laut.de-Kritik
Tief wie eine Pfütze und stinkt nach Industrie.
Review von Yannik Gölz"Ich habe viel gefühlt in letzter Zeit, hat gut getan", singt 1986zig auf "Danke". Und Menschenskinder, wird auf diesem Album gefühlt. Nach dem initialen viralen Erfolg seiner Single "Kopf Zu" hat sich 1986zig als der gefühlige, gerade Typ mit Herz und Verstand hervorgetan, der mit reibeisigen Grönemeyer-Stimme und den herzzerreißenden Balladen Deutschland im Sturm erobert. Oder um es aus PR-Sprech zurück ins Deutsche zu übersetzen: 1986zig hat die Formel gefunden, vermeintlich harten Typen marginal umgeschriebene Silbermond-Songs zu verkaufen. Was sich emotional aufrichtig und authentisch gebärdet ist auf den zweiten Blick nichtssagende, maximal kalkulierte und von Herzen zynische Marktanalyse. Am Reißbrett konzipiert von den selben alten seelenlosen Pop-Akademie-Pappenheimern. Es ist tief wie eine Pfütze und stinkt nach Industrie.
Dabei muss man sagen: Wäre das hier ein Kurs für BWL oder Marketing, könnte man 1986zig bereits in die Meilenstein-Kategorie schieben. Nicht nur, weil er in Sachen Zielgruppen-Analyse den Coup gelandet hat, einen perfekten Radius auf alle Säulen des Deutschpop-Wirkbereichs zu werfen: Er vereint die Mark Forsters (apokalyptischer Reiter der Deutschpop-Songwriter), die Vanessa Mais (apokalyptische Reiterin des Deutschpop-Schlagers) und die Bozzas (apokalyptischer Reiter des Deutschpop-Raps). Irgendwie vermittelt er den Leuten das Gefühl von Authentizität. Wie macht er das?
Der Trick liegt darin, einfach immer nur über Gefühle zu singen, nie aber zu konkret zu werden, was sie eigentlich bedeuten sollen. Im Grunde besteht "Zweite Chance" deshalb sechzehn Mal aus dem gleichen Song: Einer kaputten Ballade kurz nach dem Break-Up, an dem der Protagonist sich gerade durch die ambivalenten Gefühle zur Expartnerin arbeitet undsich sukzessive und nonstop betrinkt. Falls euch das bekannt vorkommt, dann ist das kein Wunder, denn genau das ist das Konzept von etwa 500 Deutschrap-Balladen der letzten fünf Jahre, die zufälligerweise auch von den gleichen fünf Leuten produziert und geschrieben wurden.
Es funktioniert eben. Unter anderem deshalb, weil sich Figuren wie 1986zig gekonnt wieder und wieder daran vorbei aalen, der Situation irgendetwas Konkretes unterzuschieben. Wir lernen nie etwas über ihn, nie etwas über sie. Es wird zwar darüber geheult, dass Dinge schieflaufen, dass es tragische Backstorys gibt, aber so sehr vertiefen, dass man nachher noch jemand unsympathisch finden könnte, soweit will man auch nicht gehen. Man ist immer traurig, weil man kaputt ist, weil man ein Außenseiter und verrückt ist, man hat zwar vielleicht Scheiße gebaut, aber wenn man darüber nicht genau genug nachdenkt. Muss man aber auch nicht. Das hält nur vom gepflegten Abopfern ab.
Allein dieser Refrain im Intro: "Das geht an alle, die grad festhäng'n / Zwischen dem Erstеn und dem Letzten / Zwischеn Anfang und Ende / Ich bin einer von euch", Jesus Mutter Maria Gottes! Was ist das denn bitte für eine nichtssagende und anbiedernde Scheiße? Das geht raus an alle, die schon geboren, aber noch nicht gestorben sind? Wie kann man sich davon nicht in seiner Intelligenz beleidigt fühlen? Man kann beliebig durch die Textblätter dieses Albums skippen und bekommt nichts als gähnende, hohle Phrasen, die vor zweitausend Verwendungen schon nichts bedeutet haben. "Jemand wie ich, der ist dazu bestimmt zu sterben / Doch hätt ich gerne vor dem letzten Mal gelebt / Jemand wie ich greift in der Regel nicht nach Sternеn / Doch ich kann seh'n, da sind so viel auf meinеm Weg", singt er auf "Alles Wird Gut". Wen das zum nachdenken anregt, der kann nicht all zu oft denken.
Übrigens, ein kleines Spiel, um diesem Album überhaupt ein bisschen Unterhaltungswert unterzuschieben: Das nächste Mal, wenn ihr einen Deutschpop-Songtitel seht, der nur aus einem völlig wahllosen Substantiv besteht, zählt mit, wie oft es als "unsere Liebe ist wie x / ich bin zu dir wie x / du bist zu mir wie x" landet. Also so etwas wie 'Unsere Liebe ist wie ein Ikeasofa', 'Ich bin dein Fensterrahmen' oder 'Du bist meine Sriracha-Soße'. Das ist das billigste und häufigste Songwriter-Madlib der Deutschpop-Industrie und 1986zig hat keine Scheu, volle Kanne zuzugreifen. Wir bekommen Perlen wie "Baby, du bist meine Valium" ("Valium"), "Von 1000 Sternen bist du der, der am hellsten leuchtet" ("1000 Sterne"), "In deinem Herz ist Alaska" ("Alaska") oder "Fühlt sich an wie nach 'nem Goldraub" ("Goldraub"). Wer danach nicht von der kompletten Seelenlosigkeit dieses Albums überzeugt ist, sollte mal einen Blick auf diese Featureliste werfen und sich fragen, wie er an diese wahllos zusammengeworfenen Pappnasen gekommen ist. Kontra K, Samra, NGEE, Bozza, Ayliva – hat er einfach nur jede Person angefragt, die in den TikTok-Trends gerade unter oder über ihm stand?
Aber abschließend mal angenommen, der Zynismus und Label-Stallgeruch dieses Album wären nichts Schlechtes, weil Pop ja nicht zwingend authentisch sein muss: Was hat dieses Album denn zu bieten? Es ist eine musikalische Einöde aus sterilen, seelenlosen Piano-Beats, musikalisch makellose Wachkomapatienten ohne Grooves oder eingängige Melodien. Es hat kein bisschen Humor, es macht kein bisschen Spaß, es ist sich in unkonkretem Selbstmitleid suhlende Wehleidgkeit. Alle Grönemeyer-Vergleiche sind eine Beleidigung des Mannes, der sich zu so fantasielosem und schablonenhaften Songwriting in seinen tiefsten Stunden nicht herablassen würde.
Es gibt genau einen Moment auf "Zweite Chance", auf dem 1986zig nicht wie die algorithmisch generierte Fantasie eines Labelchefs klingt. Der Titeltrack singt über ehemalige Gefängnisaufenthalte, eine zweite Chance und die Geburt seines Kindes. Auch hier finden sich bei Gott keine gewagten oder besonders neue Konzepte, aber für einen kurzen Moment klingt es immerhin so, als würde zumindest er das abgestandene Zeug, das er da singt, emotional bewegend finden. Dass dieser Song dann tatsächlich irgendwie berührend klingt, zeigt doch, dass selbst er den restlichen Blödsinn auf dieser quasi unhörbaren Platte schon als nichts anderes mehr sieht, als im Takt abgeleistete, hirnlose Pflichtarbeit.
16 Kommentare mit 9 Antworten
Selbstverständlich, kurz reingehörte, 1/5 für das - was nur ECHTE Fans WIRKLICH gut finden können. Aber die eigentlich Frage ist, und ich hoffe irgendwer kann hier helfen, bleibt die Aussprache seines Namens?? Gesprochen: Neunzehnsechsundachtzigzig? Einsneunachtsechszig?? Eintausendneunhundertsechsundachtzigzig???
Danke schonmal..
Ah, fuckin hell, Yannik, ich liebe Deine Rezis!
Nach 1min reinhören, hört sich das doch irgendwie an, wie Post Malone bei Wish bestellt und dann halt auf Deutsch übersetzt, oder?
Eher den hier bei Wish bestellt
https://youtu.be/7sllUioMHJY
machtn der eig jetzt?
Den RMR finde ich im Gegensatz zu 1986zig irgendwie interessant und originell.
https://youtu.be/gxIEt3KEohk
Das hat was. Aber das ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen: Etwas Originelles oder zumindest Unterhaltsames aus den USA wird dreist kopiert hierzulande dem Michel vorgesetzt. Das hat schon Harald Schmidt gemacht, indem er von den US-Late-Night-Shows abgekupfert hat. Nur hat das in den 90ern kaum jemand hier mitbekommen. Wenn heute Gegenwartsspacken im deutschen TV Kimmel, Cordan etc. frech kopieren und man im Prinzip das Original ganz leicht bei YouTube finden kann, wundert es mich, wenn der Michel das dennoch schluckt und Joko, Claas und wie sie alle heißen einfallsreich findet.
Hat eine super Stimme und hätte (anscheinend) genügend Material, um ein Album mit persönlichen Themen zu füllen. Wie man daraus aber ein absolut nichtssagendes Album machen kann, bleibt wahrscheinlich sein Geheimnis. Schade, Chance vertan...
Ich frage mich immer, wie ich den Namen aussprechen soll.
Neunzehnsechsundachtzigzig?
Genau so erwartet es 1986zig…wahrscheinlich weiß er es selber nicht
Dieses Album hat keine zweite Chance bei mir. Ich sperre meine Tür auf und werfe das Album aus der speerangelweit geöffneten Tür