laut.de-Kritik

Folk-Power - sauber auf EDM-Beats gepresst.

Review von

Weit weg von all den Menschen, die sich zum Negativen wandeln, die sie angelogen haben, harrt sie aus und bleibt ganz bei sich: "Still here (...) I'm okay". Macht alle, was ihr wollt, es macht mir nichts aus, ich bleibe, wie ich bin! Der zerknirschte Tenor einer jungen Frau, die etwas egozentrisch wirkt, das aber mit viel Gefühl statt nur Kalkül.

24 Winter zählt Maggie Rogers. Und der Lebensphase gemäß philosophiert sie auf ihrem Debüt-Longplayer über die Dinge, die im geselligen Nachtleben schief laufen und einen zu erwachsenen Einsichten zwingen können. Der Albumtitel "Heard It In A Past Life" , aber auch Gereimtes wie Whiskey auf "leave quickly" erzeugen markante Bilder. Lyrisch ist die Newcomerin fit.

Während die prallen Bassdrums ursprünglich der R'n'B-Ästhetik entsprechen und der Welt von Dam-Funk und Pharell Williams (ihrem Förderer) entspringen, wurzelt Maggies Entwicklung in zartem Folk. Beides trifft auch bei Alice Merton zusammen. Maggie harmoniert mit dieser Art von Dance wirklich gut. Fast scheint es, als wäre sie von jeher gerne auf den Electro-Funk-Zug aufgesprungen.

Man muss ihre Kunst, Geschichten zu erzählen, wirklich nicht mit Stevie Wonder vergleichen, wie ihr berühmtester Fan Pharell es im Zuge ihrer ersten EP tat. Ich sehe eher parallelen zur im Januar 2018 verstorbenen The Cranberries-Sängerin Dolores O'Riordan.

Dolores klassischer Kehlkopf-Salto in Songs wie "Zombie" blitzt hier in "Overnight" auf. In "Past Life" begegnet die fordernde Melancholie von Songs wie "Linger" der irischen Band. Ob Maggie aus dem US-Staat Maryland ausgerechnet The Cranberries kennt? Auch Tori Amos und Paula Cole werden ihr womöglich nichts sagen, benennt sie doch mit Björk und Patti Smith weitaus schroffere, weniger liebliche Sängerinnen als Einflüsse. Dennoch klingt die Singer/Songwriterin eher nach 90er-Jahre-Alternativerock und Piano-Balladen auf Dance-Beats. Diese Kombination verblüfft. Sogar reine Dancefloor-Titel wie "The Knife" und "Light On" nahm sie ins Programm.

"Fallingwater" liefert dann hervorragendes Soul-Ambiente, obwohl Maggies ziemlich Blue Note-freie, ätherische Stimme eigentlich gar nicht passt. Einige der ausgeklügelten Arrangements dürften sich im deutschen Radio-Einheitsbrei trotz der EDM-Nähe schwer tun (das perkussiv-trockene "Retrograde", das nachdenkliche "Past Life"), liegen aber länger in den Ohren. Andere dagegen tönen so angepasst und abgegriffen, als wären sie gezielt für Common Sense-Morningshows abgeschliffen worden ("Give A Little", "The Knife").

Dennoch überwiegen die originellen und guten Songs. Zu acht der "Heard It In A Past Life"-Tracks existieren bereits Videos mit Tanz-Choreographien, Maggies Markenzeichen: Sie tanzt jeweils alleine oder mit drei anderen jungen Damen.

Auf der Audio-Ebene operiert das siebenköpfige Produktionsteam auf Premiumlevel. Es gesteht ihr zudem viel Raum zu, um Verschiedenes auszuprobieren. Maggie ordnet die Songs auch dramaturgisch schlüssig an. Zur illustren Kreativrunde gehören Leute, die für Hypes oder angesagte Acts der späten 2000er viel geleistet haben: Rostam Batmanglij als Keyboarder, Produzent und Co-Autor einiger Vampire Weekend-Songs und Alben. Kid Harpoon als Kraft hinter Florence And The Machine und Greg Kurstin als Hauptverantwortlicher auf den ersten beiden Lily Allen-Alben. Ricky Reed räumte mit Jason Derulo die Charts ab.

Maggie Rogers überlässt also nichts dem Zufall. Dadurch kommt auch etwas zu viel Perfektionismus und fehlende Lockerheit auf. Dennoch besitzt ein Song wie "Alaska", bereits auf der EP von 2017 vertreten, durchaus das Potential, ihn auch noch in Jahren besonders zu finden.

Ihre Videos und Texte haben an einigen Punkten auch gesellschaftlichen Anspruch. Maggie Rogers ist eine späte Vertreterin der Riot Grrl-Bewegung. Die Corporate Identity aller Videos unterstreicht: Hier sind aktive junge Frauen, keine Sex-Objekte am Werk. Maggie orientiert sich im Auftreten gewissermaßen an Sleater-Kinney.

Auf Bandcamp veröffentlichte sie bereits die Scheiben "Echo" und "Blood Ballet" – rein digital erhältlich und analog-rustikal aufgenommen. Damals zeigte sich die Amerikanerin übrigens noch viel akustischer und folkiger.

Trackliste

  1. 1. Give A Little
  2. 2. Overnight
  3. 3. The Knife
  4. 4. Alaska
  5. 5. Light On
  6. 6. Past Life
  7. 7. Say It
  8. 8. On + Off
  9. 9. Fallingwater
  10. 10. Retrograde
  11. 11. Burning
  12. 12. Back In My Body

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