laut.de-Kritik
Die Liebe zur Kultur schwingt stets mit.
Review von Alexander AustelDass posthum herausgebrachte Alben einen schalen Beigeschmack besitzen, ist weder neu noch besonders erwähnenswert. Dennoch muss man sich fragen: Wollte der Künstler, dass die Platte so klingt wie sie klingt? Hätte er sie überarbeitet oder vielleicht gar nicht erst veröffentlicht? Nun, glaubt man Dillas Ex-Manager und Creative Director Eothen Alapatt, so war es einer von Jay Dees letzten Wünschen, dass "The Diary" eines Tages in den Läden bzw. in Itunes steht.
Warum das bereits 2002 fertig gestellte Album eine 14-jährige Reifezeit benötigte, erklärt Alapatt so: "Die Files zu entpacken, die richtige Software zu finden, alles zusammenzutragen und schließlich überall reinzuhören dauerte Jahre." Hinzu kommt der Erbschaftsstreit der Hinterbliebenen, sich gegenseitig angiftende Schmalspur-Anwälte und Uneinigkeiten mit dem Label.
"The Diary" entstand, nachdem Dilla sich vom Detroiter Underground-Talent zum Mainstream-Produzent gemausert hatte. Erfolgreiche Radio-Hits von Common, Erykah Badu und Janet Jackson beherbergten seinen Namen in den Liner Notes und es kam zum Major-Label-Deal mit MCA. Die Herrschaften versprachen sich von diesem Signing einen Hit-Single-Produzenten an Land gezogen zu haben und fielen damit gewaltig auf die Schnauze. Dilla hatte seine ganz eigenen Vorstellungen und präsentierte ein Album, das ihn mehr hinter dem Mic als hinter den Reglern zeigte und zu allem Überfluss auch noch Beats von anderen Produzenten einholte: Madlib, Pete Rock, Hi-Tek oder Supa Dave West steuerten Produktionen bei. Die Folge: Die Platte verstaubte, der Deal zerbröckelte und Dilla zog nach L.A., um frustriert "Ruff Draft" aufzunehmen.
Und wer könnte es den damaligen Label-Verantwortlichen verübeln? Auf "The Diary" finden sich keine richtigen Hits, nichts was man als Single vermarkten und im Radio spielen könnte. Stattdessen zelebriert Dilla den Club-Abhänger, strahlt eine gewisse Pimp-Attitüde aus und spielt mit Snoop Dogg an der Seite in einem Gangsta-Film. Neben Q-Tip in "The Introduction" würdigt er thematisch passend auch Big Pun: "I'm not a Playa I just crush a lot." Wer solche Poser-Lyrics in die Charts bringen will, braucht eine cineastisch-bombastische oder eben extrem ohrwurmige Produktion. Und auch hier muss Jay Dee seinen Label-Bossen auf den Schlips getreten sein.
Denn was er selbst mithilfe von Pete Rock, Madlib, Nottz, Hi-Tek und anderen ausheckt, klingt mal locker entspannt, nüchtern, unheimlich bis vernebelt, aber stets verschachtelt und meist Loop-basiert. Jedoch keineswegs massentauglich. Selbst der "Gangsta Boogie" mit dem Doggfather im Schlepptau grummelt leichtfüßig vor sich hin, fern jeglicher Charts-Allüren. Besonders hier zeigt es sich deutlich, dass James Dewitt Yancey die Rhymes wie eine Audio-Spur behandelt, die sich mehr in das Gesamtkonzept des Songs einfügen müssen, anstatt mit großer Delivery oder Inhalt zu brillieren.
Der Rucksack-tragenden Bummtschak-Fraktion aber kann ihr Messias keine neue Bibel ans Herz legen. Zwar kopfnickt es sich höchst vorzüglich zu "The Shining Pt. 1", "So Far" und "Give Them What They Want", doch es gilt auch weniger eingängigere Nummern wie "Fight Club" oder das ver-Kraftwerk-te "Trucks" durchzustehen. Mit dem Jazz liebäugelnd, fordert er leicht bekleidete Ladys auf: "Drive Me Wild". Der von Kariem Riggins produzierte Beat erinnert an eine verrauchte Bar. Hektische Klaviernoten begleiten die aufgeladene Atmosphäre über psychedelische Tendenzen hin zum Rockig-Schrammeligen und wieder zurück in nüchternere Gefilde. Ja, auch das Unberechenbare fand stets Zugang zum Sound-Universum des Detroiters.
"Fuck The Police", der wahrscheinlich bekannteste Song des Rappers J Dilla, landete bereits 2001 auf einer 12''-Single. Sein Label, MCA, wollte den Song nicht veröffentlichen aus Angst vor ähnlichen Konsequenzen, die einst die N.W.A.-Single mit sich brachte. Dilla suchte sich ein kleines kalifornisches Independent-Label, das den Track auf Platte presste. "They pullin' you over, they hoppin' inside / They know you got drugs they know you got guns / And they know they be mad when they can't find none." Den täglichen rassistischen Polizei-Schikanen ausgesetzt, machte er sich Luft und schrie sich wie einst N.W.A. den Frust von der Seele: "Fuck the police." Der verhältnismäßig schnell gerappte, stets unruhige Song erzielt nicht die gleiche Sogwirkung der L.A.-Posse, gehört aber mit zu den aussagekräftigsten und stärksten Tracks der Platte.
Dieses Album gilt im Nachhinein betrachtet als ein Wendepunkt in Dillas künstlerischem Schaffen. Denn enttäuscht von der harschen Mainstream-Realität des Musik-Business und der damit einhergehenden Einmottung von "The Diary", entstand der musikalische Mittelfinger "Ruff Draft". Daneben zog ihn sein Bruder im Geiste und Idol Madlib mit zu Stones Throw, dem Label, das kurz vor seinem Tod "Donuts" herausbrachte. Dieses wunderbare Werk wird nach wie vor von vielen Heads als Instrumental-Hip-Hop-Meilenstein gefeiert.
Nun liegt es auf der Hand, könnte man meinen, Dilla liefere mit "The Diary" so etwas ab wie Kanye West mit "College Dropout". 'Ye orientierte sich zu Beginn seiner Karriere stark an Dillas Werk, was Commons "Be" hörbar unter Beweis stellt: Ein Album, das so klingt, als sei es von Jay Dee produziert worden. Doch bei allem Respekt und Verneigung vor Dillas Lebenswerk, als Rapper bleibt er akzeptables Mittelmaß. Die Reime sind einfach gestrickt, hier und da fällt auch mal eine Laufmasche unten durch und weder Flow noch Storytelling stehen hoch im Kurs. Im Gegenteil: Wer von "The Diary" erwartet, wie es der Titel ja suggeriert, Dilla stülpe viel Persönliches nach außen oder erzähle gar seinen Werdegang, bleibt enttäuscht zurück.
Lediglich der Albumtrack gewährt einige Einblicke in die Vergangenheit: "I come from a long line of pimps, hustlers, soldies, and thugs." Von seinem Onkel lernte er das Scratchen, er feierte wilde Partys bis in die frühen Morgenstunden und konsumierte das berauschende Grün. Und schon nach knapp eineinhalb Minuten verklingt der wohlig-warme Beat und die "story to tell" ist vorbei bevor sie wirklich begann. Der Verdacht bleibt bestehen, dass Dilla zumindest diesen Track noch nicht ganz fertig geschrieben hatte.
"Viele seiner Mixes und CDs sind über die Zeit verloren gegangen. Selbst die Leute, die zu der Zeit bei MCA arbeiteten, konnten einige Aufnahmen nicht mehr finden. Wenn wir die finale Demo-Version finden würden, die Dilla eingereicht hatte, wäre das für mich als hätte ich den heiligen Gral gefunden. Ich weiß, dass sie existiert, ich habe Bilder im Internet gesehen. Aber auch ohne die finale Demo-Version kamen wir ziemlich nah ran", erzählt Alapatt im Interview. Ob die Scheibe nun klingt wie sich der Beat-Frickler das vorstellte oder nicht, werden wir nie erfahren. "The Diary" bleibt ein unterhaltsames, kurzes, nicht ganz zu Ende gedachtes und zu Teilen holpriges Rap-Album, das zwar wenig Privates preisgibt, und doch Dillas Liebe zur Kultur stets spürbar mitschwingen lässt.
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