laut.de-Kritik
Vom König des Roots-Revivals hat man mehr erwartet.
Review von Philipp KauseKulturpessimistisch ließe sich anmerken: Das so genannte 'Roots Reggae-Revival' war ein Etikettenschwindel, und selbst der Authentischste seiner Art, Kabaka Pyramid, hat die Ideale dieser Bewegung verraten. Möglich, dass er damit bei Pop- und Hip Hop-Hörerschaften punktet.
Positiver ließe sich formulieren: Es bleibt Luft nach oben auf diesem 'Debütalbum'. Und das ist gut so. Sie kennen als gute Anti-Babylonier die Gesetze des Business: die Roots Reggae-Youngsters. Und sie wollen nicht, dass jemand das zweite Album später einmal schwächer als das erste findet. Also machen sie selbstsabotierende Debütalben - die Chronixxes, Jesse Royals und Kabakas sind schlau. Warum auch nicht?
Mit Alben lässt sich in der Welt des Reggae noch weniger Geld verdienen als in anderen Genres. Außerdem sind sie etablierte Namen, die sowieso für Tourneen, insbesondere für große Festivals gebucht werden. Schließlich reichen im MP3-Zeitalter ein paar wenige gute neue Songs aus.
Doch von einem 'Debüt' kann man hier nur mit zwei zugekniffenen Augen und einem geschlossenen Ohr sprechen. Kabaka Pyramid hatte viele Chancen, ein Debütalbum zu veröffentlichen. Er schlich sieben Jahre lang darum herum, als könne er sich dabei verbrennen und hätte etwas zu verlieren. Lächerlich, da von einem Newcomer zu sprechen.
16 Titel sind primär viel. Doch vier davon kursierten monatelang als Vorab-Singles. Ein weiterer hatte seinen Release vor einem halben Jahrzehnt. "Make Way" hat noch Pfiff. Die Stimme Kabakas klingt nölig, doch sein Gast Pressure Busspipe treibt den Track an. Dieses Modell mit den Featured Guests wird das Album hindurch so beibehalten und rettet es auch. Die Arbeitsteilung ist seltsam, denn die Gäste stehlen dem Gastgeber hier meist die Show.
Bei "My Time" wählt er einen Hip Hop-Vortragsstil mit Pop-Reggae-Klangfarbe und Raggamuffin-Beats. Grauenvolle Mischung. Der Text wirkt heruntergespult. Es fällt auf: Kabaka hat eine seltsame Atemtechnik.
Im Titel-Track "Kontraband" doziert Damian Marley über Drogen. An seiner Seite ein in den Hintergrund gemischter Kabaka. Einst genannt "King Kabaka" (2013). Auf solche mitreißenden Songs kann man hier lange warten.
"Can't Breathe", super Text, ernstes Lied. Jedoch war das schon ein ganzes Jahr lang Single und die Melodie ist etwas fade. "Well Done", Abrechnung mit jamaikanischen Politikern, seit vier Jahren im Live-Repertoire Kabakas, auch geschenkt. Das Recycling nimmt überhand. Wäre denn nicht mal ein neuer Mix, ein Live-Mitschnitt, ein Dub oder eine coole Duett-Fassung drin gewesen?
"Reggae Music" wird zur Fanfare an Versatzstücken - ein "Worst Of" der klischeehaftesten Bestandteile jamaikanischen Songguts der letzten 15 Jahre. "Kaught Up": ein Pop-Liebeslied, das mich an die deutsche Teenie-Helden-Boygroup Bed & Breakfast aus den Neunzigern denken lässt - die sowas besser konnten.
"Lyrics Deity" -ein einziges Wortgewitter! Doch wo bleiben die musikalischen Einfälle? Erst auf dem neunten Titel findet sich so etwas wie Eleganz. "Borders" ist geprägt von Stonebwoy. Auf diesen Gast aus Ghana sollte man achten. Er setzt hier die coolsten Akzente.
Spannend wird kaum noch, was kommt, sondern wie sich der Künstler bis zum letzten Track über Wasser halten will. Damian Marley mag ein inspirierender Reggae-Rapper sein. Doch als einer der Executive Producers tut er dem Album keinen Gefallen: Akustisch 'gemeinte' Songs mischt er so künstlich ab, dass einiges vom Charme und auch vom Fokus auf die Lyrics verloren geht. Wenn er Hip Hop will, dann muss er doch die Worte pushen, oder?
Es fehlt natürlich kein Protoje und kein Chronixx – "Blessed Is The Man" kann man als Abhaken von Gästen sehen, die man haben muss. Der Song funktioniert, bekennt sich deutlicher zum Hip Hop; die Beats sind härter, trockener, die Lyrics der Content. Die geschichtliche Beziehung zum Gospel wird spürbar. Leute aus Jamaikaner segnen ihre Mitmenschen gerne zur Verabschiedung, sprechen 'Blessings' aus.
Die Religiosität wird hier fühlbar. Das Lied nimmt sich Zeit, let's get slow, das ist doch der Kern des "Conscious Reggae" – oder sollte er sein. Die fünfte Minute erinnert an Mercury Rev und The Moody Blues, die Welt des Art-Pop - süß, verspielt, traumhaft, melancholisch, subtil. Schön!
"I'm Just A Man" gibt gegen Ende alles, was Kabaka aus dem Segment Soul/R’n’B/Hiphop auf Lager hat. Ausgerechnet der Song mit dem niedrigsten Reggae-Anteil ist der stärkste Tune auf dem ganzen Album. Ausgerechnet diesen Song haben ausnahmsweise sehr straighte Reggae-Produzenten erarbeitet: Die Irievibration Records aus Österreich.
Den Abschluss setzt mit "All I Need" die coole Nattali Rize, die Kabaka einen Gegenbesuch abstattet. Zuvor war er bei ihr auf ihrem aktuellen Album. Schlauerweise bringt sie ihren eigenen Bassisten als Produzenten mit. Sie bekundet mir im Interview, gut mit Kabaka Pyramid zusammenarbeiten zu können. Glaubwürdig; sicher ist Kabaka ein netter Typ. In diesem Fall setzt sie dem gelangweilten Sprechgesang ihres Gastgebers etwas Frische entgegen - davon hätte es hier insgesamt mehr gebraucht.
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