laut.de-Kritik
Wenn aus Soft Cells "Tainted Love" Jazz-Reggae wird.
Review von Philipp KauseIn Frankreich hat klassischer Roots Reggae einen anderen Stellenwert als bei uns. Zum einen machen viel mehr Bands solche Musik und touren damit, zum anderen ist das mediale Echo zumindest bei manchen Themen größer. Le Monde, in Gewicht und Themenspektrum der Süddeutschen Zeitung vergleichbar, krallte sich unlängst in einer wöchentlichen Alben-Kolumne Jahzz als Thema. Dem Kollektiv aus Straßburg, der Stadt des Europaparlaments, steht der Jazz so nahe wie Rastafari-Gottheit Jah - daher: Jahzz. Die Platte heißt zwar "Women", Strippenzieher sind aber zwei Männer, ein Saxophonist namens Guillaume und ein Gitarrist, Kubix.
Für die Jamaika-Sound-Expertise zogen sie einen Keyboarder und Produzenten aus dem Kreise der Wailers hinzu - leider starb er zwei Wochen vor Erscheinen der Platte: Tyrone Downie. Er war wohl der "My Jamaican Guy", über den Grace Jones gesungen hat. Tyrones letzter großer Szene-Hit war das harmonisch-groovende "Contradiction" von Chronixx und Alborosie vor drei Jahren, Tyrone arbeitete auf epochalen Alben in den 70ern mit, später bei Alpha Blondy und Tiken Jah Fakoly, woraus die Verbindung nach Frankreich resultiert.
Seine Handschrift durchzieht all die geschmeidigen Arrangements der CD: Überall laufen sämtliche Zutaten perfekt Hand in Hand - urige Saxophon-Figuren Marke 'Ska Revival', Wah-Wah-Bass, weiche Gesänge von "Women" und Männern, pulverisierend geschlagene Hi-Hats, die beim Schlagen förmlich die Patina der altmodischen Musik in alle Richtungen pusten, Scratches, und vor allem die dezent unterliegenden Keyboards-Harmonien. Die reverben das ein oder andere Rub-a-dub-Wabbel-Echo zurück, ansonsten bemerkt man sie kaum.
Die Liederauswahl aus eigenen Nummern und Covers, einmal auf Französisch und sonst Englisch, mit ein paar eingestreuten Instrumentals kann man clever nennen. Denn sie hält bei der Stange, sobald man mal anfängt, sich auf die Sache einzulassen. Wir stoßen auf "Coming Home", wo irgendwas Bekanntes in einem spitze gemachten Stimmenkontrast aufblüht, aus männlichem Röchel-Tenorgesang und einer Lautmalerei zelebrierenden warmen mädchenhaften Stimme ("doo-doo-doo / di-di-di-dib'n-doo-doo-dup"). Was da zwischen Dub-Effekten, Scratchings, Vibraphon-Samples für ein Original verborgen liegt, wollte mir nicht einfallen - ein Fall für die Kommentarspalte, jedenfalls atemberaubend gut gemacht! Und dass es so vertraut wirkt, lässt schnell auf die Repeat-Taste drücken.
So recht klappt das mit dem Covern aber nicht immer: "Tainted Love" von Soft Cell bekommt eine Saxophon-Offbeat-Verpackung spendiert, die gut ins Ohr geht, dem Song aber ebenso wenig neue Seiten abgewinnt wie "Ain't No Sunshine". Das Bill Withers-Lied hat schon bessere Reggae-Cover erlebt (Horace Andy mit und ohne Inna De Yard, Ken Boothe), und auch "People Funny Boy ft. Lee 'Scratch' Perry" zündet nicht. Ich liebe Saxophon-Musik, aber was man dem "Promised Land"-Riddim von Aswad's Drummie Zeb (noch ein Toter, verließ uns am 2.9.2022) hier antut, ist scheußlicher Trillerfiguren-Kitsch in einer überladenen Aufnahme. Da geht das Konzept mit einem I-Three-artigen Chor aus den "Women" Christelle, Nella, Mirna, Soukeïna (Tochter von Alpha Blondy), Yasmine und Sarah, von denen eine die Lead-Vocals singt, nicht auf: Es wird überkandidelt und leicht schrill.
Wortlose Tracks wie der Ska-Dub "Follow The Flow" oder "Real Rock" und "Quick Brass" mit 60ies-Insel-Flair und Ausspielen der Jazz-Virtuosität tarieren die Tiefschläge aus. "Rebels Of Soul" enthält eine einzige, spärlich (und kindlich) performte Zeile - da punktet wenig Gesang mehr. Die Nummer "Music Is My Soul" mischt voller Leidenschaft die Musikrichtung Soul mit ins warme Spiel. Richtig heiß spielt das Ensemble im lässigen "Hypocrits" (Scheinheilige) auf, wo sie eine Jazz-Impro mit Klavier einem Melodie-Motiv aus einem alten Reggae-Riddim angedeihen lassen.
Jazz-on-Dub und die Fusion Jazz-Reggae sind zu einer neuen kleinen, Unterströmung geworden, die seit Groundation wächst, in Jah9 ihre Meisterin gefunden hat, aber auch in Europa neue Artists beherbergt (etwa Stick A Bush aus Wien, Megumi Misaku in London).
2 Kommentare mit einer Antwort
"Wenn aus Soft Cells "Tainted Love" Jazz-Reggae wird."
äh...:conk:?
wer hat tainted love geschrieben?;)
Ed Cobb. Ändert halt nix daran, dass die allermeisten Menschen den Song bei Nennung seines Titels bis heute zuerst mit der '81er Soft Cell-Version assoziieren statt mit der ursprünglichen '64er Aufnahme von Gloria Jones.