laut.de-Kritik

Per Zeitmaschine in die Hochzeiten des Souls.

Review von

"Du klingst ja wie ein alter Mann" soll seine Mutter gesagt haben, als er ihr seine Songs vorspielt. "Und du ziehst dich an wie dein eigener Großvater." In der Tat, Leon Bridges sieht aus, wie aus der Zeit gefallen: Mit Vintage-Anzügen, Oberlippenbärtchen und Lederstiefeln schlendert er in den in schwarz-weiß gehaltenen Musikvideos durchs Bild.

"Vintage-Klammotten faszinieren mich – und man wird mich so nicht nur auf der Bühne sehen, sondern auch im Waschsalon oder Supermarkt", dementiert Bridges den Vorwurf sein Stil sei nur ein Marketing-Gimmick. Ein Glück, trägt der 25-jährige Texaner seine Retrojeans auch beim abendlichen Bier in einer Bar seines Heimatorts Fort Worth. Dort trifft er nämlich auf Austin Jenkins, von der texanischen Psych-Punk Band White Denim. Über ihre gemeinsame Leidenschaft kommen sie ins Gespräch und am Ende ist es Jenkins, der Bridges dazu überredet ein Album aufzunehmen. Dabei herausgekommen ist mit "Coming Home" eine Zeitmaschine in die Hochzeiten des Souls.

Aretha Franklin, Otis Redding und vor allem Sam Cooke haben es dem jungen Texaner angetan. Die Einflüsse der Musik aus den 50er und 60er Jahren triefen förmlich aus allen Ritzen seines Debüts. Das Retro-Revival ist nicht neu: Bands wie die Alabama Shakes, die späte Amy Winehouse, oder auch Cee-Lo Green feierten Erfolge mit dem Wiederbeleben klassischen R&Bs.

Kein Wunder also, dass die Hype-Maschinerie auch nicht vor Leon Bridges halt macht. Jener wirkt, als habe ihn eine Plattenfirma perfekt designed ausgespuckt, um genau auf dieser Welle mitzureiten. Der Titeltrack läuft in Starbucks-Filialen rauf und runter und scheint genau ins Beuteschema findiger Pitchfork-Hipster zu passen. "Coming Home" ist aber mehr als das: Mit beängstigender Detailversessenheit zaubert Leon Bridges eine kompromisslose Liebeserklärung an seine alten Soul-Helden, die genauso gut auch 1965 hätte erscheinen können.

Das komplett analog eingespielte Album kommt mit den klassischen Zutaten daher: Viel Hall, Background-Sängerinnen mit "Doo-Wop"-Chören, organische Horn-Arrangements, Balladen, Liebeslieder, aber auch tanzbare Rhythmen finden sich auf "Coming Home". Dazu croont der 25-Jährige mit einer solchen Behutsamkeit in der Stimme über die Zeilen, dass er für Vergleiche mit Sam Cooke und Co. durchaus genügend Argumente liefert. Kaum zu glauben, dass der Junge aus Texas, der am College lieber tanzte, als sich vors Mikrofon zu wagen, erst zum Singen überredet werden musste.

"I'd swim the Mississippi River / If you'd give me another start, girl" beteuert Bridges reumütig auf "Better Man". Ergreifend gerät auch der Horn-lastige Gospel-Waltzer "Shine", der zusammen mit der biographischen Liebeserklärung an seine Mutter "Lisa Sawyer", neben dem Titeltrack, die Höhepunkte auf "Coming Home" ausmacht. Der "Borderline-Radikalismus", wie der Guardian Bridges' Herangehensweise treffend bezeichnet, hat aber auch seine Schattenseiten. Zwischenzeitlich wirkt der Sänger aus Fort Worth eben doch nur wie ein Imitator, die eigene Note, wie sie etwa eine Amy Winehouse schon aufgrund ihrer dramatischen Biografie mitbrachte, vermisst man auf "Coming Home".

Nie erreicht Bridges die mitreißende Emotionalität seiner großen Vorbilder. Der Funke ist da, nur das Feuer ist noch nicht entfacht. "Wenn ein Sänger älter wird, wird auch sein Grundgedanke ein wenig tiefsinniger, weil er das Leben lebt und das, was er sagen will, dadurch ein bisschen besser versteht", soll Sam Cooke höchstpersönlich gesagt haben. Leon Bridges ist gerade mal 25 Jahre alt. Dass er alle Anlagen mitbringt, um zeitlose Klassiker wie seine Vorbilder zu erschaffen, beweist gerade das Schlussstück "River" eindrucksvoll: Das von Gospel und Blues beeinflusste Glaubensbekenntnis macht Hoffnung auf die Zukunft dieses begnadeten Sängers.

Sein Debüt klingt zwar unheimlich stimmig, hier und da vermisst man aber dennoch, was den Soul der 60er Jahre abseits der Liebeslieder und Gotteshuldigungen ausmachte: Ein politisches Bewusstsein. Rassismus ist in den USA, angesichts der Vorfälle in Ferguson, aktueller denn je. An solche Themen wagt sich der junge Sänger aber noch nicht heran. Wenn Leon Bridges in Zukunft thematisch ein bisschen mehr Mut beweist und seinem Sound, statt exzessivem Kopierwahn, eine eigene Note verleiht, dann wird man 2070 sicherlich ähnlich auf ihn zurück blicken, wie heutzutage auf Sam Cooke und Co.

Trackliste

  1. 1. Coming Home
  2. 2. Better Man
  3. 3. Brown Skin Girl
  4. 4. Smooth Sailin'
  5. 5. Shine
  6. 6. Lisa Sawyer
  7. 7. Flowers
  8. 8. Pull Away
  9. 9. Twistin' & Groovin'
  10. 10. River

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2 Kommentare

  • Vor 9 Jahren

    Gerade reingehört. Mein Fazit:
    Sehr, sehr retro, unverkennbare Sam Cooke Anleihen,
    tolle, lockere Lieder, an das Original kommt er aber meiner Meinung noch nicht ran.

  • Vor 9 Jahren

    Tja, Sam Cooke ist ja nun leider tot aber der junge Mr. Bridges und seine Band wuppen diese Art von Musik ganz wunderbar - Coming Home und Bridges´ Konzert im Hamburger Knust sind in meinem Sommer 2015 eindeutig die Highlights. Ich liebe das Material, den Sänger und die Band - kann ich nur empfehlen.