laut.de-Kritik
Drama-Pop, der morgens um fünf zündet.
Review von Michael SchuhDer Song "Pray" knallte mir im Januar zusammen mit Låpsleys "Love Is Blind" auf den Tisch, beides aus dem Beggars-Labelstall, beides junge Künstlerinnen, die in Großbritannien als ganz große Pop-Verheißungen gehandelt werden. Beide ganz oben auf den Hype-2016-Listen. Siehe da: beide Songs geil. Ich hörte erst mal nichts anderes mehr.
Nun sind diese Dream Pop-/Downbeat-Geschichten ja generell kurzweilig und für den Moment äußerst reizvoll, aber um die Aufmerksamkeitsspanne auf Albumlänge aufrecht zu erhalten, muss man sich schon ganz schön strecken, ohne alles bei Beach House abzuschreiben. Diese Gefahr bestand bei Hælos eigentlich nicht, denn die kommen ja gleich mit einer nach Klassenstreber riechenden Lateiner-Æ-Schreibweise ihres Bandnamens daher samt spirituellem Artwork-Überbau: Eklipse, Planeten, Symbolik, Religion. Puh. "Pray don't fall down / Pray don't fall down / Pray don't fall down / Pray don't fall down."
Das Beten hat genützt, auch wenn "Pray" der alles überstrahlende Hit bleibt und ein paar Sachen hinten runterfallen: Für ein Debütalbum lassen Lotti Benardout, Arthur Delaney und Dom Goldsmith genügend eigene Ideen in ihren Sound einfließen, um Menschen mit einem Soft Spot für Trip Hop glücklich zu machen.
Allein schon die Lässigkeit, mit der Haelos im erwähnten (hier noch von standesgemäßem 90-Sekunden-Intro eingeleiteten) "Pray" mal kurz den "Unfinished Sympathy"-Beat anwerfen und in Sachen Mörder-Hook nicht hinter der alten Massive Attack-Nummer zurückstecken: beeindruckend.
Mit Vintage-Synths und einer alten Fender Rhodes kreieren Haelos einen warmen Klang, der den Drive des ebenso swingenden "Dust" beflügelt. "Earth Not Above" vertraut auf somnambulen Portishead-Minimalismus und fährt gleichzeitig die eigene Stärke, den dreistimmigen Gesang, voll aus. Zuvor überlässt Benardout in "Full Circle" einmal ihren männlichen Kollegen den Leadgesang, was keinerlei Flow-Unregelmäßigkeiten hervorruft.
"In erster Linie wollten wir mit diesen Songs das Gefühl ausdrücken, das einen morgens um fünf Uhr überfällt", formuliert Delaney das Ziel seiner Band recht treffend. Das auf sachten House-Beats trippelnde "Oracle" ähnelt nach dieser Lesart der Vertonung eines zu dieser Uhrzeit stattfindenden Club-Heimwegs im Nieselregen.
Ab "Separate Lives" verlieren sich Haelos in ihrem eigenen Maschinenpark, fädeln zwar noch ein paar spannende Sounds zusammen, das stringente Songwriting bleibt aber gern auf der Strecke. Traurigen Höhepunkt markiert "Sacred", in dem Benardout ihr schon zuvor angedeutetes Interesse an Kate Bush-Tonlagen in einem Nerv-Refrain auslebt.
Der wieder mit dichter Atmosphäre ausgestattete Drama-Pop des Closers "Pale" macht das aber locker wieder wett. Man muss weder ein Kind der 90er noch von Traurigkeit sein, um der Haelos-Melancholie zu verfallen. Persönlicher Zugang zu den von London Grammar und The XX erdachten Soundwelten ist sicher auch ganz hilfreich.
3 Kommentare
Sehr geiles Debut Album!!!
Grade erst beim ersten Durchhören. Gefällt bereits sehr.
Reingehört und für gut befunden!