laut.de-Kritik
Luftig-lässige Sommer-Playlist mit ein paar Funkpop-Highlights.
Review von Philipp KauseDas Produzenten-Team Jungle programmiert zwar scheinbar 'nur' synthetische Loops, die sich in rhythmischer Komplexität umeinander wickeln. Live kann's aber durchaus passieren, dass das englische Kollektiv nicht nur mit dem Beatmaker-Kern und Vokalistin Lydia Kitto, sondern mit einer ganzen Band anrückt. Davon haben wir auf einem Album wie "Volcano" zwar nichts, dafür können wir uns am Cover-Artwork satt sehen. Das ist seit Jahr und Tag das gleiche, aber die Farbe variiert. Orange wie das diesjährige Bild klingt auch der Sound: ein in vielen Punkten ambivalenter Kompromiss zwischen Afrobeats ("Back On 74"), geschobenen Daft Punk-Makes-you-wanna-move-Stroboskop-Grooves ("Don't Play") und der Antwort auf die Frage, wie Jamiroquai wohl heute nach dem Khruangbin-Hype klingen würde.
Ob sich das jetzt glitscheglatt anlässt, was in "Every Night" auf den Spuren der Acapella-Gesänge von Ladysmith Black Mambazo kreist und wie durch die Talkbox gezogen klingt, oder ob das wirklich fresh rüber kommt - hängt von der Hörsituation ab. Für nebenbei passt es, beim bewussten Hinhören wirkt es abgestanden. Und ob sich Flöten-Fiepen tatsächlich gut in den Song "Problemz" einfügt oder das als Pseudo-Ethnopop für Hipster nervt, das hängt vom eigenen Standpunkt zu Soulmusik ab. Die Falsett-Geschmeidigkeit in "Problemz" wie auch in "Good At Breaking Hearts", hat ihren ausgeprägten Reiz und reicht stellenweise fast an Roy Ayers' R.A.M.P. heran. Sie wirkt mir als absolutem Soul Lover aber dann doch zu einstudiert, mit dem Geruch der Flure von Kunst- und Jazzakademien.
Jungle sagen mitnichten, dass sie eine Expedition in fremde Gefilde machen würden. Gegen einen möglichen Kritikpunkt blinder Aneignung spricht auch, dass hier kein Merkmal oder Track wirklich für sich steht: Eher bauen die Dschungelkämpfer zielstrebig eine quirlige Stimmung auf, variieren sie im Laufe der Platte, und alles verschwimmt. "Volcano" fühlt sich daher wie eine Playlist an, vielleicht konzipiert für die Beschallung einer Cocktailbar. Da machen sich die Yachtpop-Avancen von "Palm Trees" perfekt.
Die Two-Step-Szene als wichtige Strömung englischer Electro-, R'n'B- und Hip Hop-Entwicklung wird in den ersten 24 Takten von "Holding On" (nach einem sirenenhaften Übergang) fachgerecht gemolken. Bruchlos bounzt das "Volcano"-Tape-Playlist-Album so lange weiter, bis mit Erick the Architect in "Candle Flame" der erste Gast dazwischen rappt. Generell sind drei der vier Features hier ungefähr so brauchbar wie Ziernähte auf Hosen, die Taschen suggerieren, aber nur als optische Stilmittel dienen.
In die Tiefe geht auch der Auftritt von Roots Manuva nicht, der einen Satz rotieren darf, ebenso wenig der von Bas, 36, aus der Bronx, mit Näselstimme, der über sein Karma rappt und mir zu auswändig gelernt klingt. Richtig gut fusionieren die Londoner ihr zuckeliges Chic-Erbe derweil mit dem Westcoast-Gespitte des kritisch klingenden Channel Tres. Der 32-jährige Drummer, Produzent und Rapper hat doch tatsächlich noch kein Debütalbum, seine Stimme tänzelt genau auf der Kippe zwischen Klarheit und Schmirgelpapier.
Als geniales Highlight in Schlichtheit fesselt der positive vibez-Funkpop "Dominoes" mit viel Vocals-Input, aber nur drei Textzeilen, die in Silben und Mikro-Laute zerfallen: Beatstechnisch ein akustisches Stück Wackelpudding. Hier, wie auch an anderer Stelle erinnern die Verarbeitungen der Stimm-Bauteile an den Avalanches-Klassiker "Since I Left You" und an die Sample-Texturen des letzten Albums jener Australier. Dabei betonen Jungle, überhaupt nur ein einziges Sample zum Einsatz zu bringen.
Funky-rhythmisch kommen einem für Playlists, die dann Tracks der Jungle-Platte enthalten sollen, schnell mal The Allergies in den Sinn ("Say The Word", 2020). Ansonsten lässt sich eine bunte Vielfalt damit kombinieren, Kutiman passt zu "Us Against The World" und "Back On 74", TTame Impala sind mit "Palm Trees" kompatibel, "Holding On" mit The Streets, gefühlt alles mit alten Kitsuné-Samplern. Doch außer dem konkreten Nutzwert mancher Tracks für manche Momente lässt das Ganze ein bisschen ratlos zurück. Alles hört sich nett an, nichts lässt wirklich aufmerken, "Dominoes" und "Don't Play" bleiben nach zahlreichen Durchläufen als Höhepunkte haften, wobei gerade "Don't Play" von Jamie Lloyd-Taylor a.k.a. Mood Talk koproduziert ist, einem gemeinsamen Bekannten der Sängerin und des Gast-Rappers Bas.
Die weitere Produktion des Albums ist schnuckelig: In den wuschelig-verqueren Parts sammelt sie sowohl die Plus- als auch die Minus-Punkte, die glatteren Anteile verstreamen sich irgendwie neutral im Vorbeiblubbern. Im Zweifel einen Test wert, weil's lässig-luftig-leicht ganz gut mit hellen Hochsommer-Tagen matcht.
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