laut.de-Kritik
Ein Hauch Kalifornien hat noch niemandem geschadet.
Review von Moritz Klein"Bettin' on myself and every time, n***a, it's a hit." Dieser Satz bleibt hängen. Wie ein Mantra spricht Larry June ihn über den wabernden Reggae-Sound. Auf eine Weise hat er Recht, wobei es sich natürlich immer um ein abgekartetes Spiel handelt, wenn man sich Alchemist ins Boot holt: Der Maßschneider am MPC hat es wieder getan.
"Turkish Cotton" stimmt auf ein durch und durch nach Westküste klingendes Album ein: Das konspirative Sample der japanischen Band Spectrum versetzt einen an eine nächtliche Küstenstraße. Zurückgelehnter Yacht-Sound, Windbreaker-Jacken und Bremsscheiben aus Keramik. Alchemists Affinität zu japanischer Musik zeigt sich auch auf dem folgenden Track "89 Earthquake", den ein sperrig arrangiertes Saki-Kubota-Sample trägt, und auf dem wiederum darauffolgenden Titel: Für "Solid Plan" hat sich Alchemist beim Track "The Soaring Seagull" des Electro Keyboard Orchestra bedient. Action Bronson betritt hier als erstes Feature des Albums die Bildfläche eines Titels, der in ähnlicher Weise gut auf ein Projekt wie "Yacht Rock 2" gepasst hätte.
Mit "Palisades, CA" nimmt die Geschwindigkeit zu. Immobilienhandel und Nahrungsergänzungsmittel, Strände und schnelle Autos. Pacific Palisades im Westen von L.A.: die geschichtsträchtige Wahlheimat von Persönlichkeiten wie Adorno und Thomas Mann, eine schicke Gegend voll teurer Häuser und wichtiger Menschen. Als Feature erscheint hier Big Sean, der respektable Arbeit leistet.
Mit "Summer Reign" tritt ein poppig-R'n'B-haftes Lied auf, bevor wir in "Orange Village" auf einmal ein Slum-Village-Feature zu hören bekommen: unerwartete Reminiszenzen an den Altmeister Dilla in Kombination mit Larry Junes Leidenschaft für Zitrusfrüchte.
"Porsches In Spanish" steht exemplarisch für das Album: Sonnige Klänge, entspannte Stimmung und ein souliges Sample aus "Let Me Try" von Crosstown Express. Edelhotels und Kunstikone Jean-Michel Basquiat finden auf "Art Talk" Erwähnung, bevor ein großartiger Feature-Part von Boldy James ein echtes Statement setzt: mit Sicherheit einer der besten Gastbeiträge des Albums.
Nach dem gitarrenlastigen und emotionaleren "Ocean Sounds" geht es mit "Left No Evidence" (und einem Feature des Dilated-Peoples-Mitglieds Evidence) weiter, bevor auf "What Happened To The World?" erst Wiz Khalifa und dann auf "Éxito" LNDN-DRGS-Member Jay Worthy auftaucht. Für "60 Days" hat Alchemist offenbar bei der Filmmusik des 70er-Streifens "Melinda" zugegriffen, was auf dem Track gut funktioniert, wie auch die Features von Joey Bada$$ und Curren$y auf "Barragán Lighting", ein künstlerischer Tribut an den charakteristischen Einsatz von Licht und Farbe des stilprägenden mexikanischen Architekten Luis Barragán. Mit dem dankbar-melancholischen "Margie's Candy House" findet die Tracklist ihren Abschluss. Zeit, sich zu fragen: Was kann das Album in seiner Gesamtheit?
Die wie bei jedem Alchemist-und-Partner-Projekt wie angegossen sitzende und speziell für den Co-Act entworfene Atmosphäre lässt die Schwächen fast nichtig erscheinen. Unter seinesgleichen steht "The Great Escape" allerdings nicht sehr weit oben auf dem Siegertreppchen. Das ist bei der Konkurrenz auch keine Schande: "Lamb Over Rice" mit Action Bronson, "The Price Of Tea In China" (sowie "Bo Jackson" und "Super Tecmo Bo") mit Boldy James, "LULU" mit Conway The Machine, "Alfredo" mit Freddie Gibbs, "Haram" mit Armand Hammer, "Continuance" mit Curren$y und "The Elephant Man's Bones" mit Roc Marciano. Alchemist wirft mit Kollaboprojekten (zuzüglich Solo- und Kurationsalben) geradezu um sich, von denen jedes für sich eine breite Konkurrenz in den Schatten stellt.
Trotz geringfügiger thematischer und lyrischer Eintönigkeit seitens Larry June (zugegeben) fällt schwer, sich Opinion Leader Anthony Fantano anzuschließen, der dem Album auf der Skala von eins bis zehn gerade eine "starke Drei bis schwache Vier" verpasst und es damit trotz seiner sonstigen Liebe zu Alchemists Projekten mehr oder weniger verrissen hat. Ein bisschen mehr Zuneigung kann man durchaus aufbringen. "The Great Escape" wird ein Album für den kommenden Sommer sein, für kalte Getränke im Schatten, für warmen Wind in der Nacht und für heruntergelassene Autofenster. Ein Hauch Kalifornien im Alltag hat noch niemandem geschadet.
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