laut.de-Kritik

Wer hier bewegungslos verharrt, ist taub oder tot.

Review von

Arg verkrampft wirkt das Spiel mit den Worten im Titel - und irreführend noch dazu. Delays Disco-Express legt am "Bahnhof Soul" noch nicht einmal einen Zwischenstopp ein. Statt dessen düst der Ex-Beginner ungebremst in Richtung Funk. Diesmal also kein neuer Jan, kein neuer Anfang?

Nicht ganz: "Bei 'Mercedes Dance' hatte ich mir vorgenommen, eine Funkplatte zu machen, wusste aber nicht wirklich, wie das geht", verriet uns Herr Eißfeldt kürzlich im Interview. Nichtsdestotrotz konnte sich das Resultat nicht nur hören lassen, sondern groovte - insbesondere in der Live-Version - wie ein unverschnupfter Schweinestall.

Die mit dem Vorgänger erworbenen Erfahrungen spiegeln sich nicht nur in der glitzernden Oberfläche der frisch vor die Säue gestreuten Perlen, sie bilden ihren Kern. "Irgendwann dachte ich, okay, jetzt weiß ich, wie so eine Funkplatte geht." Man hörts.

Kollegen wie Sharon Jones und die Dap Kings setzten einst den Retro-Zug unter Dampf, der in den Amy Winehouses oder Duffys dieser Welt mehr oder weniger würdige Passagiere beförderte. Erfreulicherweise sparen sich Jan Delay und seine inzwischen blendend aufeinander eingespielten Disko No. 1 den Versuch, das längst losgefahrene Vehikel noch zu erwischen.

"Das ist Hamburch!, tönt es aus "Rave Against The Machine" in einer Weise selbstsicher, als entwickle man in der Hansestadt jeden Tag eine moderne, abgespeckte, gar nicht zopfige oder auf antik getrimmte Interpretation eines Genres, das seine besten Tage zweifellos bereits gesehen hat.

Auch, wenn in bewährtester "Shaft"-Theme-Tradition die Gitarren durch "B-Boys & Disko Girls" knattern, wenn beim "Abschussball" der Hut in einer einzigen, fließenden Bewegung vor Falco, Trio und dem Fleisch gewordenen P-Funk, George Clinton, gezogen wird: Jan Delay kredenzt im Kreise seiner hochmusikalischen Mitstreiter eine Suppe ganz eigener Rezeptur.

Deswegen stört auch nicht, dass er sich von "Kommando Bauchladen" ("Rrring! Eißfeldt?") bis "Little Miss Anstrengend" (Man vergleiche das mal mit "Im Arsch", bitte!) selbst zitiert. Vielmehr sorgt derlei für wohlige Wiedererkennungs-Momente.

Die große Politik bleibt außen vor. Jan Delay berichtet von Feldern, auf denen er sich auskennt. Er wirft kritische Blicke auf das "Showgeschäft" oder, in "Oh Johnny", auf fragwürdiges Konsumentenverhalten und erliegt dabei schon mal einer "Überdosis Fremdscham".

Das Hauptaugenmerk scheint sich aber, wie besonders die balladesk vertonten Poesiealbum-Sprüche "an alle Traurigen" in "Hoffnung" oder die wahrhaft zauberhafte Liebesbekundung in "Ein Leben Lang" ahnen lassen, ins Private verschoben zu haben.

Dazu zählt in der Welt des Chefstylers natürlich nach wie vor die tief sitzende Hose, Größe X-"Large", und eine ordentliche Anzahl tauglich derber Party-Tracks. Eine Tanz-Platte sollte es werden: Mission erfüllt.

Wer, umfönt von schmissigen Bläsern, getrieben von Funk-Gitarren, Claps, stellenweise geradezu Latin-getränkter Percussion und Rhythmen, die in "Kommando Bauchladen" nur haarscharf am Ska vorbeischrammen, bewegungslos verharrt, muss taub oder tot sein.

"Du kannst die Sorgen nicht ertränken, sie sind verdammt gute Schwimmer." Wo neben Prince und Stevie Wonder der Chefstyler für musikalische Tröstungen sorgt und das Taschentuch reicht, stirbt die Hoffnung in der Tat zuletzt.

Trackliste

  1. 1. Showgeschäft
  2. 2. Oh Jonny
  3. 3. Ein Leben Lang
  4. 4. Überdosis Fremdscham
  5. 5. Abschussball
  6. 6. Hoffnung
  7. 7. Disko-Girls
  8. 8. Large
  9. 9. Kommando Bauchladen
  10. 10. Little Miss Anstrengend
  11. 11. Rave Against The Machine
  12. 12. Disko

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