laut.de-Kritik

Farbenbrächtiges Spiel voll Freiheit und Flexibilität.

Review von

"ID.Entity" ist ein äußerst farbenfrohes wie facettenreiches Album und vereint die Düsternis von "Wasteland" mit der Helligkeit von "Love, Fear And The Time Machine". Daneben zeigen Riverside Kante, die an die Härte von "Anno Domini High Definition" erinnert, und pflügen mühelos durch verspielte Songkonstrukte wie auf "Shrine Of New Generation Slaves".

Diese Diktion greift der Opener "Friend Or Foe?" auf. Raumgreifende, breitbeinig gespielte Akkorde treffen auf einen stoischen Backbeat, wie ihn Can Drum-Ikone Jaki Liebezeit nicht besser spielen könnte. "Friend Or Foe?" klingt, als hätten Pac Man, Geddy Lee und Giorgio Moroder eine Band gegründet und würden sich die Zeit bei ihren Jamsessions mit reichlich würziger Zündelware vertreiben.

"Big Tech Brother" explodiert förmlich mit Reminiszenzen an die Krach-Künstler King Crimson. Bei "Self-Aware" gehen Melodie und Anspruch Hand in Hand. Die Reggae-Frischluft wirkt wie bei Rushs "Spirit Of The Radio" oder The Police nicht aufgesetzt, sondern bereichert die Essenz des Songs.

Der Mensch ist eine Kreatur des Überflusses, gleichermaßen kreativ wie destruktiv. Alle arbeitssparenden Maschinen, die bislang erfunden wurden, haben die Mühsal nicht eines einzigen Menschen verhindert, sagte einst John Stuart Mill. Mit Blick auf das endlose Gedaddel und Haschen von Informationen, nur um dem Zustand des Horror vacui zu entfliehen, muss man konstatieren: Er hatte recht. Mariusz Duda greift diese Identitätskrise wissbegierig auf und schreibt über Wahrheit in Zeiten der Postmoderne, Hate-Speech, Big Tech-Unternehmen, Populisten und Verschwörungstheorien. Kurz um, alles was in den vergangenen Krisenjahren zur Genüge medial durchexerziert worden ist.

Dass vielen Menschen der Lockdown Leid und Last gewesen ist, ist hinlänglich bekannt. Mariusz Duda hingegen nutzte die Phase zur intensiven Soundtüftelei im Rahmen seines elektronisch gehaltenen Soloprojektes. Auch die folkigen Ausflüge mit Lunatic Soul waren eine willkommene Abwechslung, um eine frische Brise durch die Hirnwindungen pfeifen zu lassen. Aus dem Bedürfnis, der Enge zu entfliehen, wieder zusammen zu kommen und live zu spielen, resultierte der Wunsch, das neue Album gemeinsam auszutüfteln, viel Zeit in Jams zu investieren und somit nahe an den - wie Duda es ausdrückt - eng anliegenden Anzug von Riverside zu gelangen: die Live-Performance.

Von "Wasteland" bewahrt sich die Band den Einsatz analoger Synthesizer sowie die Variabilität im vokalen Ausdruck. Michał Łapaj flicht seine Klänge äußerst songdienlich in den Gesamtkontext ein und doppelt mit zerrigen Rhodes-Sounds die Riffs oder hat Soundtrack-artige Collagen, die der Produktion zusätzliche Sphären erschließen. Dudas angenehmes Timbre trägt den Großteil der melodischen Linien. Aufbrausend und richtig gehend biestig tönt er in der ersten Single "I'm Done With You".

Mehr zur Geltung kommen die Gitarren sowie eine deutlich positiv gewandte Grundstimmung. Maciej Meller tritt nun offiziell die Nachfolge des 2016 verstorbenen Piotr Grudziński an. Entstand "Wasteland" noch in Trio-Besetzung mit einigen Solo-Overdubs, ist der Freund der Band nun ein fester Bestandteil. Gerade die Riffs erden Riverside und geben ihnen ein härteres Antlitz, was wiederum der Live-Power zuträglich ist.

Trotz der teils bissigen und dystopischen Lyrics strahlt die Musik Aufbruchstimmung aus. Was in Prog-geschulten Ohren wie ein Sakrileg klingt, bewahren sich die Polen als Mantra, nämlich ein Album.zu.schaffen, das man Tageszeiten- und Stimmungs-unabhängig hören kann, auch mal nebenher. Wobei die uneingeschränkte Aufmerksamkeit durchaus angebracht ist, gerade bei einem dreizehn-minütigen Epos wie "The Place Where I Belong".

Der Titel ist Programm und verweist auf die musikalische Verortung, die bei allen Vielseitigkeits-Bemühungen des Bandchefs nun mal im Progressive Rock liegt. In der Machart der Meister der Siebziger kredenzt Duda ein mehrteiliges Epos, das Eleganz versprüht. Dies liegt an der akustischen Gitarre, die verspielt wie bezirzend eingesetzt wird. Am Ende kulminiert der Track in einem majestätischen Solo und einer kantablen Melodie.

Dominierte auf dem Vorgänger noch die durch die schmerzlichen Verluste geliebter Menschen bedingte Trauer - neben Grudzinski musste Duda 2016 den Tod seines Vaters verkraften - nehmen Riverside nun Abschied von der Verbitterung. Die polnischen Artrocker entledigen sich auf "ID.Entity" der Fesseln einer strengen konzeptuellen Thematik oder einer uniformen musikalischen Leitlinie. Der Wandeltanz zwischen Prog und Pop ertönt hier in vergleichbarer Perfektion wie bei Steven Wilsons "Hand. Cannot. Erase.". Die polnischen Artrocker musizieren mit einer Flexibilität und Freiheit, die dem Ruf der Bühne zu verdanken ist und hoffentlich so schnell wie möglich auf selbige zurückführt. "Wasteland" war das Versprechen, alte und neue Riverside miteinander zu versöhnen. "ID.Entity" führt nun geradewegs in die Zukunft.

Trackliste

  1. 1. Friend Or Foe?
  2. 2. Landmine Blast
  3. 3. Big Tech Brother
  4. 4. Post-Truth
  5. 5. The Place Where I Belong
  6. 6. I'm Done With You
  7. 7. Self-Aware

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8 Kommentare mit 21 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Herrje, was für ein geiles Teil...mit Recht 5 von 5, gehe konform!

  • Vor einem Jahr

    Das Schône an Steven Wilson ist, daß er selbst seine komplizierteren Stücke sehr mühelos, ehrlich und direkt klingen läßt. Riverside fällt für mich eher unter die Kategorie von Devin Townsend, Dream Theater usw. Klingt mir etwas sehr bemüht offensiv - aber für Leute, die das Gegniedel mit Hinweisschild mögen, ist das bestimmt was besonders Feines!

    • Vor einem Jahr

      Da bin ich aber ernsthaft erstaunt und frage mich, was du von der Band gehört hast :)
      Bei Riverside gab es für mein Empfinden eigentlich noch nie irgendwelche abgefahrenen instrumentalen Virtuoso-Kabinettstückchen oder Gegniedel, wobei das natürlich eine Frage der Interpretation dieses Begriffes ist, genauso wie ab wann Musik "ehrlich" klingt.
      Vielleicht gibt es bei denen mal verworrene Instrumentals mit krummen Takten aber nie irgendwelche Überschallshreds, stattdessen steht imo da immer eine dichte Atmosphäre im Vordergrund und vor allem seit den letzten drei Alben ist es teilweise sehr eingängig geworden.

    • Vor einem Jahr

      Hmja. "Gegniedel" ist mißverständlich. Sie hämmern uns definitiv nicht ihre Virtuosität um die Ohren.
      Ich finde, ihre Songs klingen sehr steril und kühl, wodurch die dezent schrägen Takte, das Technische, Kompositorische für mich in den Vordergrund rücken. Deswegen bringe ich sie mit Townsend und DT in Verbindung, die ich als ähnlich offensiv empfinde. Da ist wenig Gefühl im Vortrag und im Sound.

      Der gute Wilson schafft es meistens, sehr direkt und "heartfelt" vorzutragen, mit kuscheligen Arrangements, die in der Produktion "ge-glue-t" klingen. Ich höre da nie ein "Hört mal her, wir spielen hier einen 14/8-Takt!!!!!" - das "Komplexe" geht selten zulasten des Ergreifenden.

    • Vor einem Jahr

      Verstehe, das ist nachvollziehbar auch wenn ich die Musik als sehr gefühlvoll und emotional empfinde.
      Aber wenigstens was Wunderwuzzi Wilson angeht, sind wir auf einer Wellenlänge :)

    • Vor einem Jahr

      "Da ist wenig Gefühl im Vortrag und im Sound."

      Mag auf den 2010er-20er zutreffen, aber sicherlich nicht auf den 90s Townsend. Damals bhat er noch gesungen, nicht gesäuselt.

    • Vor einem Jahr

      Danke für den Hinweis! Hab ihn erst seit Ziltoid kennengelernt, und bin ab da nur selten mit ihm warm geworden. Hatte schon mal wo aufgeschnappt, daß er früher nen anderen Stil hatte. Wenn er mir noch mal unterkommt, schmeiße ich ne Platte aus den 90ern an.

    • Vor einem Jahr

      Löscht euch bitte, ihr scheiss Zausel! :lol:

    • Vor einem Jahr

      Das macht dich fertig, wenn du nicht Teil des Gesprächs bist, mmh?

    • Vor einem Jahr

      Nein, garnicht. Ihr seid nur einfach harte Idioten. :D

    • Vor einem Jahr

      Selber Idiot. Als ob du außerhalb deiner kleinen Hip Hop Bubble irgendwelche Ahnung von irgendwas hättest. Also sei mal nicht neidisch auf andere, nur weil sie über den Tellerrand hinausgeblickt haben, mmh? Danke. ;-)

    • Vor einem Jahr

      @Ragi: das ist die einzige Phase bei ihm, die sich tatsächlich lohnt. Empfehle definitiv, mal reinzuhören.

  • Vor einem Jahr

    könnte mal wieder reinhören, lange nicht auf'm schirm gehabt die truppe.