laut.de-Kritik
Gekonnter Dance-Pop für die Playlist: Das bessere "Delirium".
Review von Johannes Jimeno"Ich verstehe jetzt, dass die Leute mehr Dance-Platten herausbringen wollen, weil das die beste Art von Eskapismus ist, und für mich ist es im Moment wichtig, in diese Musik zu flüchten. Das ist etwas, das ich für mich selbst tun muss. Ich will im Moment nicht da oben stehen und Balladen singen. Ich möchte mich bewegen, mich gut fühlen und die Endorphine des Tanzens spüren. Manchmal muss man es einfach für sich selbst und für die Fans tun."
Das gab Ellie Goulding im Vorfeld zu ihrem neuen Album beim britischen Rolling Stone zu Protokoll. Im Umkehrschluss bedeutet das eine Abkehr von ihrer letzten Platte "Brightest Blue" und eine Rückbesinnung auf ihr Dance-Album "Delirium", was viele damals nicht mochten. Ich als Ellie-Fanboy erster Stunde muss gestehen, dass es bei mir einen Nerv getroffen hat zu jener Zeit, in der Retrospektive stellt es jedoch ihren schwächsten, weil gleichförmigsten Output dar. Steht uns deshalb erneut ein solcher Tiefpunkt bevor?
Um es vorwegzunehmen: Glücklicherweise nicht. "Higher Than Heaven" serviert zwar ein kontemporäres Klangkonstrukt, macht aber bei weitem mehr Spaß und sorgt meistens für die nötige Abwechslung. Dafür holt sich die Engländerin eine namhafte Produzentenriege zur Seite und tischt groß auf: Greg Kurstin (Sia, Maggie Rogers, Elton John), Jessie Shatkin (Charli XCX, Years & Years), Koz (Sam Ryder, Madonna, Dua Lipa) und Andrew Wells (Halsey, Yungblud).
Insbesondere der Start führt gut ins Album ein: Nach dem gefälligen Elektro-Pop "Midnight Dreams" übernimmt "Cure For Love" mit kleinem Deep House-Verschnitt, bei dem der coole Refrain sich zuerst zurücknimmt, um dann anzuschwellen, während Piano und Streicher den Beat anreichern. Gar nostalgisch wird es beim 80s-inspirierten "By The End Of The Night", wenn wehmütige sowie surreale Lyrics an Ellies Anfangszeiten erinnern. In "Like A Saviour" konterkarieren brummende Bässe die hellen Melodien, exotische Flötentöne verleihen ein besonderes Antlitz. Das im weiteren Verlauf bratzende "Let It Die" thematisiert Trennungsschmerz sowie Selbstliebe und verlagert es mit dramatischem Aufbau in den Club.
Greg Kurstin gebührt auf "Higher Than Heaven" der meiste Dank ob seiner formidablen Beats. Sein verträumtes "Love Goes On" wabert beinahe im Synthwave, butterweiche Übergänge und ein überraschend unprätentiöser Refrain veredeln den Song. Das anschließende "Easy Lover" trägt seine Handschrift aus melancholischen Synths und saftigen Drums. Im Chorus tanzt eine funky Gitarre und auch Big Seans Rap-Part fügt sich nahtlos ein. Das musikalisch ansprechende "Just For You" weist eine hektische Bassline und einen flauschigen Refrain auf, bleibt auf lyrischer Ebene aber zu repetitiv und uninspiriert.
Damit wären wir bei den Schwachpunkten angelangt, denn die zweite Hälfte ihres fünften Albums verliert den Punch. Ausgerechnet der Titeltrack versumpft im schleppenden Treibsand, es fehlen die Überraschungsmoment. Bei all der besungenen Euphorie bleibt der Song seltsam gezügelt. Als cringeworthy entpuppt sich der R'n'B-Pop "Waiting For It", bei dem es laut Ellie nur um Sex geht. Jedoch dürfte dieser recht dröge sein bei all der zur Schau gestellten Langeweile. "How Long" entzückt zunächst mit verschrobenen Bossa-Nova-Gitarrenlicks, läuft dann in die immergleiche Pop-Falle und transformiert sich zu einem niedlichen, obgleich viel zu schwachen Abschlusssong.
"Higher Than Heaven" offeriert in der Summe gekonnten Dance-Pop, der sowohl Playlisten als auch Radiostationen versorgt und somit das bessere "Delirium" darstellt. Möchte man es vergleichen, dann am ehesten mit Taylor Swifts "Midnights", was das homogene, recht kantenlose Soundbild anbelangt.
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