laut.de-Kritik
Nightclubbing in der Sprache der Liebe.
Review von Philipp KauseDie Vorabsingle "Damn Dis-Moi" mit dem US-Future-Soul-Künstler Dâm-Funk hatte die Richtung für die Doppelplatte "Chris" von Christine And The Queens bereits vorgezeichnet. Tanzbarer Synthpop sowie die ausdrucksstarke Stimme von Héloïse Letissier aka Christine sind die wichtigsten Zutaten. "Damn (What Must A Woman Do)" und "What's Her Face" etwa brillieren mit lustigen Scratchings und erinnern stark an den Sound bestimmter Großstadt-Mode-Megastores.
Letissiers Musik passt in die Art Club, die es in Deutschland kaum gibt. Der Sound blubbert oft bassbetont wie in "Goya Soda". Christines punktueller Kehlkopfüberschlag gereicht der verstorbenen Cranberries-Sängerin Dolores O'Riordan zu posthumer Ehre. Fast alle Tracks sind in zwei Sprachen enthalten: auf Englisch sowie in der Sprache der Liebe, ihrer Muttersprache, und tatsächlich wirken die Songs je nach Sprache sehr verschieden.
Gerade die englischen Versionen, zum Beispiel das sphärische "What's Her Face", lassen bei mir komischerweise Assoziationen zu Vanessa Paradis, Desireless ("Voyage Voyage") und France Gall aufflackern. Auf "Bruce Est Dans Le Brouillard" führt Christine uns mit Offbeat-Gespür vor, wie sie das weiche Französisch auf eine R'n'B-Rap-Gesangsmischung trimmt.
"Chris" zeichnet sich aber auch durch Marketing, Soundqualität und versteckte gesellschaftspolitische Symbolik aus. Die Botschaft des Feminismus verbreitet sich schon dadurch, dass Christine alles alleine macht. Die der Queerness muss man schon suchen – zum Beispiel ausgehend vom Albumtitel. Dass nach dem selbst betitelten "Christine And The Queens" diese zweite Scheibe nun einfach nur "Chris" heißt, kann man selbstbewusst oder einfallslos finden. Der Titel steht für ihre Androgynie oder Bisexualität.
Die Moog-Synthies zitieren eins zu eins die 80er-Jahre. Christine, geboren 1988, zählt zur Generation, die das Revival des Electro-Funk-Pop (Empire Of The Sun, Gotye, Marina & The Diamonds) im geschmackssensitiven Alter von 20, 21 Jahren miterlebte. Auf der Retro-Welle um Daft Punk und Chic segelt sie mit.
In den 1980ern hatte diese Klangfarbe jedoch oft eine weitere Funktion: Sie leistete der Verschiebung von Geschlechterrollen und der Anerkennung von Homo- und Transsexualität Vorschub, Synthie-Pop reifte hierfür quasi zum Soundtrack. Als Einfluss für Christine vermute ich vor allem Boy George, Bronski Beat, Frankie Goes To Hollywood und Grace Jones, auf deren Gender-Vorreiterrollen "Chris" abzielt.
Dass der Namenszusatz "And The Queens" ursprünglich für einen Trupp von tanzenden Drag Queens stand, geht auf dem Album unter. Der Konstruktionsfehler liegt im Verzicht auf einen Live-Mitschnitt, Film-Bonustracks oder Download-Codes für ergänzendes Material, obwohl extra eine (eher nichtssagende) Werbe-Documentary gedreht wurde. 2015 begeisterte Christine und ihre Tanz-Begleitgruppe bereits beim Schweizer Paléo-Festival. Für mich ist sie eine heiße Anwärterin aufs Line-Up beim Melt!-Festival.
Gut vorbereitete Choreographien, Tanzeinlagen und Lightshows machen das Flair ihrer Live-Auftritte aus, auch die Herausforderung mancher Coverversionen meistert Christine auf der Bühne sehr schön. Auf "Chris" klingt sie dagegen auch mal gelangweilt und teilnahmslos ("Doesn't Matter (Voleur De Soleil)", "The Walker"). Abwechslungsreichtum ist keine Stärke des Albums. Dafür kann man "Chris" wie ein Mixtape durchhören und hervorragend darin eintauchen, ähnlich wie kürzlich bei Santigold.
Für das Musikbusiness insgesamt hoffe ich, dass dieses Album Diskussionen anstößt: Worin liegen die Hindernisse für selbst produzierende, selbst komponierende junge Frauen? Weshalb schaffen sie es so selten an die Spitze? Und wieso dringt aus dem französischen Markt mit seinen sehr starken, hoch kreativen Electropop- und Offbeat-Acts so wenig bis zu uns herüber? Ist die Sprache das Hindernis? Vielleicht lässt sich diese Barriere zukünftig mit doppelsprachig aufgenommenen Alben wie diesem abbauen.
2 Kommentare
Weshalb schaffen sie es so selten an die Spitze? Und wieso dringt aus dem französischen
Nein liegt es nicht. Wenn die Musik gut ist dann ist die Sprache egal. ABer wenn sie wie hier einfach nur langweilig ist dann nützt es auch nix wenn die Songs in englisch gesungen werden.
Ich höre seit mehr als 30 Jahren französische Musik..auch aktuelle . Und da ist Pop, Rap ect. dabei. Einer meiner Lieblingstitel ist von Soprano feat. Lili Poe - Amour siamois
Es gibt 'schlimm langweilig' und 'OK langweilig'. Das ist 'OK langweilig'; gerade noch so!