laut.de-Kritik
Deutschland ist nicht genug.
Review von Mirco LeierAls Deutschrap-Fans muss man sich eingestehen, immer noch heimlich die Fantasie zu pflegen, dass es einem Rapper oder einer Rapperin gelingen könnte, die qualitative Lücke im internationalen Vergleich vielleicht nicht vollends zu schließen, aber immerhin etwas weiter zu verkleinern. Lange Zeit wollte uns Ufo361 glauben lassen, dass er dieser Heilsbringer sei, doch die teuer eingekauften Features von transatlantischen Rap-Größen wie Future, überstiegen nie ihre Symbolwirkung, führten nie zu mehr. Seit rund drei Jahren kennt der deutsche Mainstream allerdings einen Rapper, dessen Karriere sich auf einem guten Weg befindet, auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen nachhaltig für Aufmerksamkeit zu sorgen.
Luciano lief als gefragtester Rapper dieses Landes ehemaligen Posterboys wie Capital Bra oder Ufo nicht nur schon lange den Rang ab, wo deren Karrieren nach einem Jahr an der Spitze schon wieder abflauten, kommt der Berliner offenbar gerade erst so richtig in Fahrt. Features von britischen Drill-Größen wie Headie One stehen an der Tagesordnung, mit "Bamba" gelang ihm eindrucksvoll der Sprung über den Teich, und auch in deutschen Gefilden schreckt Luciano nicht davor zurück, ein wenig abseits bekannter Pfade zu wandeln. Allein die ausschließlich in Englisch verfasste Tracklist von "Majestic" lässt an den Ansprüchen des Drill-Rappers keine Zweifel aufkommen: Deutschland ist ihm nicht mehr genug.
So sehr dieses Album dieses Bestreben unterstreicht, so sehr beweist es allerdings auch, dass der Algorithmus und seine Gesetze Luciano noch fest in seinen Krallen halten. Ähnlich wie bei "Aqua" kann man sich auch auf Lucianos siebtem Album die Silhouette eines ästhetischen Konzepts zusammenreimen: Auf kühle Introspektion folgt hier Wärme und Dekadenz. Mit der Vielzahl an Love und Sex-Jams, die damit einhergehen, tut sich Luciano allerdings keinen Gefallen. Auch fällt der musikalische Ansatz von "Majestic" noch wilder, chaotischer und vor allem lustloser aus, als auf dem starken Vorgänger.
Dabei öffnet die LP unglaublich intensiv. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen deutschen Rapper gehört zu haben, der sich so mühelos in einen englischsprachigen Kontext einfügt wie Luciano. Der Schlagabtausch mit Central Cee auf "West Connect" klingt so organisch, als wären die beiden Kindheitsfreunde und verpasst einem schon früh eine musikalische Adrenalinspritze. "Bamba" toppt das wenig später sogar noch. Der Song könnte genauso auch in England und den Staaten in die Charts einsteigen, und das nicht trotz, sondern auch wegen Luciano, der hier vielleicht die beste Performance seiner gesamten Karriere abliefert. Das muss er auch, sonst würde er von Aitch und vor allem von einer heißhungrigen Bia, die mit ihrem Feature einen absoluten Sahnetag erwischte, bei lebendigem Leib aufgefressen.
Wenn er sich gegenüber seinen Gästen beweisen muss, dann liefert Luciano. Das zeigt er auch an der Seite von Headie One auf "Life Lessons". Überlässt man ihm sich selbst, hört man schnell sich wiederholende Ideen, Songs stehen und fallen oft nur anhand des Instrumentals oder ihrer Samples. Luciano mag eine unglaubliche Stimme und Energie mitbringen, doch er hat kein besonderes Händchen dafür, gute Hooks zu schreiben. Deswegen funktionieren seine Songs am besten, wenn er dies mit roher Aggression kaschiert, wie etwa auf dem dämonischen "SUVs", oder wenn er das Lenkrad im Refrain jemand anderem in die Hand drückt. Wie auf den Songs "Beautiful Girl" oder "Drill LUV", deren kandierte Samples sie ihrer flachen Inhalte zum Trotz zu Höhepunkten machen.
Den gegenteiligen Effekt beobachtet man auf Songs wie "Frozen Tears", "Magic" oder "Bottega Glasses", wo Luciano trotz starker Produktion zunehmend damit hadert, neue, eingängige Melodien zu finden. Paart man ihn darüber hinaus mit den üblichen Modus Mio-Pappkameraden, dann schaltet er vollständig auf Autopilot. Nahezu die gesamte zweite Hälfte von "Majestic" verläuft frei von Highlights und ist von eher schwachen Performances der geladenen Gäste (allen voran Yung Hurn) sowie Luciano selbst geprägt. Einzig das starke, vom französischen Rapper Gazu assistierte "Moonlight" lässt kurz vor Schluss noch mal aufhorchen.
Dies führt unweigerlich dazu, dass man die simplen und teils schmerzhaft redundanten Texte des 28-Jährigen nicht länger ausblenden kann. Luciano zeichnete sich noch nie durch grandiose Texte aus, doch "Majestics" Fokus auf den eigenen Erfolg erschöpft das begrenzte Feld an Themen schon binnen weniger Songs. Es geht um Protz und Prunk, um Lamborghini-Flügeltüren, um Bad Chicks und um kriminelle Machenschaften. Doch auch, wenn Luciano den typischen Gangster-Film mit deutlich weniger offensichtlicher Misogynie und einem Deut mehr Klasse rüberbringt als ein Großteil der Konkurrenz, so bleibt das Weltbild, das seine Texte zeichnen nicht nur konservativ und egozentrisch, sondern vor allem auch todlangweilig.
Im Leben zählen Ehre und Stolz, Erfolg und Reichtum kommen nur von harter Arbeit, Frauen wollen echte Männer, bei denen sie auf der durchtrainierten Brust ruhig einschlafen können, und wer jene Brust nicht vorweisen kann, der ist eben kein echter Mann: Gähn. Viele der unangenehm anbiedernden Love-Songs leiden ebenso sehr unter dieser Ideologie (insbesondere "Sweet Dreams") wie die auf Positivität getrimmten Do It Yourself-Plattitüden, die uns Luciano immer wieder um die Ohren haut. Allen voran auf der Pumper-Hymne "Push It", die den Motivationsbogen so schamlos überspannt, dass sich selbst ein Kontra K dafür schämen würde.
Dabei beweist "Majestic" durch Kollaborationen mit Paula Hartmann und Sophie Hunger, dass Luciano keineswegs davor scheut, neue, für seine Verhältnisse unorthodoxe Dinge zu probieren. Im Falle von "Everywhere" gelingt ihm das auch ordentlich, nur fühlt es sich dennoch so an, als trete der Berliner das Potenzial dieser Songs mit Füßen. "Passion" kommt im Grunde als solider Paula Hartmann-Song mit einem kurzen Luciano-Feature daher, und "Everywhere" geht mit seinen zwei Minuten Laufzeit gerade so als glorifiziertes Interlude durch. Mit ein wenig mehr Liebe zum Detail und Mut zur Kante wäre in beiden Fällen so viel mehr drin gewesen. Ein Statement, das auch gilt, wenn man das Album als Ganzes betrachtet.
Das Luciano der Szene in vielerlei Hinsicht enteilt ist, daran lässt "Majestic" keinen Zweifel. Doch gleichermaßen enttarnt es ihn als ein One Trick Pony, dessen volles Potenzial stark von den jeweiligen Produzenten und Feature-Gästen abhängt. Das führt dazu, dass dieses Album in seinen besten Momenten starke Argumente dafür bietet, dass Luciano tatsächlich unser erster internationaler Vorzeigerapper werden könnte. Über weite Strecken reicht das Material auf "Majestic" jedoch noch nicht einmal, um innerhalb der eigenen Landesgrenzen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Nein, gemessen an diesem Album, bleibt Deutschland fürs Erste genug.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Luciano ist nicht genug für Deutschland
Gibts wieder ne Deluxe Box mit Weste, die wie chemische Scheiße stinkt?
Wolln wirs hoffen. Das #gromkies braucht langsam mal neue Uniformen.
Ich verstehe den Dude nicht. Hat der was zu sagen? Visuell wirkt das alles sehr auf stylish getrimmt, aber ist das mehr als teure Kleidung, Sonnenbrillen und Songtitel, die Verschlagwortung bieten?
Nö, nur hat er es irgendwie geschafft, dass alle das glauben. Standard-Modus-Mio-Rapper, der aus irgendeinem Grund irgendwann zum Feuilleton-Liebling wurde.
Ginnaro! So I'm going to Gahna...
Ghana