laut.de-Kritik
Verliebte tanzen im Serotonin-Hagel.
Review von Philipp KauseFür nicht besonders anspruchsvolle Unterhaltung ist Yvonne Catterfeld seit rund 20 Jahren bekannt. Auch das aktuelle Album "Move" folgt einem simplen Konzept: Geradlinige, kompakte EDM-Tracks, die alle gut zueinander passen und gerne mitten im Takt abbrechen. Echte Instrumente sind zu hören, nette Melodien und Texte über Gefühle und Bedürfnisse und manchmal einzig zusammenhanglose Phrasen. Wobei sich einem Allgemeinplatz wie "I put the music on and feel right" natürlich kaum widersprechen lässt.
Das Paradoxe: Im Falle leichter Dance-Kost zermartern sich die Beteiligten oft tagelang im Studio die Köpfe, wo nun Raumklang angebracht scheint, wo die Stimme mehr in den Vordergrund gehört, wo ein Effekt zu viel des Guten wäre oder den entscheidenden Pep verleiht. Eine Top-down-Produktion verspricht hingegen mehr Zielstrebigkeit, Beispiel Purple Disco Machine: Service-Vocals sind in der EDM-Branche nicht ungewöhnlich, eher die Regel. "In dieser Branche geht man generell ungern ein Risiko ein", moniert die Show-erfahrene Catterfeld im Interview mit dem alverde-Magazin. "Was Erfolg hat, gilt als Richtlinie." Was aber, wenn die Interpretin keine Session-Marionette, sondern unzertrennlich mit ihren Songs verbunden ist?
Immerhin belegte Yvonne Catterfeld vor ihrer Karriere an der Hochschule Seminare in Jazz-Komposition. Bei den ersten vier Tracks ist sie auch als Ko-Autorin in den Credits geslistet. Sie kooperiert in einem Team mit der noch überschaubaren Zahl von elf Leuten. Anonymes Flickwerk vermeidet sie. "Move" klingt sogar sehr homogen, wie aus einem Guss. Benedikt Schöller und Timothy Auld heißen die beiden Musiker, die die Instrumente einspielten: Der eine an den Tasten, der andere an den Saiten, beide an den Drums und beim Programmieren der Loops.
Dabei kommen schöne, an Steel-Pan, Vibraphon, Drehleier und Theremin erinnernde warme Klangfarben heraus. Hinsichtlich des Vershluckens von Silben im Echo-Tunnel und des Verschwimmens von Sprache und Beats hat das Team zudem bei Bob Sinclar gut aufgepasst. Dass man zu den durchweg schnellen Stücken gut tanzen kann, suggerieren diverse Choreographie-Clips. Genau betrachtet, wirft die Sängerin vor allem oft ihre Mähne in die Luft, als mache sie Shampoo-Werbung.
Was man von Catterfeld sieht, schaut zwar aus wie eine 20-Jährige, doch der Mangel an zur Schau gestellten Tattoos, ihre fehlenden Piercings und Gel-Nails verrät: Der Generation Snapchat kann die tatsächlich 45-Jährige kaum angehören. Ihre Musik tropft gleichwohl aus einem Jungbrunnen. So tüfteln ihre Mitstreiter sonst beispielsweise für Sarah Engels, Pietro Lombardi, Majan, Tim Bendzko oder Kayla Shyx.
Bezüglich der Tanzbarkeit erscheint die Platte eher unterdurchschnittlich. Da bietet zum Beispiel ein altes Timberlake-Album doch mitreißendere Grooves an. Angenehm anzuhören sind die Nummern dennoch. Zwar hört man vorwiegend einen Sound, der bequem im Hintergrund laufen könnte, aber alle Nummern erweisen sich doch als charakterstark, ziemlich smooth und unaufgeregt.
Die Studio-Crew um Truva (Timothy und Benedikt) sowie A-ha-Produzent Roland Spremberg fokussiert bevorzugt auf den Rhythmus. Zu "Rock You" über einen unter den Beats bebenden Raum, zu "Why Don't Ya" über den richtigen Vibe kurz vor Mitternacht und zu "Wanna Dance" über die glücklich machende Wirkung von Musik fehlen zum Albumrelease aber noch weitere Videos im grünen Sport-BH.
Baden gehen in einem Strahl von konzentriertem Serotonin lässt sich dann bei den Melodie-Bonbons "Chaos In My Head" und "In Between", beides sehr gute Pop-Tunes. Die lockeren R'n'B-Urban-Folktronic-Fusionen "Easy Does It" und "Get Up" entsprechen vom Niveau her ungefähr dem, was Carole King zu ihrer "Locomotion"-Zeit komponierte: Harmloses für Verliebte.
Die Bedürfnisse, über die der ehemalige Soap-Star Yvonne a.k.a. die Prinzessin aus "Die Schöne und das Biest" trällert, lauten: Berühren, schwitzen, tanzen, die ganze Nacht, näher kommen, auch die ganze Nacht, hoch gehoben werden (physisch oder hormonell) von "a man like you", perfekte Freundschaft und perfekte Partnerschaft in einem, aber auch entschlossen alleine bleiben ("Rather Be Alone"), sollten sich die Erwartungen nicht erfüllen.
Catterfeld und ihr Team dürften vor Augen gehabt haben, was aktuell an deutschem Pop kursiert, war sie doch im Februar Teil der ESC-Vorauswahl-Jury. Dass Abor & Tynna mehr Humor, Hyperpop-Schnörkel und Überraschung einbringen, dürfte ihr daher geläufig sein. Beim Unterhaltungswert liegt ihr Album sicher gleichauf mit "Bittersüß". Allerdings fehlt ein innovativer Gag. "Move" sei "der perfekte Soundtrack für gute Laune und positive Energie", plaudert der Werbetext. Dem lässt sich nicht widersprechen, solange Einfaches nicht nervt.
2 Kommentare mit 7 Antworten
Ich halte fest: Yvonne Catterfeld und Steven Wilson bekommen von Laut.de beide 3 Sterne.
Mir ist bewusst, dass es sich um unterschiedliche Rezensienten handelt.
LG
Da hast du aber gut aufgepasst.
Na, na, na. Ganz so langweilig sind z.B. "Lift Me Up", "Chaos In My Head" oder der Titeltrack "Move" jetzt auch nicht.
@jamclub
Aber die gleiche Musikrichtung sind Wilson und Catterfeld schon, oder?
@Marmeladenclub
#immernochsalzig
Hier wurden auch andere großartige Künstler*innen wie Björk oder die Amigos schon mit 2(!)/5 Punkten abgekanzelt.
Nun habe ich in der Titelzeile zuerst "Seniorenheim" statt "Serotonin" gelesen...
Konzentration kann man üben.
Noch schlimmer: Die Heiterkeit hat 5 Punkte gekriegt und Kendrick Lamar mit seinem letzten Album nur 4! Wie furchtbar, dabei kann Kendrick Lamar doch viel besser rappen als diese komische Frau. Ist bestimmt wieder dieser Feminismus der Redakteure. Wir müssen laut.de abschaffen, wenn das so weitergeht.
ja, das hat Yvonne nicht verdient.