laut.de-Kritik
Diese Musik rückt einem fast zu dicht auf den Leib.
Review von Philipp KauseDer Klang der Flying Colors brettert auf "Third Degree" unübertroffen direkt. Aus technischen Gründen schlagen sowohl das MP3 aus den Kopfhörern als auch das WAV von der CD eine Art 3D-Akustik an. Die Flying Colors verwenden das Verfahren HPAR. Diese Technologie passt unendlich gut zu ihrer Musik, ist mit der Weiterentwicklung moderner Hörgeräte entstanden und verleiht dem Sound besonders im Abschlusstrack "Crawl" eine unwirkliche Nähe und Kristallklarheit. Fast rückt die Musik einem zu dicht auf den Leib. Vordergrund, Hintergrund, linker Kanal, rechter – auf so etwas achten die Toningenieure hier äußerst genau.
Vom ersten bis zum letzten Moment tauchen immer wieder neue Zutaten, Muster, Klangfiguren und Motive von knittrigen E-Gitarren-Riffs bis zum psychedelisch verzerrten Keyboard auf. Immerhin verarbeitet diese Band als Supergroup diverse Einflüsse und Vorerfahrungen aus dem Spiel mit Dream Theater, Spock's Beard, Joe Satrianis Band, The Sea Within, Transatlantic, Winery Dogs, Deep Purple und weiteren 'Big Name Bands'.
All die verschiedenen Herkünfte wabern durch das Album. "Third Degree" schlägt einen Bogen von hart zu zart. Die ersten Songs beginnen oft rau und laut und arbeiten sich dann zu leiseren und innehaltenden Momenten vor. In der zweiten Albumhälfte gestalten Mike Portnoy & Co. ihre Dramaturgien genau umgekehrt. So entsteht für die Platte als Ganzes folgender Eindruck: Die härteren, elektrisch stark geladenen Songs stecken vorne, die entspannteren und elegischeren hinten.
Richtig entspannt spielt die Band aber nirgends. Richtig explosiv zeigt sie sich auch nicht, außer dass sich die Vocals oft ins unermesslich Dramatische steigern. Und sich richtig fallen zu lassen, im klassischen Sinne von Progressive Rock, das gestattet die etwas wirre Dynamik mit ihren steilen Lautstärkekurven auch nicht.
Der Titel "More" startet wie ein Metal-Song mit einem von Grunge-Trauer und Disharmonie getränkten Gesang, der an Soundgarden erinnert. Im Verlauf der sieben Minuten finden sich auch folkige Komponenten im Stile von Jethro Tull wieder.
"Cadence" ist gar ein Song, dessen Akkordfolge und Rhythmik komplett von Jethro Tull stammen könnte. Zwar profitiert er nicht von einer Flöte, aber die Gitarrensaiten eiern wie bei einer Geige. Der Refrain holt das Schlagzeug in Metal-Manier in den Vordergrund, der trockene Schlag auf die Snare Drums dominiert dann weitgehend den Song, auch als er sich zur Hymne mit immer intensiver predigendem Gesang entwickelt. Das schwermütige Stück handelt von "losing so much time", von Verlust und Vergänglichkeit in einer Familiengeschichte, und holt im Mittelteil zu einer traumversunkenen Instrumentalpassage aus.
Auch wenn die Musik für Folk Metal zu wenig das Image des 'Harten' betont und keine folkloristischen, traditionellen Instrumente nutzt, kombiniert sie Folk-Rock und Heavy auf intelligente Art. In den langen Strecken klappt die Kombi am besten und formt Songstrukturen wie Kansas in ihrem Opus "Carry On Wayward Son", auch wenn Gitarrist Steve Morse erst lange nach diesem Mega-Song zu Kansas gestoßen war.
Manchmal, wie in "Last Train Home" übertreibt die Supergroup es dann und übt sich vor allem im Vorführen von Virtuosität, derweil man von Anathema oder Simeon Soul Charger und nicht zuletzt von Spock's Beard selbst Vergleichbares schon stringenter gehört hat. Die letzten der über zehn Minuten von "Last Train Home" besitzen am meisten Liedcharakter, doch auf sie muss man eben auch lange warten.
Am meisten Sympathie erwecken Flying Colors, wenn sie sich überraschend wie in "Geronimo" auf die Spuren von Steely Dan begeben und locker-flockigen Jazz-Rock mit kalifornischem Sonnen-Flair spielen. Optimistisch wollten sie das Album auch wirken lassen, sagen die Musiker. Oben drein klingen der Bass kraftvoll, der Gesang schwungvoll, die Melodie lustvoll.
Wenn dieser Platte auch vieles fehlt, vor allem klares Profil und ein unkomplizierter Song 'To Go', für den man nicht vorher tief Luft holen muss, so mangelt es jedenfalls nicht an Abwechslung! Denn in dem ganzen Hin und Her sprüht die Scheibe vor Ideen und beweist innerhalb der Songs und zwischen ihnen viel Flexibilität. Die Ballade "You Are Not Alone" bedient plötzlich das Akustikrock-Segment und liefert in der Mitte ganz interessantes Tonleiter-Fingerjogging an der Gitarre.
Kurz vor Schluss packen Flying Colors in den letzten Minuten einen richtigen Ohrwurm-Liedteil aus, der Text stapelt sich in mehreren Schichten, beginnt poetisch mit: "The higher way is down / there is a deeper life / that's yet to be found / more than what we have known." Im folgenden Lärm geht einiges unter, doch was man heraushören kann: "There's beauty found in the formula", so besingen sie die Schönheit des Lebens, das sie als chemische Formel betrachten. Sag keiner, die hätten nichts geraucht vorm Texteschreiben.
Casey McPherson von Alpharev, bei den Colors der Songautor, meint hingegen: "Für mich ist Musik eine Plattform, um die Dinge, die ich durchmache, für mich zu sortieren (...), deswegen versuche ich (...) metaphorisch zu sein, damit andere Menschen ihre eigenen Geschichten in unseren Liedern finden können." Das Psychedelischste an der Musik sind die Texte, alles andere ist recht trocken und beschreitet keine musikalisch neuen Wege. Die Flying Colors kombinieren nur neu. Dennoch sind sie alles andere als langweilig. Denn sie fordern den Hörer (heraus) und haben spürbar noch viel Feuer unterm Hintern für weitere gemeinsame Alben.
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