laut.de-Kritik
Emotionales Meisterwerk vom Christian Streich unter den Rappern.
Review von Jakob HertlMit 16 Jahren lud er noch Bob Dylan-Cover für seine drei Follower auf YouTube hoch, heute hat er zwölf Karat schwere Zahnschmerzen: Im Jahr 2022 zählt Post Malone zu den ganz großen Superstars der Musikszene – und es könnte nicht verdienter sein. Seit seinem Debütalbum 2016 ist er mit jeder Platte kontinuierlich gereift.
"Stoney" war der trappig, atmosphärische Einstand, mit "Beerbongs & Bentleys" hat er sich im Hip Hop etabliert und "Hollywoods Bleeding" ließ sein Talent für Pop und seine Liebe zu Rock'n'Roll durchschimmern. Mit "Twelve Carat Toothache" lernt man wieder eine völlig neue Seite vom 26-Jährigen kennen, die sich unmöglich in Genre-Grenzen quetschen oder mit Worten beschreiben lässt.
Es ist ein Album, das überrascht und trotzdem nicht purer Post Malone sein könnte. Ein absurd verrückter Titel, die Mischung aus fröhlichen Tracks mit Hitpotenzial und emotionalen Werken, die tiefe Einblicke in seine Gefühlswelten geben. Mit Songs, die einzeln gesehen unter dem Radar fliegen und im Alben-Kontext plötzlich explodieren.
Die beiden Vorabsingles "Cooped Up" mit Roddy Ricch und "One Right Now" mit The Weeknd etwa waren sterbenslangweilig, aber machen im Gesamtbilde plötzlich total Sinn. Der smoothe Übergang von der Auftaktballade "Reputation" zu "Cooped Up" löst bei mir auch beim dreizehnten Hören noch Gänsehaut aus.
Mit "Lemon Tree" führt er die brillante Serie ruhiger, Gitarren-lastiger Kunstwerke wie "Stay" oder "Feeling Whitney" fort. Auf atmosphärischen Stücken wie "Euthanasia" oder "Waiting For A Miracle", die fast komplett ohne Drums auskommen, regiert nur seine Stimme. Gleiches gilt für das warme "Wasting Angels", auf dem er Support von Hype-Sänger The Kid Laroi erhält.
Natürlich gibt es mit Tracks wie "Insane" auch wieder den klassischen, coolen Post Malone-Hip Hop zu hören. Den lockeren Pop-Sound repräsentieren "Wrapped Around Your Finger" und "When I'm Alone". Auf "Love/Hate Letter To Alcohol" mit den Indie-Rockern von Fleet Foxes wird es chaotisch, fast schon episch.
Die zwei absoluten Highlight-Songs muss ich allerdings besonders hervorheben. Zum einen "I Like You (A Happier Song)". Uff, was für ein Hit. Pure Glücksgefühle in einem chilligen Gewand, ähnlich wie schon auf Songs wie "Deja Vu". Feature-Gast Doja Cat ist ja sowieso eine coole Socke, auf dem Song ergänzt sie Post Malone optimal zu einem Track mit maximalem Ohrwurm-Potenzial. Das gilt auch für Highlight Nummer zwei, den darauffolgenden "I Cannot Be (A Sadder Song)" mit Rap-Kollege Gunna.
Allein was die Musik und die kleinen, genialen Details angeht, könnte ich zu jedem Song eine zweiseitige Erörterung schreiben, viel wichtiger sind aber noch die Texte. Mit diesen hebt sich Post Malone auf seiner vierten Platte nämlich noch mal auf eine neue Stufe. Nicht weil sie atemberaubend innovativ oder besonders sind. Im Gegenteil – eigentlich sind sie spektakulär unspektakulär, einfach ehrlich.
Als sein mit Abstand persönlichstes Album hat der US-Amerikaner "Twelve Carat Toothache" bezeichnet. Und das merkt man. Er singt bitter und aufrichtig über Ängste, Sorgen, zerbrochene Liebe, Depression und Lichtblicke – wie ein ganz normaler Mensch. Und auf der anderen Seite über die Zweischneidigkeit des Musikbusiness (übrigens auch repräsentiert durch das Cover-Artwork), Drogenprobleme und die Tücken des Promi-Daseins – wie ein Superstar.
Die kompletten Lyrics zu allen Songs mit Anmerkungen und Erklärungen findet ihr hier. Es lohnt sich. Zum nebenher hören ist "Twelve Carat Toothache" vielleicht nicht optimal geeignet, man muss sich die Zeit nehmen, sich darauf einlassen, auf die Texte achten, um es zu verstehen. Um auch den Menschen Austin Post dahinter zu verstehen.
Ein Typ, der sich immer noch als "Austin" vorstellt, obwohl er weiß, dass die ganze Welt ihn als Post Malone kennt. Der sich in jedem Interview ungefähr 700 mal bedankt. Der mit Jimmy Fallon rumwitzelt wie ein kleines Kind, sich mit Kid Laroi gegenseitig Tattoos sticht. Der wie die Personifizierung des Sprichworts "Don't judge a book by its cover" wirkt. Der Auftritte auf den größten Bühnen der Welt rockt, danach zuhause hockt und Videospiele zockt wie der gewöhnlichste Nerd. Der auf die Frage, was ihm in seiner frischen Vaterrolle am wichtigsten sei, mit "Kindness" antwortet. Der gefühlt gar nicht realisiert, wie viele Menschen er mit seiner Musik berührt.
Natürlich kein perfekter Typ, keine Frage. Aber wer ist schon perfekt? Jedenfalls ist er der witzigste, respektvollste, bescheidenste und mit seinen Fehlern ehrlichste Rapper, den ich kenne. Habt ihr schon mal von einem großen Beef mit Post Malone gelesen? Na also. Manchmal weird, aber eben doch fast immer sympathisch und auf dem Boden geblieben – der Christian Streich unter den Rappern.
Natürlich kann ich nur für mich sprechen. Und ich kann jeden verstehen, der mit Post Malone nichts anfangen kann und dieses Album als langweiligen Einheitsbrei abstempelt. Was es aber mit mir macht, ist einfach unbeschreiblich. Es macht mich glücklich, traurig, es spielt mit mir, es packt mich und lässt mich nicht los. Post Malone fasziniert mich mit seiner Musik wie kein Zweiter. Wer ein bisschen an der Faszination teilhaben möchte, dem sei neben der Musik als ein Beispiel von vielen dieses aktuelle Interview mit Zane Lowe bei Apple Music ans Herz gelegt.
Viele kritisieren immer, Post Malone mache nichts Halbes und nichts Ganzes, aber genau darin sehe ich seine Stärke. Er mag kein Songschreiber sein wie Kendrick, kein Rapper wie Eminem, kein Gitarrist wie Hendrix und kein Sänger wie Sinatra – aber nennt mir einen Artist, der so variabel und talentiert ist, in dem was er tut, wie Post Malone.
Auf "Twelve Carat Toothache" hat er bei weitem nicht seine volle Bandbreite gezeigt. Und das ist vielleicht auch der einzige kleine Makel an einem sonst beispiellosen Longplayer, von dem jeder Mensch halten kann, was er will, aber den mir nichts und niemand schlecht reden kann. Congratulations, Posty, du hast mich mal wieder umgehauen.
9 Kommentare mit 9 Antworten
Wird wahrscheinlich Album des Jahres für mich. Endlich hat er das Album geliefert was man ihm immer zugetraut hat.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieses AutuTune gejaule verursacht in der tat Zahnschmerzen.
Ungehört weil unhörbar 0/5.
.
Moooooment, ihr vergebt dafür wirklich 5/5.
?????????????????
Schreib doch Kommentare unter Alben von Chris De Burgh oder was du auch immer hörst. Selbst wenn man Autotune nicht erträgt, kann man die Beats doch nicht mit 0 Punkten bewerten... (1 ist eh minimum hier)
Chris deBurgh? Wer oder was ist das. Ist das ähnlich geniessbar?
Mein "Problem" ist die Bewertung hier. Wenn es 4/5 wäre hätte ich vielleicht auf das Genre geschaut, mir gedacht: Ja nee, is klar, und gut ist.
Ist halt Yannik...
Ist halt Jakob XD
Post Malone ist mein Guilty Pleasure seit Beerbongs & Bentleys und Hollywood's Bleeding war auch besser als erwartet. Das Album hier fand ich, wie bei Stoney damals, bis auf 3 Songs vielleicht sterbenslangweilig. Vielleicht beim nächsten wieder.
Jeder hat das Recht, eine Fanboy-Review zu verfassen, aber das hier liest sich ja fast schon wie ein Pressetext (oder eine alte Juice-Titelstory; nimm das Daniel Schiefderdecker).
Achso, vom Album hab ich vier Songs gehört und es dann als egal befunden.
Irgendwie ist Post Malone einfach kein Album-Artist. Singles hat er einige gute veröffentlicht, aber auf Albumlänge konnte er mich nie überzeugen. Zumindest scheint er das -im Gegensatz zu einem Drake- bei diesem Album auch selbst bemerkt zu haben und hat den Umfang im Vergleich zu den Vorgängern reduziert.