laut.de-Kritik

Mini-Dramen als emotionale Kopfkinomusik.

Review von

"Junge, irgendwann wirst du auch mal Klassik mögen”, sprach mein Vater. Er hatte das "wieder" vergessen, weil seine frühmusikalische Erziehung das tägliche Anhören von Mozart und Beethoven vorsah. Ich mochte Mozart absolut nicht, aber Beethoven war für mich die Vorstufe zu Metal, blöderweise hatte der energische Komponist aus Bonn keine Teufel, Skelette und Blut auf seinem Cover.

So folgten also Jahre, in denen klassische Musik für mich elitäre, bildungsbürgerliche Schnarchmusik darstellte und ich lieber Iron Maiden im Kinderzimmer genoss. Ab und zu las ich, dass alternde Popstars große Symphonien planten, was alles nur noch schlimmer machte. So richtig kam ich wieder auf Klassik zurück, als sie doch ziemlich häufig in Soundtracks eingesetzt wurde. Hier passte die Zeitlosigkeit und das Urwüchsige zu tollen Landschaftsaufnahmen oder zur Verstärkung einer dramatischen Filmszene. Die Eröffnung von "2001 - Odyssee im Weltraum" mit "Also sprach Zarathustra" oder "Das Rheingold" von Richard Wagner in Werner Herzogs "Nosferatu" blieben den Kinozuschauern noch lange im Gedächtnis, heutzutage unterstreichen klassische Instrumente große Serienproduktion wie "Chernobyl".

Aisling Brouwer und Anna Phoebe komponieren ebenfalls Musik für Serien und Film-Scores. Ihre Mischung aus Ambient-Electronic und klassischer Violinen-Instrumentierung passt besonders gut zu aufwühlenden Survival-Momenten wie in dem Surf-Film "Savage Waters". Das Duo Avawaves genießt mittlerweile einen exzellenten Ruf in der Filmbranche, doch den Stoff zu dem wohl eindrucksvollsten Stück auf "Heartbeat" schrieb kein Autor, sondern das Leben selbst. "Sleep Tight" beschreibt den zärtlichen wie schmerzvollen Abschied von Aislings Großvater, nochmal emotional verstärkt durch die Stimme von Imogen Williams. Es ist der einzige Track mit Gesang auf dem Album, ansonsten bildet die subtile Elektronik von Aisling und das Violinspiel das Fundament. Es ist bestimmt nicht die Musik, die dir dein Freund mit aufgedrehter Volume über seine Riesenboxen vorspielt und dazu "GEILER BASS, ODER?" ins Ohr schreit.

Jeder solle dazu seinen eigenen Film im Kopf entwickeln, sagte Aisling Brouwer im Interview. In "Rumour" bemerkt man tatsächlich zuerst einen Herzschlag-Beat, später finden Klavier und Violine zueinander und bauen behutsam eine Atmosphäre auf. Wer bei der Beschreibung vielleicht schon an die Youtube-Geigerin Lindsey Stirling denkt, sollte diese Referenz schnell vergessen. Die Songs auf "Heartbeat" sind kleine Mini-Dramen, die in einen cineastischen Sound eingewoben sind und in wenigen Momenten an Sigur Ros erinnern. Cineastisch bedeutet hier kein "Transformers"-Wumms, stattdessen entstehen bei vielen Hörern sicher eher Bilderwelten von imposanten Landschaften und Naturschauspielen. Gerade Phoebes Violinspiel spiegelt gut die emotionale Vielfalt des Albums wider.

"Heartbeat" bedient somit eine Nische, aber wem die Kompositionen von Ben Frost oder Olafur Arnalds schon zusagten, entdeckt hier ein abwechslungsreiches und zutiefst emotionales Album. Das Finale bestreitet "Crush" mit Jon Hopkins-ähnlichem Minimal-Electro, der das Downtempo-Muster des Albums aufbricht. So schließt das überwiegend introspektive und melancholische "Heartbeat" mit einem energiegeladenen Techno-Track als Ausdruck von Widerstandskraft und des entschlossenen Weitergehens.

Trackliste

  1. 1. Heartbeat
  2. 2. Earth
  3. 3. Bones
  4. 4. Mood
  5. 5. Escape
  6. 6. Nightdrive
  7. 7. Rumour
  8. 8. Sleep Tight
  9. 9. Raindrop
  10. 10. Crush

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