laut.de-Kritik
Halbverjährter Internetgrusel auf drei Tonnen Bass.
Review von Yannik GölzKen Carson, die Dritte: Hip Hop-Onkels halten ihn immer noch für eine Verschwörung, wenn nicht, dann mindestens für einen aus den Fugen geratenen Running Gag. Indes ist er neulich als einer der Headliner des Splash!-Festivals bekanntgegeben worden. Alle Diskussion beiseite, ob der jetzt rappen kann oder nicht: Irgendein Suchtmittel muss in den Liveshows dieser ganzen Opium-Kids doch versteckt sein, denn kaum ein Live-Act weckt bei den Leuten gerade so viel Interesse wie ein Ken Carson.
Letztes Jahr hat er sich mit seinem "A Great Chaos" aus dem Schatten von Mentor Playboi Carti gewunden. Dieses Jahr gibt es "More Chaos", ein Album, das sehr genau hält, was es verspricht. Und auch, wenn es wirklich wenig Interesse daran hat, die Formel zu ändern, zeigt es doch, dass die Rage-Formel noch längst nicht verbraucht ist.
Mir schien es immer, als würde Trap sich zu Hip Hop verhalten wie Metal zum Rock. Nicht unbedingt, was Handwerk und Virtuosität angeht, aber in der Bereitschaft, sich in bestimmte härtere (Live-)Spielarten des Genres zunehmend tiefer zu versenken und daraus ganz eigene Sounds und Ästhetiken zu gewinnen. Ich würde die Linien so ziehen: Gucci Mane ist Motörhead, Thug und Future sind Metallica und Slayer, und dementsprechend wären Carti und Ken so etwas wie Mayhem und Bathory. Nagelt mich nicht komplett darauf fest, ich will nur sagen: Ihr müsst euch dieses Rage-Ding als die absolut eigenwillige Mutation einer Mutation vorstellen.
Denn auch, wenn "More Chaos" rein numerisch auf einem zugänglichen Level des glitzerpoppigen Südstaaten-Raps spielen sollte: Dieses Album ist wie schon sein Vorgänger absolute Schleifsteinmusik. Und für alle, die bei Cartis "Music" eher genervt davon waren, dass er versucht hat, zu Atlantas Travis Scott zu werden, bekommt ihr hier ohne Umschweife den real Deal: Das ist destruktiver, industrieller, bassversumpfter Rage-Sound, zu dem man ganz sicher weiß, dass die Rolling Loud-Teenies eine ganze Stunde den Moshpit zum Treibsand machen werden.
"LiveLeak" hat wirklich eine turbulente, überwältigende Energie, die sich in der letzten Minute noch in einen bösen Beatswitch umsetzt. "200 Kash" geht komplett an die Grenze, was unter "Bassmusik" und was unter "BASS BOOSTED 2012"-beschissenes Mixing fällt, aber irgendwie kitzelt es doch einen sehr seltsamen Teil des Hirns. Der Outro "Ghoul" holt sich den ehemaligen legendären Carti-Weggefährten Pi'erre Bourne für einen Rage-Track, der wie ein Geisterhaus klingt. "Kryptonite" und "Psycho" sind die emotional interessantesten Songs, weil ihre Space-Level am ehesten in Richtung von altem Cloud Rap-Zeug zeigt, ohne dabei das Bass-Massaker zu entwerten.
Das alles aber nur nebenbei, denn man muss trotzdem festhalten: Wenn man die eigenen Ohren nicht schon sehr für diesen Sound akklimatisiert hat, könnte sich "More Chaos" gut und gerne anfühlen, als würde man einen Track im Loop hören, während im Rahmen einer Stunde die eigenen Boxen immer weiter kaputtgehen. Viele Tracks nutzen recht ähnliche Synth-Ideen, viele Tracks gehen ein bisschen in der Monotonie unter. Ken bleibt weiterhin kein besonders beeindruckender Performer. Er hat seine besten Momente, wenn er etwas komplett Ulkiges sagt, zum Beispiel: "I'm going Mozart, I'm going Shakespeare / I have a bakery, but I ain't bakin' no cakes here / I'm havin' bread, I'm makin' bread, shawty / Bread, bread, shawty / Bread, bread, shawty" auf "XPOSED". Majestätisch.
Und doch, ich will weiterhin eine grundsätzliche Lanze für den Jungen brechen: Vielleicht hilft es ja, sich ein bisschen in die Videos und Visualizer einzufuchsen, die den Hauptappeal dieser Musike wirklich gut umreißen. Da ist einfach eine joviale Freude an allem, das edgy, laut, satanisch und rebellisch aussieht. Das hat in dem Sinn auch keinen Tiefgang, "More Chaos" ist wie schon sein Vorgänger in seinen besten Momenten einfach nur ein sehr gut kuratiertes Moodboard an halb-verjährtem Internetgrusel über die lächerlichste Bassmusik, die man sich vorstellen könnte. Ich finde es nicht so schwer, den Reiz daran zu verstehen.
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