laut.de-Kritik
Berliner Szene-Größen auf einer verrückten Scheibe.
Review von Philipp SchiedelNein, natürlich ist dieser Boy ist nicht aus Brasilien, sondern aus Berlin. Und weil sich da gerade alle so lieb haben, und die Szene im Minuten-Takt immer neue (und meist ausländische – vor allem die Kanadier sind sehr beliebt) Talente ausspuckt, versammelt der Boy die halbe Meute auf seiner Platte: u.a. wirken Gonzales, Angie Reed und Christoph De Babalon mit.
Diese verschiedenen Einflüsse hört man "Pointless Shoes" auch an. Razi a.k.a the from Boy from Brazil springt von 50s Rockabilly bis zum aktuellen Disco-Punk hastig durch die musikalischen Jahrzehnte hin und her. Und macht dabei nur selten richtig Halt.
Im Opener "Collision" pochen noch düster-böse Electroclash-Beats, im zweiten Track wird dann mal eben Rockabilly mit harten Electro-Sound bespickt, und schon ein paar Tracks weiter sorgt Patric Catani in "High Heels, Go-Go Boots and Platform Shoes" für dick aufgetragene Casio-Sounds, mit denen er schon die Puppetmastaz zum Hüpfen brachte.
Kreuz und quer geht es also durch die Stile. Zusammengehalten wird das nur von den perfekten Entertainer-Qualitäten des Boys selbst, denn der stellt mit seiner Stimme genau so viel Verschiedenes und Verrücktes an, wie sich auch auf seiner Platte wieder findet. In "Pocket Rocket Queen" verkörpert er so genial den Electro-Clash Elvis, dass man sich den dazugehörigen Hüftschwung bildhaft vorstellen kann. Im Serge Gainsbourg-Cover "Le Claqeur de doigts" geht es mit stechenden Schnips-Beats und Trompeten swingig zu. Und beim rockigsten und eingängigsten Stücke der Platte "Treason To Defeat" erinnern nicht nur Zeilen wie "Let's take a Holiday – Guantanamo Bay!" an Stereo Total. Das macht aber auch Sinn: immerhin war Razi mal deren Bassist.
"Pointless Shoes" ist eine Platte voller Ideen und Offenheit, die in jeder Sekunde überraschen kann. Da gibt es viele großartige Momente, aber eben auch einige Hänger, wie die durchgehend nervige Sound-Schleife in "Caligula Rock", die völlig überflüssig und ehrlich gesagt einfach scheiße ist. Auch die Noise-Experimente auf Hip Hop-Beat in "I just wanna fuck" sind wohl nicht jedermanns Sache. Trotzdem ist "Pointless Shoe" eine gute und vor allem mutige Platte, die es zu entdecken gilt. Viel Zeit sollte man aber mitbringen.
Zur Belohnung darf man dann ganz zum Schluss auch wieder von diesem Sound-Trip runterkommen. Ganz ruhig endet diese verrückt-gute Platte in bester französischer Chanson-Tradition mit "Condoléances". Da hat wohl auch mal der Boy himself genug von Weirdness und Gefrickel.
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