laut.de-Kritik
Vom gefälligen Background zur eigenständigen Künstlerin.
Review von David MaurerSeit über zehn Jahren schwirrt der Name Jhené Aiko durch die R'n'B- und Hip Hop-Landschaft, ohne wirklich präsent zu sein. Erst als jugendliche Backgroundsängerin und Tänzerin für Acts wie B2K, später als Feature in Stücken namhafter Rapper. Selbst auf ihren eigenen Mixtapes verkörperte sie neben MCs wie Drake und Kendrick Lamar dabei eher eine talentierte Randerscheinung als eine eigenständige Künstlerin.
Dass Aiko, die man bislang nur selten alleine auf einem Track hörte, bei ihrem Debüt "Souled Out" auf eine hochkarätig besetzte Gästeliste verzichtet, überrascht deshalb zunächst. Die Entscheidung gegen K-Dot, Vince Staples und Co. erweist sich aber als goldrichtig.
Ebenso überschaubar wie die unterstützenden Vocals präsentiert sich das Produzententeam hinter dem heiß erwarteten Debüt. Mit No I.D. und Fisticuffs besorgen den Großteil der Beats zwei Verantwortliche mit einer sehr ähnlichen Idee, was "Souled Out" schon beim ersten Durchgang angenehm rund wirken lässt.
Pulsierende Bässe und einfache Drumloops bestimmen den Sound der insgesamt zwölf Stücke, mal garniert mit sanften, aber nie kitschigen Akustikgitarren ("Spotless Mind"), mal mit fast verschwindend zurückhaltenden Pianoklängen ("Eternal Sunshine"). Andere Elemente wie Handclaps und Synthesizer sind ebenso lediglich dezent vertreten und lassen der sanften Stimme Aikos genug Spielraum.
Dass diese Mixtur aus Neo-Soul, R'n'B und Hip Hop kaum auf Radio-Airplay ausgelegt wurde, zeigt schon der Opener "Limbo Limbo Limbo". Zu langsam und bedächtig schweben auch die wunderschön verträumten "Wading" und "The Pressure" daher. Ins Gedächtnis brennt sich zwar kaum ein Track, einen Wiedererkennungswert besitzt der Sound Aikos aber auch ohne eingängige Melodien und gebetsmühlenartig wiederholte Ohrwurm-Hooks.
Bedingtes Chartpotenzial beweist höchstens die hingebungsvolle Liebeshymne "To Love & Die", die mit hypnotischen Synthies den Höhepunkt der Platte darstellt. Die Co-Produktion der drei Cocaine 80s-Mitglieder No I.D., Jhené Aiko und Singer/Songwriter James Fauntleroy, der die Background-Vocals beisteuert, gehört vielleicht sogar zu den besten Songs des Genres in diesem Jahr.
Das liegt natürlich vor allem am Vortrag Aikos selbst. Nicht nur in "To Love & Die" liefert sie eine stimmlich immer überzeugend gefühlvolle, aber nie klebrig süße oder gar aufdringliche Performance ab - passend zu den durchgängig interessanten Texten. Das Themenfeld des Albums ist zwar recht eng gesteckt. Das beherrschende Thema Liebe verpackt Aiko allerdings in intelligent geschriebene Zeilen, die neben sehr persönlichen Geschichten mit geschickten Referenzen und Wortspielen aufwarten.
Ob Erinnerungen an ihren verstorbenen Bruder, Liebesbekundungen an ihre Tochter oder eine Interpretation der Hook von 50 Cents "Many Men" - keine Zeile scheint überladen, geschweige denn überflüssig: "Now many men / Many, many, many men, wish death upon me / Have mercy on me / Cause I'm just a prisoner of your army of one / But I'll fight to the death or until your heart is won".
So gut Stimme, Texte und Beats harmonieren, eine gewisse Eintönigkeit lässt sich auf Dauer nicht abstreiten. Zu sehr ähneln sich viele der Stücke, lassen sich bis auf einige Ausnahmen oft schwer voneinander trennen, ohne beim Hören gleichzeitig den Songtitel vor sich zu sehen - was andererseits einen angenehmen Hörfluss erzeugt. Zudem versteckt sich in "Promises" der einzige kleine Aussetzer. Die von Aikos Tochter Namiko gesungene Hook wiederholt sich nicht nur allzu oft, sondern wirkt mit Kinderstimme vorgetragen erwartungsgemäß leicht albern.
Ein Kritikpunkt, der jedoch schnell wieder in Vergessenheit gerät. Denn der folgende Freestyle "Pretty Bird" sorgt, auch wegen eines exzellenten Common-Parts, für einen sehr gelungenen Abschluss des Albums, mit dem Jhené Aiko den Status der gefälligen Hintergrundsängerin weit hinter sich lässt, um sich als interessante und eigenständige Künstlerin zu etablieren.
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