laut.de-Kritik
Funkrock-Vibes mit französischem Rap und spirituellem Konzept.
Review von Philipp KauseBis heute ist Erykah Badu im Neo-Soul das Maß aller Dinge. Und so spirituell aufgeladen ihre meditativen Vorträge und so fordernd ihre sozialkritischen Szenarien auch waren - über sie ist mittlerweile eine ganze Generation hinweg gezogen. Zum selbst nicht mehr taufrischen Nachwuchs zählt die 39-jährige Malika Tirolien. Die französisch und englisch singende karibischstämmige Kanadierin beehrte mit verschiedenen Bands schon seit 2010 viele Festivals. Darunter im Schlepptau von Snarky Puppy. Deren Gründer produzierte ihre neuen Aufnahmen.
Die studierte Jazzsängerin zeigt sich auf "Higher" als Solistin zwischen vibendem R'n'B, versunken blubbernden Neo-Soul-Momenten, fetzigem Funkrock, aufpeitschenden Hip Hop-Abschnitten und Synths-durchflutetem Drama-Jazzpop.
Wie auch bei der aktuellen Platte der Seratones, referiert die CD auf das Konzept des Afrofuturismus. Diese musikalisch-literarisch-visuelle Strömung verwebt die Sehnsucht nach Befreiung und schrankenlosen Entwicklungschancen jenseits von Diskriminierungshürden mit Science-Fiction-Ideen und einem ins Utopische strebenden, verfremdeten Keyboards-Sound mit rhythmischen Brüchen. Exemplarisch galt dafür schon vor Jahrzehnten Sun Ra als Impulsgeber. Malikas Musik hat weitaus zugänglichere Momente, verglichen mit Sun Ras Jazz: Songs, die nach dem Prince der frühen '90er samt New Power Generation klingen ("Don't Come Around", "Higher") und powervollen optimistischen Glitzer-R'n'B mit kraftstrotzenden Rockbässen ("Change Your Life").
Dennoch, und das ist gut so, zeigen sich die meisten Tracks rhythmisch vertrackt. Sie sind umwoben von einer geheimnisvollen Fantasy-Stimmung zwischen Traum, Vision, Treibenlassen einerseits - und Rebellion, Utopie, frechem Sprengen von Klang-Konventionen andererseits. Das schiebende "Sisters" hat eigentlich eine sehr eingängige Akkordfolge. Aber verschiedene Rupturen in der Liedstruktur, Verzierungen, Kurven und eine Flut an Einfällen fordern Ohr und Hirn beim Hören: Spoken Word-Fetzen, die wie eine Sprachnachricht aus der U-Bahn klingen, ein Wechsel in French Rap mitten im Track und überschäumende, sexy-funky Keyboard-Quiek-Phasen. Es überlagern sich viele Eindrücke, und die Drums scheppern in einer lässigen Robert Glasper-Jazzigkeit.
So läuft es hier mit den meisten Stücken, wobei "Dreamin'" das komplexeste ist, "Prière" das schrillste, "Grow" das rockigste, am meisten funky, "Rise" das elektronischste und am meisten futuristisch. "Rise", "Forgiveness", "No Mercy" zücken wie "Sisters" die Hip Hop-français-Karte, MC Solaar lässt grüßen.
Textlich beschreibt die quirlige Platte, wie man sein Leben ändert ("Change Your Life"), wodurch es "Better" wird, bis man dank Zusammenhalt zwischen den "Sisters" träumen ("Dreamin'") und wachsen kann ("Grow", "Rise"), bis man den Himmel greift ("reach the sky") und sich dadurch "Higher" fühlt. Dabei spielen Vergebung ("Forgiveness") und Gebete ("Prière") eine Rolle, sodass es wie bei Badu eine spirituell-religiöse Ebene gibt. Der Titelsong "Higher" verweist in sphärischen Bögen auf die Luft als das Überthema dieser Scheibe.
Die große Kunst der CD liegt in der enormen Spannbreite zwischen lebhaften Momenten und ausgeprägter Gelassenheit und Ruhe, dem blitzschnellen Pendeln zwischen Aktivität und sich fallen lassen. Mit der herausragenden Arbeit von stets mindestens zwei und in manchen Tracks sogar vier Keyboardern (Malika spielt sie teils selbst), mit Gnawa-Kastagnetten, elektrisch verstärkter Sitar und exzellentem Schlagzeug-Gewusel und starker Bass-Tiefe untermalt die Band den angenehmen Gesang und Rap der Protagonistin perfekt.
Der Release hat nun schon mehrere Anläufe unternommen: Erst als transparent-blaues Vinyl mit Black-Power-gemäßen schwarzen Spritzern, im Merch der Sängerin auf lokalen Tourneen 2020. Dann digital auf YouTube und Bandcamp im Februar 2021. Schließlich erbarmten sich ein deutsches Label und der Vertrieb von Edel, um das Ganze zumindest hierzulande als CD zu platzieren. Die ist seit Kurzem lieferbar und zwar ein Nischenartikel, aber hey: Die besten Sachen waren meistens ihrer Zeit voraus. Und so wie The Doors und Sade viele Absagen für Plattenverträge kassiert haben, gilt auch hier: Bewusstseins erweiternde Musik hat es halt nicht leicht, aber dafür punktet sie mit Zeitlosigkeit und Optimismus.
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