laut.de-Kritik
Gelungene Rückkehr zu den Dancefloor-Wurzeln.
Review von Florian DükerSänger, Produzent und Pianist James Blake hat als Künstler eine einzigartige Entwicklung vollzogen. Als Sohn eines Hardrockers griff der kleine James in jungen Jahren nicht zur Gitarre seines Vaters, sondern spielte viel lieber auf dem Flügel herum und musste sich im Klavierunterricht mit Klassik herumschlagen. Zu Studienzeiten lag sein Interesse dann verstärkt auf elektronischer Musik. Das beweisen seine Tätigkeit als DJ und die zu Beginn seiner Karriere ab 2009 veröffentlichten EPs.
Jene Minderheit seiner Fans, die durch besagte EPs auf die Musik des Briten aufmerksam geworden ist, hätte wohl kaum für möglich gehalten, was noch alles in diesem Post-Dubstep- und Electronic-Produzenten schlummert: ein begnadeter Pianist und ein Goldkehlchen, das eines Tages auf einem Album von Beyoncé singen, Beats für Kendrick Lamar und André 3000 produzieren und mit Brian Eno, Jay-Z, Stevie Wonder und Travis Scott zusammenarbeiten würde. Nach vier Alben ist von jenem Stil, mit dem sich Blake damals einen Namen in der elektronischen Musikszene Großbritanniens gemacht hat, eher wenig übrig geblieben. Die Ankündigung der "Before"-EP in Verbindung mit einem neuen Boiler Room-DJ-Set ließ die Herzen jener Minderheit, also die Fans seiner basslastigen, tanzbaren und clubtauglichen Musik, dementsprechend höher schlagen.
Zwar hat Blake seine elektronischen Wurzeln nie verraten, doch so clubtauglich und tanzbar wie auf seinen EPs klang er seitdem selten. Wie das die Veröffentlichung begleitende Boiler Room-Set zeigt, schlägt sein eigenes Herz noch immer für den Club, für flackernde Lichter, Beat-Drops, für Garage, Jungle, Dubstep, Rave und Disco. Mit "Before" demonstriert er die Evolution seines Sounds und setzt seine eigene Stimme auf den vier Tracks ganz anders ein als auf den ersten EPs.
Er habe "endlich das Selbstbewusstsein aufgebracht, meine Stimme auf Dancefloor-Rhythmen zu setzen". Vorbei die Zeiten, wo er sie auf den Electronic-Produktionen seiner ersten Tapes ausschließlich bis zur Unkenntlichkeit entstellt, hoch- oder runter gepitched oder im Vocoder ertränkt hat. Auf den vier neuen Stücken der EP erfährt der Hörer nun, wie es klingt, wenn der Grammy-Gewinner auf tanzbaren Instrumentals singt und dabei vergleichsweise sparsam mit den Stimm-Modifikationen umgeht. Ganz darauf verzichtet er nämlich nicht und setzt über die vier Lieder ab und zu Hall, Echo und Stimmverzerrung ein. Der quasi in den Dancefloor-Beat eingebaute Loop auf "I Keep Calling" zum Beispiel ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein in der Frequenz verändertes, eigenes Stimm-Sample des Sängers. Nach ungefähr 40 Sekunden bekommt der Hörer endlich den lange vermissten, tiefen und wummernden Bass auf die Ohren und nach gut einer Minute dann einen wohlig warmen Beatdrop, der auf die Tanzfläche einlädt. So schnell ging es selten auf Liedern des Briten zu.
Für den Refrain von "I Keep Calling" hat sich Blake bei der kanadischen Sängerin Charlotte Day Wilson bedient und deren "Falling Apart" umgedichtet: "I keep calling your heart / Oh, let it ring if I'm falling too hard", singt er. Überhaupt greift er mittlerweile viel stärker auf die Hilfe anderer Künstler zurück als zu Beginn seiner Karriere, als der Großteil seiner Musik in Isolation im eigenen Schlafzimmer entstand: "Ich habe mich so viele Jahre lang überall allein gefühlt (meine Diskographie beweist es)", postete er kürzlich auf Instagram. Heute befindet er sich eher selten allein im Studio. Die "Before"-EP ist unter anderem in Zusammenarbeit mit Dominic Maker von Mount Kimbie und Erick the Architect von den Flatbush Zombies entstanden. Während Blakes Freundin, die Schauspielerin Jameela Jamil, auf seinem letzten Album "Assume Form" noch als Muse und Inspirationsquelle diente, wird sie nun sogar als Ko-Produzentin aufgeführt.
Dass er sie beim Schreiben der Texte diesmal ebenfalls im Kopf hatte, erscheint plausibel: "I don't have to read into this / I don't have to lean into the kiss / You move me naturally", singt er auf "Before". Mit dem zweiten Stück der EP wandelt der Blake ein wenig auf Radioheads bzw. Thom Yorkes Spuren, der sein Faible für Tanzmusik nicht erst mit dem letzten Solowerk "Anima" unter Beweis stellte. Richtig interessant wird der Song bei der schier endlosen Pause nach circa drei Minuten, in der zunächst nur eine Sirene zu hören ist, dann das "Monday, Tuesday, Wednesday, Thursday straight to the floor"-Sample und schließlich die unheimlichen, von einem zum anderen Ohr schwirrenden Violinen.
"Do You Ever" ist der einzige Song der EP, den Blake (fast) komplett eigenständig produziert hat, was man auch hört: unkonventionell, nicht immer so ganz harmonisch, zerfahren. Der Zurück-zu-den-Wurzeln-Ansatz kommt hier am besten durch. Das Outro "Summer Of Now" leitet Blake mit seinem Chorknaben-artigen Gesang ein, bevor schwere Orgelklänge diese Assoziation noch verstärken. Die instrumentale Untermalung erinnert zu Beginn ein wenig an Mazzy Stars melancholisches "Look Down From The Bridge", doch auch "Summer Of Now" erhält einen Uptempo-Beat und bleibt nicht die Ballade, nach der das Stück anfangs klingt. Textlich sinniert Blake hier über eine alte Bekanntschaft: "And if you ever get round to callin' me / We're both so different now / I think you'd be pleasantly surprised". Der Refrain "I'm not the summer of 2015 / But I can be the summer of now" lässt sich mit etwas Optimismus so interpretieren, dass es sicherlich schon viel schönere warme Jahreszeiten als den von der Pandemie dominierten letzten Sommer gegeben hat, es aber doch möglich ist, das Beste daraus zu machen, wenn man im Hier und Jetzt lebt.
Blakes Annäherungen an Pop wie auch seine Verbindung von Electronic, Ambient, Klassik, R'n'B und Soul auf den ersten drei Alben überzeugten sowohl große Teile der Fachkritik als auch die mittlerweile veränderte, aber wachsende Fangemeinde. Ist James Blake nun auch die Rückkehr zu den Wurzeln gelungen? Ja, denn die Verknüpfung seines Gesangs mit Dancefloor-Rhythmen funktioniert. Den Charme seiner alten EPs wie "Air & Lack Thereof", "The Bells Sketch" oder "CMYK" fängt er nicht komplett ein, denn dafür mangelt es ihm mittlerweile etwas an Experimentierfreudigkeit. Wie das Boiler Room-Set zeigt, passen die Lieder in ein DJ-Set (wenn auch Corona-bedingt ohne Publikum) und steigern die Vorfreude darauf, sich irgendwann mal wieder in einem prall gefüllten Club in der Musik zu verlieren.
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