laut.de-Kritik
Makelloser Weltschmerz aus reinstem Tränenwasser.
Review von Ulf KubankeZwischen dem letzten regulären IAMX-Werk "Metanoia" und dem aktuellen Album hatte Chris Corner einen schweren Unfall. Glücklicherweise nicht im Leben sondern lediglich in seiner Kunst. "Unfall" war ein fragmentarischer Homunculus elektronischer Instrumentalskizzen und erwies sich als nicht lebensfähig. Corner suchte dort Selbstfindung, Reset und Reinigung seiner oft gepeinigten Seele. Fans und Musikwelt nahmen es gleichgültig bis beunruhigt hin und bescherten der Platte medial einen gnädig schnellen Tod. Zurück blieb die bange Frage: Was kommt nach der Katharsis? "Alive In New Light" gibt die Antwort.
Natürlich hat Corner es noch drauf. Wie sollte er es auch verlernen? Er hätte das Album ebenso "Return Of The Jammertüte" nennen können. Insofern dürfen sich alle Freunde seines Stils am typisch glamourösen Dramaqueen-Naturell erfreuen. Sein Gesang besteht einmal mehr aus makellosem Weltschmerz reinsten Tränenwassers. Als Anspieltipp empfehle ich jedem Neueinsteiger hier das schicke "Break The Chain". Besonders das dramatische Detail eines zum Ende nonchalant eingeworfenen Pianos lässt aufhorchen.
Corners Produktion ist wie immer sehr elegant, wenn auch über die volle Distanz nicht ganz so raffiniert wie auf seinen Klassikern "Kingdom Of Welcome Addiction" oder "The Unified Field". Dem neuen Licht fehlt ein wenig die Wärme jener Vorgänger. Stattdessen legt er das elektronische Gerippe dieser Lieder weitgehend kühl an. Diese klinische Kälte kontrastiert den Gesang zwar stimmig, fordert andererseits gleichwohl seinen Tribut in Punkto Atmosphäre.
Die amerikanische Allroundkünstlerin Kat von D macht ihre Sache als Duettpartnerin auf "Stalker" durchaus befriedigend. Dem stimmlichen Charisma Corners kann sie jedoch nicht das Wasser reichen. Da hatte die Vollblutmusikerin Imogen Heap auf "My Secret Friend" deutlich mehr zu bieten.
Ähnlich verhält es sich mit routinierten Kajalvorstellungen wie "Stardust" oder dem Titelsong mit seiner unnötigen Anbiederung an Fashionshop-Rhythmen. Solche Tracks sind zwar immer noch besser als das Meiste, was Genrekollegen abliefern. Für Corners Verhältnisse, die von seinen Geniemomenten geprägt wurden, ist das allerdings höchstens nette Routine.
Dennoch gibt es auch Ausreißer nach oben. "Body Politics" ist ein hervorragender Clubsong und animiert augenblicklich zum Tanz. Nebenbei zeigt Corner hier, wie viel er von Bowie lernte. So charmant kann man das Vermächtnis von "Ashes To Ashes" und Co aufgreifen.
Auf der Zielgeraden erlaubt Corner sich dann keine Schwächen mehr. "Mile Deep Hollow" und "The Power And The Glory" machen keinerlei Gefangene. Ersteres überzeugt als Schmerztiegel totaler Leidenschaft. Letzteres transportiert jene zerbrechliche Romantik, bei der dem ehemaligen Wahlberliner niemand außer Goethes Werther etwas vormacht.
Noch keine Kommentare