laut.de-Kritik
Der Gottessohn vergibt die Sünden der Ghettowelt.
Review von Alexander EngelenNach über einem Jahr dreht sich Kanye Wests "College Dropout" immer noch fast jeden Tag in meinem CD-Spieler. Bis heute hat das Album nichts an Reiz verloren. Für Kanye brachte das vergangene Jahr Kollaborationen mit namhaften Artists wie Brandy, Mariah Carey, Maroon 5, Janet Jackson, Alicia Keys oder Mos Def. Dazu Grammy-Nominierungen en masse und der ständige Versuch, als bestangezogenster Rapper die Sympathien der Welt zu gewinnen. Außerdem drehte Kanye insgesamt acht Videos, die dank seines Perfektionsdrangs West getrost zu kleinen Juwelen in der bitteren Historie nichtssagender Videoclips gezählt werden können.
Jeder Clip für sich hat die Konservierung für spätere Generationen verdient. Deswegen ist es auch nicht verwerflich, eine DVD groß anzukündigen, die mit nicht viel mehr als ein paar Clips aufwartet. Wer aber nur einen der vorliegenden Musikfilme nicht gesehen hat, sollte sich schnurstracks auf den Weg machen und diesen Silberling erstehen.
"Through The Wire" setzt zu Beginn die ersten Gehversuche in der musikalischen Öffentlichkeit wunderbar bruchstückhaft auf einer episodischen Pinnwand um. "All Falls Down" zeigt die Abschiedszeremonie am Flughafen in den Augen des großzügigen Lebemanns. Den Höhepunkt stellt Kanyes herausragender Auftritt im Sicherheitscheck dar, der schließlich bei Flugbegleiter Common endet. "Slow Jamz" zeigt Oscar-Gewinner Jamie Foxx in Bestform, und "Two Words" erhebt dank Super 8-Format künstlerischen Anspruch. "The New Workout Plan" zeigt dann, wie Kanye den Mädels (schöne) Beine macht. Auf der achtminütigen Langversion darf sogar Anna Nicole-Smith ihre Bauchmuskeln anstrengen und begeistert - in bester Homeshopping-Manier - für Kanyes Fitnessvideo werben.
Absoluter Höhepunkt ist allerdings das unvergleichliche "Jesus Walks"-Clipprojekt. Da der Song in den Augen Kanyes mehr als nur ein Video verdient hat, fackelte er nicht lange und drehte kurzerhand drei verschiedene Videos zur Single. Die Church-Version zeigt Kanye als Prediger, der Alkoholiker, Nutte und Gangster zum Glauben führt. Manche mögen dabei die "Ein Engel auf Erden"-Nummer zwar übertrieben finden, unbestreitbar ist jedoch die Metaphorik und Intensität des Clips, der den Track wunderbar in Szene setzt. Ähnlich die Street-Version: Hier erlebt der Zuschauer einen Tag mit Kanye, dem Jesus selbst auf Schritt und Tritt folgt. Jesus bringt Lahme zum Tanzen, füllt Kühlschränke als moderne Brotvermehrung und vergibt schließlich als schwarzer Gottessohn die Sünden der Ghettowelt.
Die Chris Milk-Version stellt daraufhin bildlich alles in den Schatten, was in der vergangenen Zeit über die MTVIVA-Bildschirme flimmert. Das zumeist in Schwarz-Weiß gehaltene, bildgewaltige Videoepos gibt dem Song des Jahres 2004 das passende filmische Gewand. Eine Verfolgungsjagd in der Wüste, Sklaven beim Marsch durch den Steinbruch, und allem voran der Leidensweg Christi, nachgestellt von einem Ku Klux Klan-Kuttenmann, der ein brennendes Kreuz trägt. Dieser Clip hätte ohne Zweifel den Titel des besten Videos des Jahres verdient. Immerhin ist dieser Award dank Jay-Zs "99 Problems" im Hause Roc-A-Fella gelandet.
Die DVD berichtet im exklusiven Making Of schließlich über alle drei "Jesus Walks"-Clips. Rapper Rhymefest, der als eigentlicher Schöpfer des Tracks gilt, bekommt erstmals öffentlich seinen Beitrag zur Single attestiert. Kanye bedankt sich artig bei Boss Damon Dash für die 600.000 Dollar (!), die der für die Videodrehs locker gemacht hat. Außerdem schmunzelt man einmal mehr über Kanyes beherztes Eingreifen für eine Filmkassette bei der "Versteckten Kamera"-Show Punk'd.
Zu guter Letzt liefert die Bonus-CD auf knapp einer halben Stunde Laufzeit sieben unveröffentlichte Stücke. Den sehr überzeugenden Remix von "Jesus Walks" unterstützen Common und Bad Boy-Priester Mase. "It's Allright" und "Heavy Hitters" sind gewohnt hochwertige Kanye-Produktionen, die werbeträchtig die Vertreter seines Rennstalls - John Legend und GLC - featuren. Auf dem Remix zu "The New Workout Plan" kommt es schließlich zum großen Zusammentreffen der beiden Produzenten, die das vergangene Hip Hop-Jahr dominiert haben. Lil Jon schlonzt einen weiteren Synthie-Kracher auf die Tanzfläche, und Kanye zeigt, dass er im direkten Vergleich mit Lil Jon zumindest mal als Rapper die Nase meilenweit vorne hat.
Das Package legt Zeugnis davon ab, warum West nicht nur musikalisch als Perfektionist gilt. Besonders die "Jesus Walks"-Trilogie wird in der nächsten Zukunft auf nichts Vergleichbares treffen. Und wer sich nichts aus bebilderter Musik macht, soll einfach nur den Ton laufen lassen, um die Zeit bis zum kommenden Kanye-Album "Late Registration" zu überbrücken.
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