laut.de-Kritik
"Etwas Kulturrrr muss sein". Danke, Rammstein!
Review von Michael SchuhEine seltsame Anekdote umrankte die Veröffentlichung von "Disco 4": Blur-Sänger Damon Albarn soll dem allseits geliebten Popduo Neil Tennant/Chris Lowe für vorliegende Veröffentlichung, immerhin die renommierteste Seniorentanzreihe, untersagt haben, den '94er PSB-Remix von "Girls & Boys" zu verwenden. Grund: Der Blur-Song klinge im Remix wie ein Pet Shop Boys-Song.
Die Begründung ist so schwach, dass man sie dem eigentlich hellwachen Geist und Songwriter Albarn gar nicht zuschreiben möchte. Denn eines war ja wohl schon 1994 so klar wie das "Go West" im Stadionrund: Pet Shop Boys-Remixes klingen immer wie Pet Shop Boys-Songs. Nur eben mit deutlich mehr beats per minute. Zu allem Überfluss soll Albarn dem guten Tennant noch dessen frühere Sympathie für Oasis übel genommen haben ...
Trotzdem: Das Fehlen von Blurs früher Hymne "Girls & Boys" bleibt ein Makel, nicht nur weil die PSB-Version seinerzeit bald bekannter war als das Original, sondern weil sie aus historischer Sicht eine der ersten Auftragsarbeiten für andere Bands überhaupt darstellte. Zwei Jahre nach "Girls & Boys" klopfte immerhin schon David Bowie an, der sein "Hello Spaceboy" anbot, wenngleich er zu jenem Zeitpunkt seiner Karriere wohl auch Jazz- oder Metal-Remixes abgesegnet hätte.
Bei den Pet Shop Boys sollte Bowie jedenfalls gewusst haben, was er bekommt: The 80s are just one click away! Imaginärer Werbespruch: Das Tanzfabrik-Unternehmen Tennant/Lowe garantiert ihnen eine zeitnahe wie lupenreine Four-to-the-Floor-Umsetzung ihres Originals mit reichlich House-Flächen und schön bollerigen Italo Disco-Sounds from the Bobby O. days mit maximaler Reichweite, Disco-Garantie und zur Steigerung des eigenen Brandings. Auf Wunsch singt Neil Tennant auch persönlich.
Bei Bowie endet die Auftragsarbeit damit, dass aus einem eher mittelmäßigen Song ein mittelmäßiger Remix wird, bei Frau Ono kann ich das leider nicht beurteilen, sehr wahrscheinlich ist hier der Remix besser. Die satten Oktavbässe vermögen aber auch auf Dauer nicht Onos an Klaus Nomi gemahnendes Kieksen dem Tanzboden gleichzumachen.
Stilgerecht eröffnet dagegen die Roland-808 den mächtigen Madonna-Remix zum reinen Refrain-Song "Sorry", der die Boys mit dem nicht ganz unerheblichen Problem konfrontierte, dass das Ausgangsmaterial aus den Händen von Stuart Price selbst schon im besten 12"-Format bouncte. Doch wie sagte Chris Lowe vor einem Jahr: "Hung Up" wäre eine noch größere Herausforderung gewesen.
Dass die Remixformel der Pet Shop Boys vor Nichts und Niemandem Halt macht, durften 2004 auch Rammstein erfahren. Der Unterhaltungswert von "Mein Teil" mag sich im Vergleich etwas schneller abnutzen, Charme hat ein Pet Shop Boys-Song mit der Zeile "Etwas Kulturrrr muss sein" in jedem Fall. Und der Remixtitel liefert gleich noch eine güldne PSB-Weisheit mit: "There Are No Guitars On This Mix".
"Integral" zielt mehr noch als das Original auf Massentechno-Events, "I'm With Stupid" ist eine Verbeugung vor der eigenen Vergangenheit und das Killers-Stück "Read My Mind" fügt sich den Trademark-Beats der Briten ebenfalls nahtlos an.
Menschen, die sich beim auf "Disco 3" rausgeklopften "I'm In Love With A Married Man" die Tränen aus dem Gesicht wischen mussten, dürfen heuer bei Atomizers "Hooked On Radiation" austicken: Der BPM-Zeiger dreht sich im Stile von Dead Or Alives "You Spin Me Round (Like a Record)" und selbst der Gesang erinnert an Pete Burns. Fürwahr: Ein Album, das "Disco" heißt, braucht exakt solch ein Stück.
Dass die PSB-Remixes für die Bloodhound Gang ("Mope") und Robbie Williams ("She's Madonna") unter den Tisch fielen, lässt den jüngsten Teil des ehrwürdigen Diskotheken-Projekts dann überaus versöhnlich ausklingen.
1 Kommentar
bahh! musik-kritiker!! merkt euch mal folgendes; ist sonst grausam auszuhalten für musiker:
der bpm-"zeiger" dreht sich bei den meisten remixes (zumindest von psb) nicht wirklich schneller als beim original song!!
nur weil es elektronische drums sind, heißt das noch lange nicht, daß der song dadurch "schneller" wird. so ein grober unfug! das songtempo ist meist identisch mit dem originalsong und seinen akustischen drums!
der rammstein remix ist da mal die rühmliche ausnahme. hier ist das songtempo (und nichts anderes bedeutet BPM; beats per minute, schläge einer viertel-note in einer minute) wirklich mal schneller als im original.
also bitte nicht verwechseln: BPM hat erstmal nix mit der klangerzeugung der "beats" (sollte eigtl. viel besser heißen: drums) zu tun. hiermit ist lediglich das songtempo gemeint.
naja, das einzige was beim madonna remix nach 808 klingt, sind die cowbells. alles andere (vor allem die bd - und die ist ja meist das markanteste) ist wie (meist bei den psb) eher der 909 zuzuorden.
ich weiß, ihr musikschreiberlinge schmeißt gerne mal mit feschen begriffen wie 303, 808, 909 usw. um euch aber wenn man als musiker dann so einen käse lesen muß, tut das schon ein bissl weh. und verwirrt bzw. desinformiert den mainstream.
und: der "hallo spaceboy" remix (im kontext des psb-kataloges) eher mittelmaßig? also bitte!
und "she's madonna" ist kein remix, sondern eine collaboration der psb mit robbie. die jungs haben (wie man sehr gut hören kann) den song mitgeschrieben und mitproduziert
schade, daß hier im review nicht wirklich etwas über die entwicklung der disco-reihe zu lesen ist.
wäre doch interessant für die nicht hardcore fans:
disco 1: extendend mixe eigener songs
disco 2: absolutely schrottiger megamix eines damaligen "In-DJs" eigener songs
disco 3: bunte mischung eigener remixe und alter neuer eigener songs
disco 4: remixe fremder songs
und vor allem das wichtigste: für wahre fans war hier bei der disco 4 nix neues dabei. jeden remix gab's so schonmal irgendwo zu finden bis dato. daher herbe enttäuschung für diese. für die normalos schon ganz okay.
interessant allerdings die blur anekdote am anfang. das wußte ich auch noch nicht. lieber mehr sowas schreiben. dafür weniger fachliche abkürzungen und zahlen wie PBM und 809
gruß!
ernstmosch