt sie sich der Melancholie, die sämtliche Songs fest ummantelt, vollkommen hin. Immer scheint noch irgendwo ein Funke Hoffnung und Wärme, die uns wie ein warme Decke muckelig umgibt.

Dass die Songs - im Gegensatz zu früher - auf der Gitarre entstanden, ist deutlich zu hören. Die einzelnen Stücke, die ihre Wurzeln im Pop-Folk haben, dabei aber Jazz als wichtigste Inspirationsquelle sehen, kommen ohne moderne Spielereien und Anbiederungen an den Jugendwahn aus. Für die Aufnahmen standen maximal zwei bis drei Takes zur Verfügung, um Spontaneität und Frische einzufangen.

Mit dem Titeltrack, einem Down Home-Blues, rumpelt "Weather" los. Er bietet die Blaupause für das Album. Ein Spannung erzeugendes Gegeneinander tritt ein. Das Schlagzeug versucht schleppend, das Ende zu erreichen, Melodie und Gesang halten dagegen. "Let's run away with the moon tonight / I know a place where we can hide / If the sun finds out, I'll blame it on the weather."

In "Chance" feiert sich Ndegeocello als Monopopstar während in "Objects In Mirror Are Closer Than They Appear" die Geigen betrunken von Hauswand zu Hauswand schwanken und gerade noch zum Refrain die rettende Heimat erreichen.

Wie ein hässlicher altbekannter Hund mit schmuddeligen Fell, lahm und auf einem Auge blind, hat sich "Chelsea Hotel" in die Mitte des Albums geschlichen. Im Original von Leonard Cohen, eignet sie sich den Track an und beweist zugleich, dass sich keiner von Ndegeocellos Songs vor dem Altmeister verstecken muss.

Den Beleg hierfür liefert "Oyster", das Herz von "Weather". Näher als hier kann man an einer fremden Person über Musik nicht kommen. Unter einer Gesangsmelodie, die einer schönen Erinnerung gleichkommt, richtet sie wehmütig ihre Beobachtungen auf die menschliche Existenz und zielt dabei doch zwischen ihre eigenen Augen. Die Kraft der Worte und deren Intimität töten. "Everybody talkin' about changing the world / The world ain't ever gonna change / But you can always change it for me." Ein Singer-Songwriter Moment, der gehört werden muss und vor dem man sich nur zutiefst verbeugen kann.

Erst im letzten Drittel zeigt sich die Bassistin. Eine markante, tiefgroovende Bassline trägt "Dirty World". Leider wurde dagegen beim viel zu einfallslosen Refrain geschlurt. Eine vergebene Chance.

In "Crazy And Wild" trifft ihre zerbrechliche Stimme mit dem grantelnden Organ von Chris Connelly, früherer Sänger der Revolting Cocks, zusammen. Begleitet von einem fiebrigem Traumklavier, entwickelt sich im Gegensatz der beiden Interpreten eine klaustrophobe Stimmung. Man spürt die eigene Faust im Magen.

Ausgerechnet über "Dead End" und seiner fahrigen Gitarrenschleife blitzen die ersten Sonnenstrahlen auf, jede Nacht hat ein Ende. Mit dem Cover von "Don't Take My Kindness For Weakness", dass die Soul Children 1972 in weiser Voraussicht scheinbar nur für dieses Album und den Herbst 2011 schrieben, ist das Ziel erreicht.

Trackliste

  1. 1. Weather
  2. 2. Objects In Mirror Are Closer Than They Appear
  3. 3. Feeling For The Wall
  4. 4. Chance
  5. 5. Oysters
  6. 6. Rapid Fire
  7. 7. Chelsea Hotel
  8. 8. Dirty World
  9. 9. A Bitter Mule
  10. 10. Crazy And Wild
  11. 11. Petite Mort
  12. 12. Dead End
  13. 13. Don't Take My Kindness For Weakness

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