laut.de-Kritik
Das ambitionierteste und beste Album des Londoners.
Review von Toni HennigDaniel Avery möchte Eskapismus nicht mehr länger im Zentrum seines Werkes stellen und nicht mehr vor der Dunkelheit wegrennen. Dementsprechend scheut er sich auf "Ultra Truth", seinem bislang ambitioniertesten und besten Album, nicht davor, einen direkten Blick dorthin zu wagen.
Schon der Opener "New Faith" baut mit verhallten, düsteren Pianotönen und dichten Droneschwaden eine bedrückende Atmosphäre auf. Am Ende ertönt aus dem Nichts eine weibliche Stimme, die uns ermutigt, unter dem einstürzenden Himmel die Augen zu schließen und zum Licht zu blicken. Und so dringt das folgende Titelstück mit hellen Synthies, die körperlos über komplexe Breakbeats und einer melancholischen, an Boards Of Canada erinnernden Melodie schweben, unaufhaltsam zum Licht am Ende des Tunnels.
Eine gewisse Melancholie kommt auch in "Wall Of Sleep" zum Tragen, das zusammen mit der Londoner Senkrechtstarterin HAAi entstand, die erst kürzlich mit "Baby, We're Ascending" ein vielversprechendes Debüt hinlegte. Trotzdem schwingt sich der Track mit repetitivem Gesang, wuchtigem Bass, auf- und abebbenden Synthies, Breakbeats und melodischen Einschüben nach und nach in immer euphorischere Sphären auf.
Auch im weiteren Verlauf erzählt Daniel Avery, pendelnd zwischen Schwermut und Euphorie, eine ganz eigene Geschichte. In "Devotion" und "Higher" kommt mit rauen Drum'n'Bass-Klängen 90er-Jahre-Rave-Nostalgie nicht zu kurz, ohne dass die Tracks vorgestrig klingen. Ganz im Gegenteil. Die Wucht, mit denen einen die Nummern erschlagen, hat etwas ungemein Frisches und Lebendiges. Dazwischen gibt es unter anderem mit "Only" ein wunderbares Trip Hop-Stück, das von der veträumten Stimme Jonnines (HTRK) lebt, die einen hervorragenden Kontrast zu den harten Zeitlupenbeats bietet.
Das beängstigend hohe Qualitätslevel hält der Londoner Producer und DJ auch in der zweiten Hälfte konstant aufrecht. In "Collapsing Sky" gibt er sich mit behutsamen Snare- und Elektroniktönen, schwelgerischen Synthiemelodien und körperlichen Bassklängen genüsslich der Endzeitstimmung hin. In "Lone Swordsman" setzt er der vor zwei Jahren verstorbenen Produzentenlegende Andrew Weatherall, der seine Karriere auch gefördert hat, mit dunklen Electrosounds und melodischen Bleeps ein nachdenkliches Denkmal.
In "Chaos Energy" begegnet man HAAi ein weiteres Mal, nämlich im Dreierverbund, dem sich Kelly Lee Owens anschließt. Diese gemeinsame Energie überträgt sich auch auf den Hörer, wenn der Track mit kreisenden Breakbeats, epischen, lichtdurchfluteten Synthies, geisterhaften Vocals und heftigen Basseinschüben eine geradezu halluzinatorische Wirkung entfaltet. Ein Fiebertraum von einem Song. Zum Schluss begibt sich Daniel Avery zusammen mit dem Südlondoner James Massiah in "Heavy Rain" mit zirpender Elektronik, verschlafenen Synthies und ein paar Spoken Word-Fetzen in wehmütige Ambient House-Gefilde und bietet somit einen atmosphärischen Abschluss.
Am Ende bleibt ein Album, das dazu einlädt, sich der Schwermut hinzugeben, aber auch neuen Optimismus zu schöpfen.
3 Kommentare mit einer Antwort
Öd.
Wird direkt mal in die spoti neigeschmaßt.
"das zusammen mit dem Londoner Senkrechtstarter HAAi entstand, der erst kürzlich mit "Baby, We're Ascending" ein vielversprechendes Debüt hinlegte."
Und weil das Album tatsächlich so grandios ist, könnte man fast meinen, dass es von einem Mann ist..
Also joa, man dürfte hier schon von einer Senkrechtstarterin sprechen und weibliche Pronomen verwenden, auch ganz ohne GeNdErWaHn.
Da hätte ich nochmal genauer nachschauen sollen. Wurde korrigiert.