laut.de-Kritik
Pssst! Hat ihm niemand gesagt, dass er weitermachen dürfte?
Review von Dani FrommGroß angekündigte Karriereenden hab' ich mittlerweile wirklich zu viele gesehen, um diesen Move noch besonders ernst nehmen zu können. Howard Carpendale, der Graf, Black Sabbath - alle haben sie sich mit großem Tamtam und teils endlosen Abschiedstourneen von der Bühne verdrückt, nur um über kurz oder lang doch wieder auf der Matte zu stehen. Call it getrost a Comeback. Irgendwann kommen sie alle zurück, in diesem Zombie-Business.
Jetzt also Moses Pelham. Ja, echt, der vom Sofa. Nach Jahrzehnten in einer Szene, die er quasi von Beginn an maßgeblich mitgestaltet hat, soll dieses Album nun den Schlusspunkt hinter seine Diskografie setzen. Die dazugehörigen Abschiedskonzerte sind längst absolviert. Die Karriere ist vorbei, das wars. "Vorerst", würde ich bei jedem anderen hinzufügen und innerlich anfangen, die Wochen bis zur unweigerlich folgenden Wiederkehr runterzuzählen. Warum nicht bei Moses Pelham?
Es muss wohl daran liegen, dass er, seit ich denken kann, anders aufgetreten ist als all die anderen Lappen, pardon, Kolleg*innen, die sich auf der einst noch jungfräulichen Spielwiese Deutschrap um Aufmerksamkeit balgten. Man kann Moses P. sicher vieles ankreiden und manches verübeln. Die Lorbeeren dafür, dass er, straight outta Rödelheim, eine Schneise geschlagen, planiert und die Autobahn durchgezogen hat, über die einst die Härte der Straße Einzug in den deutschen Hip Hop hielt, wird ihm wohl niemand ernsthaft absprechen wollen.
Pelham, Pionier und Legende, trägt seine Krone mit jedem Recht der Welt. "Gleich wenn die Stimme kommt, erreicht sie die Sinne und so ergreift dich Erinnerung", fürwahr. Mir mag beileibe nicht alles, das er gemacht hat, gut reingelaufen sein. Allerdings hat sich Moses Pelham in meiner Wahrnehmung auch nicht gerade mit Bullshit-Gelaber hervorgetan. Wenn er etwas sagte, stand er dazu. Deswegen hab' ich bei ihm das (wie ich feststelle, gänzlich unvertraute) Gefühl: Wenn dieser Mann irgendwo "Letzte Worte" draufschreibt, könnte er das womöglich tatsächlich so meinen. Huch.
Unter der Prämisse, dass Moses Pelham hier in zwölf Akten (das "Onkel Mo"-Skit zählt nicht) seine Abschiedsvorstellung aufführt, bin ich zu einer ganzen Menge Milde fähig. Ich verstehe, dass man für den eigenen Großen Zapfenstreich noch einmal die alten Wegbegleiter*innen um sich scharen muss. Es fühlt sich einfach richtig an, Cassandra Steen und Illmatic auf dieser Platte zu haben. Zumal die beiden in "Alles, Was Du Brauchst" zusammen mit ihrem Gastgeber wirklich wie auf der Dampfwalze in die Disco einrollen und ordentlich abliefern.
Was man von Xavier Naidoo nicht unbedingt behaupten kann: Er wirkt wie ein lauwarmer Abklatsch seiner selbst. So saft- und kraftlos hatte ich sein Vokalgeknödele gar nicht in Erinnerung. Entweder haben die Verdrängungsmechanismen da ganze Arbeit geleistet, oder die Jahre in der Versenkung haben doch merklich Spuren hinterlassen. Drei Tracks hätten es zwar nicht gleich sein müssen, aber: Dass Naidoo dabei ist, ergibt schon Sinn. Ohne ihn hätte doch ein erhebliches Stück 3P-Geschichte gefehlt. Es spricht für Moses Pelham und seine Loyalität, dass er seinen ehemaligen Schützling nun nicht verleugnet, nachdem der sich schwungvoll selbst ins Abseits katapultiert hat.
Zu drei (!) Xavier Naidoo-Features auch noch eins der Böhsen Onkelz zu packen, strapaziert die Nachsicht dann aber schon sehr. Ja, die kommen auch aus Frankfurt, und, schon klar, Pelham will Brücken bauen statt zu spalten, das ist in Tagen wie diesen ja extra ehrenwert, eigentlich. "Wir sind es leid, hier eine Seite zu wählen", nur fair. Dass wir das allerdings damit bezahlen, Onkel Kevin zu maximal mittelmäßigem Gitarrengeschrappe "Opfer oder Täter" grölen zu hören ... ich weiß ja nicht. Da ziehe ich die in den Strophen geschmähten Stricher mit ihrer Faschingsmucke vor, wen auch immer Pelham damit adressieren mag.
Vom verbalen Roundhousekick "Kackvogel" darf sich ebenfalls angesprochen fühlen, wer mag. Namen nennen Pelham und sein Gast Snaga hier nirgends, auch wenn sie noch so freigebig Schellen verteilen. Die Samples, einmal Tony Montana, einmal der erst kürzlich verstorbene Roy Ayers, setzen die Doppelkirsche auf die Sahne, die sich über die gesamte Spieldauer des Albums dennoch ein wenig zieht. Die Beats ähneln einander einfach zu sehr, als dass wirklich so etwas wie Spannung aufkommen könnte.
Das bedeutungsschwanger-pathetische Ende-einer-Ära-Gefühl fangen Pelham und Efe Ökmen, die die Produktion gemeinsam verantworten, zwischen dunkel brummenden Bässen und, Halloween-Theme-Style, darübergetropften Klaviernoten zwar perfekt ein. Das über weite Strecken arg gedrosselte Tempo schürt jedoch immense Sehnsucht nach einem Ausbruch aus der Trägheit, die eine*n hin und wieder glauben lässt, da zum dritten oder vierten Mal denselben Beat zu hören.
Etwas schnellere Tracks wie "Alles, Was Du Brauchst" bleiben die Ausnahme. Im Fall von "Sound Good", das mit dem Riff aus "Whole Lotta Love" wohl eins der ausgelutschtesten der Rockgeschichte reitet (Hey! Sogar ICH erkenn' das!), ist das allerdings ein echter Segen. Was da der sinnfreie Chorus ("Sound good, feel good, smell good, make love good") inhaltlich oder stilistisch mit den Verses zu tun haben soll? Ich kanns euch wirklich nicht sagen.
Größere Rätsel gibt diese Platte nur mit "Benelli M4" auf. Ehrlich, was zum Teufel soll das sein? "Du und deine Fuckboys labern bloß", kitscht es da aus der Gesangshook, gefolgt von einem Pelham-Vers, der kundtut, er habe "keinen Bock mehr auf das Gangstergeschwalle". Konsequent, dass genau danach Haftbefehl ums Eck kommt und seiner Zeile "Du denkst, ich sabber" alle Ehre macht. In der Tat: Welche Kartoffel hat man dir denn ins Maul gestopft, samma? "Ich fick' deine Mutter und nenn' es Notwehr" - aber andere Fuckboys labern bloß? Hä? Würde mal sagen, da ging mindestens eine Schrotladung ins eigene Knie.
Egal, Moses Pelham präsentiert sich auf "Letzte Worte" ohnehin immer dann am stärksten, wenn er nicht den Harten markiert. Den geradlinigen, loyalen Straßenrapper nimmt man ihm auch so ab, dazu ist über die Jahre und Jahrzehnte eigentlich wirklich mehr als genug gesagt worden. Viel interessanter find' ich, wenn er an seinem inneren Kampf teilhaben lässt. Wie arg es ihn umtreibt, diese Sache, die (bis jetzt zumindest) sein Leben gewesen ist, nun aufzugeben, schreit am lautesten aus dem ersten und besonders aus dem letzten Track dieser Platte.
Das Finale "Alles Verschwimmt" badet am Schluss in Schmerz und Wehmut und zieht sogar Parallelen zwischen der Entscheidung, "alles, was dir heilig ist, in Würde loszulassen", und dem Tod. Auweia, auweia, scheint Moses Pelham der Abschied schwerzufallen. Ich versteh' das, nicht jedoch, warum er sich gar so quält. Pssst! Hat ihm niemand gesagt, dass er ruhig hätte weitermachen dürfen, so er denn gewollt hätte?
Ja, Mensch, dumm gelaufen. Jetzt ist es zu spät. Ein Urgestein hat seine letzten Worte gesprochen, das Buch zugeklappt, und der Frankfurter wirkt wahrlich nicht wie ein Typ, der bei der nächstbesten Gelegenheit gleich wieder darin herumblättert. Nö, ich glaube wirklich, das wars. Die Zeit wird es zeigen. So oder so sprach Moses Pelham ein ebenso gravitätisches wie wahres Schlusswort: "Im Exodus wird deutlich, wer ich bin."
5 Kommentare mit 5 Antworten
Thema Onkelz: „Ja, die kommen auch aus Frankfurt, und, schon klar, Pelham will Brücken bauen statt zu spalten, das ist in Tagen wie diesen ja extra ehrenwert, eigentlich.“
Moses hat selber gesagt, dass er ohne die Onkelz nie Rap auf Deutsch gemacht hätte. Die Verbundenheit ist also schon um einiges größer.
Quelle: https://youtube.com/shorts/8kNoPWGvGLQ?si=…
Nichts für ungut, aber die Onkelz sind schon irgendwo den schmalen Grat gewandert, was die ganze Verbindungen zur rechten Szene angeht. Auch wenn sie es nicht zugeben würden, würde ich sogar sagen, dass das ihren Appeal ausmacht, so aus reiner Marketing-Sicht.
Ja, theoretisch kann man Lieder darüber schreiben, dass man Deutschland toll findet und es nicht auf eine rechtsextreme Art und Weise meinen, dennoch dringt dabei immer noch ein Nationalismus durch, der nach wie vor zu kritisieren ist und echte Rechtsextreme anzieht wie Scheiße Fliegen.
Mir persönlich war das alles immer ein bisschen zu viel Missverständnisse und zu viel Rechtfertigungen, als dass sich da bei mir Sympathien bildeten. Darüber hinaus gibt es genügend andere Gründe, die Onkelz schwierig zu finden.
Explizit nationalistisch haben sich die Onkelz eigentlich nur in ein paar ihrer Frühwerke geäußert. Auf ihren späteren, professionelleren Werken waren sie klug genug, sowas zu lassen.
Die Onkelz haben sich halt immer einerseits von ihren "Jugendsünden" distanziert, und andererseits mit ihrem Schmuddelimage kokettiert, weil sie erkannt haben, dass man das gut in klingende Münze umsetzen kann.
In ihren Texten haben sie zudem immer eine Art selbstgewähltes Außenseitertum mit weinerlichem Opfergehabe gemischt, was eine gewisse Klientel stets angesprochen hat, auch ohne explizite politische oder nationalistische Aussagen.
Bin da beim Horst .. die Onkelz haben früh erkannt, dass es da ne Marktlücke zu besetzen gab. Die Missverstandenen, die Außenseiter, die Geläuterten &c., teilweise stark von den Medien begünstigt und befeuert. Soll heißen, selbst als es jedem bereits egal war, haben sie sich immer noch in ihren Texten distanziert. Machen das heute immer noch, und das ist ja auch okay. Nur sind sie mittlerweile halt einfach nur noch ne zahnlose Kapelle, die zwar Riesen-Shows spielt, aber nix (neues) mehr zu sagen hat als die ewig alten Rechtfertigungen. Jetzt hab ich schon viel zu viele Worte darüber geschrieben, macht aber einfach Spaß hier
rechtsoffen hin, unsympathisch her - können wir uns drauf einigen, dass die onkelz einfach endbeschissene musik machen?
@freddy
Darüber herrschte nie der Hauch eines Zweifels.
Bin relativ fassungslos dass "so etwas" sein vermeintlich letztes Album sein soll hahahah ist halt komplett belanglos
Starkes Album.
Locker 4/5
Ich würde nicht so hart mit Moses ins Gericht gehen. Ich finde die Platte durchaus gelungen und finde schon dass sie Moses und seinem Schaffen ein angemessenen Ausklang gibt, so es denn wirklich ein Ende sein soll. Moses hat sich um den Deutschrap verdient gemacht und ich werde ihn schon vermissen, da bin ich mir sicher.
Review besser als das Album