laut.de-Kritik

Hochkarätige Musik, und doch mehr als 'nur' Musik.

Review von

Jake Savona ist ein Globetrotter, ein Kosmopolit, ein Typ für den interkulturellen Austausch. Der Australier verteidigt mit Herzblut Sizzla und Capleton, Dancehall-Acts, deren Musik er auf Hochglanz polierte, die aber in der öffentlichen Wahrnehmung als homophob gelten und das Genre in Verruf brachten. Man brauche sich aber nicht wundern, die Kolonialgeschichte sei ja schuld, so Jake a.k.a. Mista Savona, dessen neue CD "Presents Havana Meets Kingston 2" entsprechend mit "The Fire From Africa" beginnt und den Sklavenhandel ins Gedächtnis ruft. Der studierte Keyboarder aus Melbourne macht sich gerne ein eigenes Bild von Menschen. Und fürs Projekt "Havana meets Kingston" vernetzt er sie miteinander. Innerhalb Jamaikas sei das ja einfach und ergebe sich so von selbst, erzählt er uns: "Fragst du in Kingston nach jemandem, dann findest du ganz schnell einen, der 'nen anderen kennt und wieder jemanden kennt, und dann wirst du 'rum gereicht, die Wege sind kurz." So funktioniert das easy.

Nahezu gar keine Verlinkung findet jedoch zwischen den Nachbarinseln Kuba und Jamaika statt. Obwohl sie nur 180 Kilometer auseinander liegen. "Ich saß 2014 in einem Café in Havana, hörte diese Musik dort, und dachte mir: Kann man die mit Reggae und Dancehall zusammen bringen? Aber ich ging davon aus, dass jemand vor mir schon mal diese Idee gehabt haben musste. Dem war aber nicht so. Wohl weil beide Inseln kaum Kontakt miteinander haben und es für den Einfall einen Außenstehenden brauchte." Der erste Teil von "Mista Savona Presents Havana Meets Kingston" entsteht dank des Engagements des Schlagzeugers Sly Dunbar. Der brachte ihn mit seinem Partner Robbie Shakespeare zusammen und mit zig anderen Leuten von der Rasta-Insel. Die Reggae-Heads, die allseits kein Spanisch sprechen und kaum was über Són, Rumba, Salsa & Co. wissen, treffen auf Leute aus den alternativen Rap-, Funk-, Jazz- und Latin-Szenen Havannas.

Der Release und vor allem seine jetzige Fortsetzung zeigen die Grenzen des Musikschaffens an den 'Rändern' der massenmedial abgedeckten Welt auf, Grenzen, die sich in London oder Berlin so nicht stellen. Aber auch die Chancen. Das Resultat von Teil Eins bringt den Roots-Fans im Herbst 2017 neue Entdeckungen nahe, zum Beispiel die damals noch unbekannte Aza Lineage, die es Anfang 2019 aufs Cover des deutschen Riddim-Magazins schafft.

Teil Zwei dauerte ein wenig, nicht nur wegen der Pandemie, aber auch wegen deren Folgen für die Musikindustrie. "VP hat Teil Eins in den USA rausgebracht, Baco in Europa, beide Firmen haben aber ihre Marketing-Aktivitäten deutlich zurück gefahren", berichtet Jake. Bis das Doppelalbum dann im Herbst 2022 auf Vinyl erscheint, stehen auch noch die Lieferprobleme und seit über zwei Jahren üblichen Presswerk-Engpässe im Weg. Trotzdem musste die Scheibe vor der Tournee schon mal digital und auf CD raus. Sie ist zeitlos und stellt den mitunter covernden ersten Teil mit Neu-Kompositionen in Schatten, die im Studio noch mit den Riddim Twins Sly & Robbie entstanden. Die letzten Recordings von Robbie! .

Stand im Vorgänger jeder Track für sich isoliert, sind dieses Mal alle Komponenten miteinander gut in einem Rutsch hörbar. Fast jeder Song ist ein Meisterwerk. Ein bisschen Ausgeruhtsein sollte man mitbringen, dann aber gibt einem die Brillanz der üppigen Produktionen massiv viel zurück. Weckt Fernweh, befriedigt es aber auch. Marschiert auf Melodie-Level straight ins Ohr. Feiert Musik an sich, in Stücken wie "Reggae Y Son ft. El Médico, Maikel Ante etc.", wo es um den Aufprall von Buena Vista-Mucke und Roots-Grooves geht und um die 15 Musiker*innen für sattesten Sound sorgen. In "Beat Con Flow ft. Cimafunk", einem funky tanzbaren Tune, dessen Beat wirklich viel Flow ausstrahlt. In "Guarachará ft. Dayán Carrera Fernández", dem eine der populären kubanischen Liedformen zugrunde liegt.

Dass "Havana Meets Kingston 2" ein Hit-Feuerwerk für die späten Stunden des Tages ist, bestätigt das stimmungsschwangere "Kingston Nights ft. Bopee Bowen". Die Texte haben jenseits des unvermeidlichen Slogans "We Are One ft. Prince Alla" einigen Tiefgang und kontrastieren politischen Fatalismus mit Hoffnung, Aufbruch, Energie, Dynamik, Optimismus, Feuer: "Solutions (We Can Do It) ft. Stevie Culture". Der Gitarrist und Riddim-Produzent Stevie Culture vertritt das Lebensmotto "Denk nicht ans Problem. Denk an die Lösung. Sei glücklich über das, was du tust." Die Riff Patterns des schwungvollen, melodiösen Liedes brennen sich sofort ein und tragen genau diese Botschaft mit maximaler Überzeugungskraft.

In "Lágrimas Negras ft. Beatriz Márquez" ("Schwarze Tränen") und "Slave Trade ft. The Jewels" kommt die Sklavereigeschichte mal angedeutet, mal offen zur Sprache. Sie eint auf seltsame Weise die beiden Nachbarinseln. Mit Beatriz Márquez erzählt eine lange untergetauchte Bolero- und Latin Jazz(funk)-Sängerin mit einer hörbar weiten Oktav-Spanne ihren Part.

Als junge Studienabsolventin für Komposition und Klavier wurde sie ab 1970 in der sozialistischen Staatenwelt herumgereicht. Recht unbeschriebene Blätter sind derweil Glasford Manning und eine dieser vielen Vokal-Harmonie-Gruppen aus Jamaikas Seventies: The Jewels. Den Song "Slave Trade" nahmen sie 1979 schon auf. Ein enorm berührendes schwermütiges Stück. Eines der besten, die das Kapitalverbrechen der Versklavung und Verschleppung aus Afrika über den Atlantik in bittersüßer Melodie thematisieren. Mista Savona hat also wirklich tief geschürft und dabei vieles aus der Musikgeschichte, lebende Oral History, Zeitzeugen aus einer stilprägenden Ära, als Salsa, Dub, Reggae alles neue Dinge waren, an sich heran gelassen, und die Beteiligten miteinander in überquellende Studios geführt.

Bestimmte Namen bleiben haften, die man sonst auf der internationalen Bühne kaum auf dem Schirm hat. Zum Beispiel Brenda Navarrete, eine Hip Hop-vernetzte Perkussionistin, die afrokubanische Tanz-Tradition in einen neuen scratchigen Kontext stellt und eine super angenehme Stimme hat.

Oder Randy Valentine, hoch talentierter Hoffnungsträger des karibischen Lovers Rock, eines vom Aussterben bedrohten Subgenres der '70er und '80er, das seit dem Tod von John Holt, Gregory Isaacs und Dennis Brown nur noch wenige Superstars zählt. Auf der aktuellen Europa-Tournee gibt es, da nicht alle auf CD Teilnehmenden durch die Welt geflogen werden können, ein Set von Roots-Sänger Micah Shemaiah. Das ist zwar aus der Not geboren, aber Shemaiah steuert mit dem Opener und dem lässig-perkussiven "Destiny" auch zwei Key Tracks des Albums bei. "Destiny ft. Micah Shemaiah" erzählt zwar von Nächstenliebe und Zusammenhalt, zum Beispiel zwischen Muslimen und Christen, steckt aber in einer grundtieftraurigen Stimmung. Womöglich macht genau die, im inneren Widerspruch zum flink vorwärts stolpernden Beat, das Lied so intensiv.

Stimmlich und handwerklich wie alles hier ein hervorragender Earcatcher, dem man schon aufgrund der handwerklichen Qualität und des visionären Anspruchs gerne zuhört, ist "Destiny" auch überhaupt einer der größten Roots-Tunes der letzten Jahre. Hymnische Momente wechseln mit einem reduzierten Dub-Part inklusive psychedelischer Gitarre, und die Verschmelzung mit Latin-Flair am Piano zu Beginn des Tracks ist großes Kino. Die Nummer reiht sich in die First Class-Garde zwischen Chronixx, Alborosie, Kabaka & Co. in den catchy vibes-Tunes mit.

Auf ein größeres und älteres Roots-Publikum zielt vermutlich "The Human Chain ft. Clinton Fearon", ein gemütlicheres Stück im Stile des Inna De Yard-Projektes. Der Theme-Track "Havana Meets Kingston ft. Brenda Navarrete" und "Siempri Si ft. Brenda Navarrete, Randy Valentine etc." definieren den abgestandenen Genre-Begriff 'Worldmusic' neu. Da zuzuhören macht bereits intellektuell Spaß, aber man kann da auch ganz schwer ruhig sitzen bleiben. Hochkarätige Musik, und doch mehr als 'nur' Musik.

Trackliste

  1. 1. The Fire From Africa ft. Anyilena, Micah Shemaiah etc.
  2. 2. Siempre Si ft. Brenda Navarrete, Randy Valentine etc.
  3. 3. Guarachará ft. Dayá Carrera Fernández
  4. 4. The Human Chain ft. Clinton Fearon
  5. 5. Solutions (We Can Do It) ft. Stevie Culture
  6. 6. Havana Meets Kingston ft. Brenda Navarrete
  7. 7. Lo Que Quieres ft. Barbarito Torres, Rolando Luna
  8. 8. Lágrimas Negras ft. Beatriz Márquez
  9. 9. Beat Con Flow ft. Cimafunk
  10. 10. Destiny ft. Micah Shemaiah
  11. 11. Kingston Nights ft. Bopee Bowen
  12. 12. Reggae Y Son ft. El Médico, Maikel Ante, Telmary etc.
  13. 13. Slave Trade ft. The Jewels
  14. 14. Juramento ft. Julito Padrón, Solis
  15. 15. We Are One ft. Prince Alla

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