laut.de-Kritik
Begleitmusik zur Lektüre der Philipp Lahm-Bio.
Review von Sven Kabelitz"Cantaloop (Flip Fantasia)" hat den Jazz versaut. Die Us3-Single mit dem Herbie Hancock-Sample nahm 1993 unzählige Neugierige an die Hand und führte sie an das Genre. "Khmer" hat den Jazz verdorben. Nils Petter Molvaer führte elektronische Musik und das Genre 1997 erstmals stimmig zusammen.
Das Problem: Die meisten Jazz-Musiker, die total kreativ moderne Einflüsse in ihr Werk einbinden wollen, beziehen sich direkt oder indirekt auf diese beiden Werke. Nur, dass die Neunziger zwanzig Jahre zurück liegen. Leute, mittlerweile haben wir 2017. Lasst euch endlich mal etwas Neueres einfallen als eure Musik mit ein paar schimmeligen Beats und etwas altbackenem Synthiegeplucker zu untermalen. Seid kreativ, um selbst in der Zukunft die Rolle von Us3 oder Molvaer einzunehmen.
Der mit Preisen überhäufte Trompeter und Komponist Nils Wülker begeht nun den Fehler, genau das nicht zu tun. Seinem Album "On" fehlt es an jeglichem Erfindertum. Anstatt neue Wege zu suchen, spult er die in diesem Bereich gängigen Standards runter. Nicht einmal die Co-Produzenten The Krauts (Peter Fox, Marteria, Miss Platnum) wenden die gestrige Ästhetik ab. Im schlimmsten Fall sind sie sogar direkt daran beteiligt.
Gelangen Wülker auf dem Vorgänger "Up" noch interessante Kompositionen, verliert sich "On" im Nirgendwo. Das Resultat ist Kaffeestuben-Jazz. Jazz zum Nicht-Zuhören. Jazz als Nebenprodukt. Jazz, bei dem man wunderbar nebenbei die seichte Philipp Lahm-Bio lesen kann. Das will doch keiner! Nichts sagt etwas aus, nichts schmerzt, nichts berührt.
Rob Sommerfield ("Never Left At All", "Grow") und Marteria ("Change") passen sich dem Gesamtbild des Longplayers an. Sie schlendern kurz ans Mikro und hinterlassen keine bleibenden Spuren. Für die wenigen Lichtblicke sorgt Schlagzeuger Benny Greb. Lässt Wülker ihn in "Trust", "Pull Of The Unknown" oder "Conquering The Useless" kurzzeitig von der all zu kurzen Leine, kommen auf "On" erstmals Emotionen ins Spiel. Er wirbelt all den Staub auf, der sich nach seinen kurzen Ausbrüchen jedoch sofort wieder über das Klangbild legt.
Mit "On" bietet Nils Wülker das Jazz-Äquivalent zu "Songpoeten" wie Tim Bendzko, Mark Forster, Max Giesinger oder Udo Lindenberg: gut sortierter Dienstleistungs-Jazz für gut sortierte deutsche Haushalte.
3 Kommentare
Hmm, hab sie heute zum ersten mal gehört. Ich kann das zum Teil unterschreiben, finde aber schon, das es bei vielen Songs, die sehr fragmentarisch bleiben zum Teil, sehr gute Momente gibt. die Frage ist: sollte man von Wülker mehr verlangen?
Dann werd ich wohl mal noch in die UP reinhören müssen ..
By the Way: wenn der auch eine UP herausgebracht hat, gibt es also schon drei: die von Gabriel, die von REM und die vom Wülker ... wird unübersichtlich.
Ich geh total mit und finde die ewigen US3 und Molvaer Anklänge uch langweilig.
Wer allerdings Lindenberg und "die Jim Pandzko Gang" auf eine Ebene stellt hat, weder von Jazz noch von Pop irgendeinen blassen Dunst.