laut.de-Kritik
Spielfreudig, exzentrisch - ab in die Zeitmaschine.
Review von Ulf KubankeWährend Kollege Eno seit Jahren auf einer Welle meisterhafter Kreativität reitet, musste man sich um Ferry zuletzt sorgen. Seine Dylan-Hommage geriet gesanglich grenzwertig. Nicht weniger beunruhigend: Onkel Bryans fataler Hang zur Fuchsjagd und seine vor geraumer Zeit enthüllte, nahezu erotische Bewunderung für Nazistylings und Aufmärsche.
Das kann nach dem Ermessen aller bilig und gerecht Denkenden nichts mehr werden, ist man versucht zusagen. Aber weit gefehlt: "The Jazz Age" ist mindestens sein unkonventionellstes Album. Nicht wenigen könnte es wohl das liebste werden.
Gewisse Bedenken bezüglich des Gesangs scheint er zu teilen, denn die nur knapp 38-minütige LP besteht aus 13 Instrumentalversionen diverser Hits vom Roxy Music-Debüt anno 1972 bis hin zum letzten echten Studioalbum, dem bislang eher unterschätzten Frantic. Dargeboten - der Titel verrät es - als Jazzstandards der Roaring Twenties. Vergesst seinen nicht üblen 30er-Schinken "As Time Goes By" oder die lauen Coveralben von Yuppie-Buffet à la "Taxi". Ferry lässt sein Dinnerjacket zwar an, das Cocktailglas hingegen bleibt auf der Bar vstehen.
Kein Ferry-80er-Sound, kein eitrig pulsierender Hochglanzschmand wie Rod Stewarts üble Tin Palley-Schändungen der American Songbook-Reihe, keine Vorhersehbarkeit! Stattdessen: Ein siebenköpfiges, britisches Jazzensemble in exzentrischer Spiellaune. Der Dandykönig selbst beschränkt sich auf Arrangement und Produktion. Eine gelungene Zurückhaltung, die handwerlich maximale Qualität garantiert.
Beim Thema Zwanziger kommt man um einen Namen selbstverständlich nicht herum: Duke Ellington. "Slave To Love" dient hier als perfektes Ebenbild früher Swinghits des noblen Bandleaders. Man liebt das freundliche Lied sofort. Endlich befreit von den Blessuren eines küntlerisch eher unbefriedigenden SM-Darkroomklischees.
Doch der gelegentliche Bezug zum Urvater des Swing ist - bei aller handwerklich begnadeten Virtuosität der Truppe - noch das am wenigsten interessante Detail der überbordenden Interpretationsfreude. Von dort aus gehts ab in die tiefsten Subgenres prähistorischer Jazzmusik, ohne dabei auch nur eine Minute lang retro zu klingen. Dabei Retro sind die Jammeralben eines erzkonservative und selbsternannte Jazz-Gralshüters wie dem musikalisch bekennend rassistischen Wynton Marsalis. Dies hier kommt indes einer echten Zeitmaschine gleich!
Wie ein roter Faden zieht sich der europäische Bezug zu Gypsy Swing à la Django Reinhardt durch die gesamte Spielzeit. Besonders die teils sehr reduziert eingesetzten Drums bei gleichzeitiger Betonung der Saiteninstrumente durch Actmann Martin Wheatley zeigen deutliche Parallelen. Das Hin und Her zwischen Amerika und der alten Welt verleiht dem ohnehin fröhlichen Soundbild einen selten gehörten Reichtum an Abwechslung. Man ist schon nicht mehr überrascht, wenn auf einmal noch Chicago Jazz-Elemente der Marke Bix Beiderbecke hinzukommen. Oder Dixieland und eine Prise echten New Orleans Jazz mit leichtem Blues -ouch ("The Bogus Man").
Diese Scheibe lohnt sich, egal was sonst so im Regal steht - ein klingendes Antidepressivum. Ein Großteil des Spaßes besteht erwartungsgemäß darin, die legendären Originale herauszuhören, was gar nicht so einfach ist. "Do The Strand" erkennt man, wenn überhaupt, nur an wenigen Grundakkorden. "Don't Stop The Dance" geht dagegen unverkennbar samt Ukulele in Herz und Hirn.
"Just Like You" bleibt auch im langsamen Bluesgewand ein echter Bastard aus Django und dem Duke. Die gestopfte Trompete trägt den Hörer unweigerlich in Richtung 20er-Salons. "Avalon" wuchert hernach mit voller Klarinettenbreitseite als spielte sie Woody Allen persönlich. So gehts in einer Tour weiter: Die stilistische Komplexität bei maximal swingender Tanzbarkeit ist zum Niederknien.
Die mit Abstand kurzweiligste wie sympathischste Schallplatte des Jahres. Egal ob Weihnachten, Mevlid, Shoba oder Channukah vor der Tür stehen.
8 Kommentare
Props und Dank an Ecki Stieg.
wir haben das album nachts simultan gehört, bequatscht und beide "do the strand" kaum erkannt....ich hoffe ja, dass letzteres dann doch an ferry liegt und nicht unseren ohren.....
Kommentar Ecki Stieg:
"Viel über dieses Album (das ich inzwischen immer lieber höre) nachgedacht: Hätte ich es mir angetan, wenn nicht Ferry draufstehen würde und nicht seine Songs enthielte? Ehrlich Antwort: Wahrscheinlich nicht.
Meine Befürchtung, es wäre lediglich eine Novelty-Platte sind aber entkräftet worden. Es hat alles Substanz und zeugt von historischen Bewusstsein und Detailverliebtheit.
Einziger Kritikpunkt (und der wirkt schwer): Die teilweise schon ins comicartig forcierte Schellak-Schuhkarton-Produktion hätte nicht ganz so drastisch und plakativ ausfallen dürfen. Das klingt in den weniger guten Momenten wie eine digitale Version vergilbter Schwarz/weiss Fotos aus den 20er Jahren.
Und noch eines stellt dieses Album unter Beweis: Gute Songs bleiben gute Songs. Egal in welchem Kontext und in welcher Version. "Just Like You" bleibt mein Favorit."
Klasse. Sehr schön, dass sich Ferry hier auch beim Gesang zurück gehalten hat. Eine schöne Überraschung.
Aber warum hat die "mit Abstand kurzweiligste wie sympathischste Schallplatte des Jahres" nur 4 Punkte?
Für mich ein 5 Punkte Kandidat und eines der Alben des Jahres.
gute frage. hatte nen fünfer gegeben.....mag ne panne sein...technischer natur....denk dir den fünfer am besten...punkte sind doch schall und rauch....mir kommt es eher auf den text an...sind ja nicht in der schule
"Seine Dylan-Hommage geriet gesanglich grenzwertig. Nicht weniger beunruhigend: Onkel Bryans fataler Hang zur Fuchsjagd und seine vor geraumer Zeit enthüllte, nahezu erotische Bewunderung für Nazistylings und Aufmärsche."
- Naja, das hat ja nur teilweise was mit der Wahrheit zu tun, wenn die Presse Wahrheiten und Zitate verzerrt... Dylanesque war tatsächlich mittelmäßig (hatte aber auch tolle Momente z.B. mit "Make you feel my Love"), und das großartige Olympia-Album hat laut.de leider vor 2 Jahren vergesse. Sei´s drum.
Ich hätte nie auch nur ansatzweise gedacht, dass ich 20er Jahre-Instrumental-Jazz etwas abgewinnen kann. Aber es hat eine Leichtigkeit, da wo es sie braucht und eine Tiefe, wo man sie nicht vermutet.
Meine Favoriten sind "Just like you", "I thought" und "Reason or rhyme".
ich gebe auch 4/5
Wow, du kennst Ecki Stieg?
Neil Youngs platte Let it Roll Patriotismus Angriffskrieghommage hat auch jeder vergessen udn er bekommt im RS das Platet des Monats Abo, und?