laut.de-Kritik
Die Hoffnungsträgerin der Hoe-Anthems in der Findungsphase.
Review von Yannik GölzDer Markt reguliert sich selbst. Man lobt Mechanismen wie TikTok dafür, die Musikindustrie zu verflachen und kleinen Künstlern Chancen zu geben, schnell Publikum zu finden. Dafür landen ebenjene Musiker oft trotzdem in genau den Label-Strukturen, die sie eigentlich vermeiden könnten: Zum Beispiel Flo Milli. Letztes Jahr ging die Alabama-Rapperin viral, nun bringt sie ihr erstes Mixtape via RCA an den Start. "Ho, Why Is U Here" zeigt wahnsinniges handwerkliches Talent, aber wenig Mut zur Integrität.
Alles beginnt mit "Beef (FloMix)", einem einzelnen Verse auf einem alten Playboi Carti-Instrumental. Der TikTok-Hit als Kernthese der Platte; ihre Delivery punktgenau, ihre Flows agil, die Reimstrukturen eingängig und der Humor wunderbar bescheuert. In knapp unter zwei Minuten demonstriert sie Sassiness und Technik, man konnte sicher sein, dass dieser Auftakt sie bald Schulhöfe dominieren lassen würde. Statt aber von "Beef (FloMix)" aufzubauen, flacht "Ho, Why Is U Here" sie eher ab.
Wie viele Rapper nach dem viralen Hype kämpft auch sie mit dem Phänomen der Flanderization: Wie Ned Flanders in den Simpsons reduzieren sich Rapper oft auf eine Facette ihres Charakters, die sie für besonders effektiv halten. Lil Pump machte das mit "Harverd Dropout", Lil Yachty mit "Teenage Emotions". So schlimm steht es um Flo Milli nicht, trotzdem hinterlassen Nummern wie "Send The Addy", "Like That Bitch" und "Pockets Bigger" das Gefühl, dass das nächste TikTok-Hoe-Anthem am besten lieber jetzt als gleich entstehen soll.
Es ist die selbe Attitüde, die selbe Energie und auch die gleichen Flows auf relativ uninspirierten Beats. Sie mag verkaufen, dass diese Sorte Song ihr Mojo ist, aber sie verkauft nicht, dass diese Songs ihre nächste Stufe sind. Die Texte holen Inspiration bei "Carter IV"-Ära Lil Wayne und Young Thug, die Flows erinnern an DaBaby und Rico Nasty, gerade letztere schimmert auch stimmlich deutlich durch.
Das ist schade, denn diese Songs wirken teils, als glaube Flo selbst nicht zu hundert Prozent an ihr Potential. Wenn sie inflationär ihre "Flo Milli-Shit"-Catchphrase anhängt, bleibt das Gefühl, ihr würde schon vor dem Hype der Dampf ausgehen, so wenig hat sie in diesen Phrasen-Eintöpfen zu erzählen. Dann beweist aber die zweite Hälfte das Gegenteil: Gerade, als man sie als uneingelösten Hype abschreiben möchte, legt "Ho, Why Is U Here" einen überraschenden Sprint ein.
"May I" erinnert daran, dass Flo Milli elitär flowen kann, besonders der Refrain spielt genial mit ihrer Kadenz und gerät wahnsinnig eingängig. "Weak" samplet die RnB-Queens von SWV für einen ätherischen Beat, auf dem auch ein Gunna oder SahBabii gerappt hätten, spielt ihn aber mit viel ruppigeren Flows. "19" beschreitet endlich inhaltlich ein anderes Thema, die Nummer verwebt ein immersives, asiatisches Sample für den ernsten Song. Die von der Leber weg erzählte Geschichte wirft nicht ihre Attitüde oder ihren Humor über Bord, der Song überzeugt auf jeder Ebene und zeigt, wie viel sie auch inhaltlich auf dem Kasten hat.
Es verwirrt auch ein wenig, wie sehr die Qualität der Produktion auseinanderklafft. Zwar orientiert sich offensichtlich alles an kontemporären südlichem Sound, aber während erste Hälfte eher an Billo-Percussion Sounds wie bei Yo Gotti und DaBaby schielt, gehen im Laufe der Platte die Einflüsse spürbar auseinander. Ein bisschen YSL-Atlanta, ein bisschen Megan Thee Stallion, manches erinnert ganz vage an Florida. Das Sound-Profil mag Spaß machen und nie ganz verkehrt klingen, bevor Flo aber als Artist wirklich ihre eigene Nische sichert, muss es noch deutlich geschärft werden.
So scheint "Ho, Why Is U Here?" ein bisschen zu schnell nachgereicht, bevor der Hype verdampft. Wenn man nur einen populären Song vorzuweisen hat, ist ein inflationäres Selbst-Zitat vielleicht nicht der klügste Weg, aber derjenige, der auf großen Label-Strukturen leider oft gewählt wird. Dabei beantwortet die Titel-gebende Frage ja von selbst. Warum Flo Milli hier ist? Weil sie offensichtlich talentiert wie blöd ist! Wenn sie jetzt nämlich einen Weg findet, ihr Händchen für ansteckende Hoe-Anthems in vielseitigere Musik zu konvertieren, steht ihrer Zukunft wenig im Weg. Die Spuren dafür finden sich hier schon zuhauf.
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