laut.de-Kritik
Musikalische Höhepunkte mit der Seerose im Jazz-Teich.
Review von Kai KoppMeshell Ndegeocello widersetzt sich genussvoll allen Erwartungen, die an kommerziell erfolgreiche Musikprojekte gestellt werden. Die Rolle der Verweigererin lebte sie bisher in ihrem angestammten Genre Urban Funk aus, den sie mit Zutaten aus Soul, Reggae, Hip Hop, Jazz, Blues und Folk zu nonkonformistischen Leben erweckte.
Mit "Dance Of The Infidel" verlässt sie diese Bühne und begibt sich eindeutig auf die Bretter, die den Jazz bedeuten. Gemeinsam mit namhaften Hochkarätern der improvisierten Musik (Jack DeJohnette, Kenny Garrett, Roy Hargrove, Mino Cinelu, Don Byron u.a.) zelebriert sie einen abwechslungsreichen und spannenden Ausflug in den Kosmos des modernen Jazz. Freilich nicht, ohne ihre großstädtischen Groove-Vorstellungen zum Ausgangspunkt ihrer Reise zu machen.
"The Believer" deutet mit freakigem Thema, eigensinnigem Mix und kurzem Soloausflug nur an, was einen in der folgenden Stunde erwartet. "Al Falaq 13" offenbart mit voller Wucht die Intensität der improvisierten Musik. Auf einem soliden Bassmotiv entfaltet sich zunächst das eigentlich nebensächliche Thema. Denn seine Kraft bezieht "Al Falaq 13" aus den (Kollektiv-)Improvisationen und den annähernd zwölf Minuten Spielzeit, die genügend Raum für solistisch-ekstatische Entfaltung lassen.
Die von Stimmungswechseln durchwobene Atmosphäre folgt dabei der Maxime, größtmögliche künstlerische Gestaltungsfreiheit zu garantieren und der musikalischen Ausdruckskraft keine Grenzen aufzubürden. Angetrieben von Bass und Schlagzeug steigern sich die Solisten in einen kollektiven Rausch. Das Fest aus Spannung und Entspannung, Orgasmus und Zigarette danach, beinhaltet nicht nur drei (!) musikalische Höhepunkte - "Al Falaq 13" stellt als Gesamtkunstwerk den Höhepunkt des Albums dar.
Nach diesem Ausflug in ausdrucksstarke Höhen bietet das Drum'n'Bass-lastige "Aquarium" die nötige Stimmung, um den in heftige Wallung geratenen Hormonhaushalt wieder ins Lot zu pegeln. Das ambiente und balladeske "Papillon" becirct anschließend mit sanften Sounds, lieblicher Melodie und einfallsreichem, reisefreudigem Solohandwerk. "The Chosen" atmet eine dezente Hip Hop-Attitüde, der Cassandra Wilson ihren sonnengegerbten Mississippi-Blues-Stempel aufdrückt.
"Dance Of The Infidel" trägt am deutlichsten die kompositorische Handschrift Meshell Ndegeocellos. Harmonisch, rhythmisch und atmosphärisch abwechslungsreich gestaltet sie ihre Songverläufe, die sich allen herkömmlichen Formaten verweigern. Swing-Bluesig führt "Heaven" die Hörer zuletzt aus dem Album.
Viel Raum für solistische Ausflüge, eine hochkarätige Besetzung, der Mut zum Jazz, kompositorische und improvisatorische Freiheit und schweißtreibende Soloverläufe kennzeichnen "Dance Of The Infidel" als herausragendes und eigenwilliges Album einer Querdenkerin. Der fortwährende wärmende Groove, angetrieben und getragen von Meshells Bassspiel, ist es, der "Dance Of The Infidel" im Jazz-Teich als Seerose erblühen lässt.
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