laut.de-Kritik

Fühlbarer Disco-Funk mit echten Instrumenten.

Review von

Jessie Ware assoziierte man bisher gemeinhin mit Musik fürs Schlafzimmer. Intim und softsoulig gab sie sich auf "Tough Love" und "Devotion". Jetzt legt sie ihre kantigste Scheibe vor, reif und retro.

Für "What's Your Pleasure" badete die Sängerin anscheinend in alten Vinyl-Sammlungen. Der dezent-unschuldige Charme von Minnie Riperton lebt auf, man gönne sich dazu als erstes den Schlusssong - unbedingter Anspieltipp! Die sonnige Euphorie von Roy Ayers'-Wohlklangwogen findet sich in den erstklassigen Arrangements. Der Arp 2600-Kult-Synthesizer pflockt die Bassline-Grundsteine ein. Für die Oberstimmen sorgt der polyphone Deckard's Dream, Nachbau eines legendären Yamaha-Synthie und Fans früher 80er-Filme dank Hans Zimmer und Vangelis vertraut im Sound.

Prince'sche Funk-Crazyness aus jener Ära hat Ware ebenso absorbiert. Energische Tanzbarkeit übernimmt sie aus dem verträumt-hypnotischen Disco-Funk der Marke Patrice Rushen. Fette Kick-Drums machen eine klare Ansage, bereiten mit erdigem Groove den Weg durch die meist schnellen Tracks und werden stets von den warmen Sphärenklängen des Oberheim Matrix 1000 umschlungen. Der Synthesizer verwandelt Klavier- und Bläsertöne in verfremdenden, gestreckten Raumklang und dient hier als angenehme Vorführung von Offbeat-Musik ohne Trap-imitierendes Gedöns. Obendrauf öffnen die Vocals das Tor zur menschlichen Seele. Und auch als Instrumentals wären einige der Songs wertvoll.

Jessie Ware haucht Sehnsüchte, die selten besonders geschlechtsspezifisch wirken. "Read My Lips" deutet etwas das Prinzip 'Prinzessin' an, und ansonsten beherbergt die Platte genau jenes urbane Lebensgefühl der sexuellen Befreiung in den 70ern, das unisex und unabhängig der Orientierung vorherrschte: sich fallen lassen und hingeben. Die frisch im TV wiederholten Bond-Filme mit Roger Moore parodieren damals schon dieses vorschnelle Sich-Anvertrauen mit Charme, Jessie Ware wäre Kandidatin für einen heutigen 007-Filmsong. Den Gestus der Unschuldigen legt sie in "Spotlight" mit ihrer Darstellung von "moonlight and satin" dar: sinnlich, fühlbar, bereit für ein romantisches Abenteuer sofort im ersten Track, ohne Anwärmphase.

Jessie vertont in "The Kill" auch die Gefahren, wenn es "complicated" wird und Liebe ins Verletzende kippt. Die Musik erinnert an Zeiten, in denen richtig Geld in organischen Sound gepumpt wurde, auch textlich handelt der eindrucksvolle Schlusstrack vom Zurückdenken, "Remember Where You Are". Ware saugt ihren Sound aus dem New Yorker Underground von Pionier Walter Gibbons und Early Adopter Frankie Knuckles und den Stimmungen, die Giorgio Moroder mit Donna Summer inszenierte. Die Synth-Percussions entwickeln auf "What's Your Pleasure" ein Eigenleben, ziehen den Hörer wie an einer Leine auf sicherem Pfad in den Disco-Jungle.

Einzig anzumerken wäre, dass auf diesem stimmungsvollen und ziemlich genialen Album wie schon bei Wares Vorgänger-CDs der 'Hit' fehlt. Eine Smash-Nummer, die bei uns den Weg in die Crossover-Pop-Charts bahnen könnte, wäre allenfalls "Soul Control", allerdings auch der einzige vorhersehbare Track. Gut, die cinematoskopischen Pizzicato-Synthie-Geigen in "Step Into My Life" wirken extrem eingängig, genauso wie die Harmony Line im sommerlich-luftigen "Read My Lips" und das kindlich gesungene, Blondie-art-poppige "Ooh La La", das mit Jojo-Beats und leichtem Post-Punk-Twang brilliert. Doch meist überwiegt die filigrane Gestaltung. Mehrmals, z.B. im Intro zu "Mirage (Don't Stop)", führt die Melodie auf eine falsche Fährte. Songs starten spannend, bauen immer mehr Spannung auf statt ab und verschließen sich so dem Nebenbei-Konsum ("The Kill", "In Your Eyes").

"What's Your Pleasure" spult gegenüber Dua Lipas "Future Nostalgia" noch ein halbes bis ganzes weiteres Jahrzehnt zurück und landet somit auch in jener Zeit, als dubbiger Disco-House und Hip Hop à la Kool Herc und Afrika Bambaataa sich parallel und wechselseitig entwickelten, was besonders in den Effekten von "Ooh La La" anklingt. Dieser Rücksprung macht die Scheibe zum Ereignis. Das fantasielose Cover-Artwork beiseite genommen, ist das Album hochwertig produziert und lohnt sich als schwarze Schallplatte, der man bei einem Gläschen Lieblingsgetränk beim Drehen zusieht.

Trackliste

  1. 1. Spotlight
  2. 2. What's Your Pleasure
  3. 3. Ooh La La
  4. 4. Soul Control
  5. 5. Save A Kiss
  6. 6. Adore You
  7. 7. In Your Eyes
  8. 8. Step Into My Life
  9. 9. Read My Lips
  10. 10. Mirage (Don't Stop)
  11. 11. The Kill
  12. 12. Remember Where You Are

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