laut.de-Kritik

Das zweite überlebensgroße Meisterwerk des Rap-Propheten.

Review von

"Illmatic" ist das größte und wichtigste Rap-Album aller Zeiten, doch "It Was Written" ist geiler. Was rucksacktragende Realkeeper*innen genau wie dein liebster Emcee in den späten 90ern noch mit Nackenschlägen gegen den nickenden Kopf goutiert hätten, dringt immer weiter in die Discord-Foren der digitalen Realität vor. Wiederholung gefällig? "It Was Written" ist besser als "Illmatic". You can hate me now - oder wie empfahl Hip Hop-Journalistenikone Davide Bortot im Streitgespräch 2014 bei allgood.de noch, als er genau die "IWW hat mehr Replay Value"-These untermauerte: "Jetzt setz' dir halt mal Kopfhörer auf, pack' dich nachts mit Sonnenbrille auf die Rückbank eines Taxis und drehe 'Take It In Blood' bis zum Anschlag auf!" Boom (fast ohne Bap).

Die minimalistischen Keyboard-Loops auf "Take It In Blood" hypnotisieren, wenn sich die City Lights im Autofenster spiegeln, die Splash-Snare schüttelt im Club Hüften und der Killer-Cut in der Hook "I made it like that, I bought it like that, I'm livin' like that" aus Kool Keiths "Ease Back"-Part im Rahmen der Ultramagnetic MCs bringt die nötige Straßenhärte. Ähnlich grandios pumpen der Opener "The Message" und der The Firm-Possecut "Affirmative Action" – mit einem legendären Foxy Brown-Part, dessen Kokain-durchtränkte spanische Gitarren-Loops mehr Drogenboss-Pathos verbreiten als ganze Mafia-Flicks.

Der beste schlechteste Beatpicker aller Zeiten findet 1996 bei seinen Homies Trackmasters Toke And Pone - angetrieben vom "Illmatic"-Fame, der Reibung an 2Pac und der Nähe zu Raekwons Gangster-Styles den besten Sound seiner Karriere. Noch vor Puffy sampeln die Trackmasters auf "Street Dreams" die Pop-Legenden der Eurythmics und mixen für Nasir Jones einen funkigen, eingängigen Chartcocktail, der ein Jahr später als Blueprint für Mase und Biggies Game-Übernahme fungieren sollte. Der melancholische R'n'B-Zeigefingertune "Black Girl Lost" baut weitere Berührungsängste ab.

Doch über allem erstrahlt das mittelschnelle "If I Ruled The World" mit der unwiderstehlichen Lauryn Hill als Hookgöttin und ihrer Interpretation des Kurtis Blow-Tracks. Hip Hop kommt full circle - und die Gesamtproduktion klarer als ungestrecktes Koks. Rap erobert neue Hörerschichten, ohne die alten zu verlieren. Dafür sorgen neben raren Features von Cormega zwei ultraklassische Havoc-Beats und ein vintage Premier-Werk. Dass die einzige Dr. Dre-Zutat der schwächste Song des Albums ist, schreibt sich als Treppenwitz in die Geschichte ein.

"It Was Written" baut aber nicht nur wegen der Musik die erste Brücke vom New Yorker Ghetto in den Mainstream. Nas gelingt auf seinem zweiten Album lyrisch die große Geste, umarmt er doch seine gesamte afroamerikanische Community. In "If I Ruled The World" gibt er als Prophet und Hoffnungsträger wie Martin Luther King den Menschen Hoffnung: "So many years of depression make me vision / The better living, type of place to raise kids in / Open they eyes to the lies, history's told foul But I'm as wise as the old owl". "I Gave You Power" erzählt die Geschichte der Straßen aus der Sicht einer Knarre: "I seen some cold nights and bloody days / They grab me, bullets spray / They use me wrong, so I sing this song to this day / My body is cold steel, for real / I was made to kill, that's why they keep me concealed".

Slang Editorials über Drogengeschäfte haucht sein Alter Ego Nas Escobar in "Street Dreams" Leben ein ("The first trip without the clique / Sent the bitch with the quarter brick, this is it Fresh face, NY plates, got a crooked eye for the Jakes / I want it all, ArmorAll Benz and endless papes God's sake, what a nigga got to do to make a half a million / Without the FBI catching feelings?"), und sein klassisches Reality Rap-Storytelling hebt er in "The Message" auf ein anderes Niveau: "Shit is grimy, real niggas buck in broad daylight / With the broke MAC that won't spray right / Don't give a fuck who they hit as long as the drama's lit".

Trotz der hochklassigen Lyrics und Flows fühlen nicht alle den neuen, überlebensgroßen Nas-Superstar. Die französischen Hardcore-Rap-Pioniere von NTM regen sich später in einem Interview über sein Stargetue in roter Designerlederkluft auf und lobhudeln dagegen die Bodenständigkeit von Underground-Gruppen wie den Beatnuts. Im Aufbruch zu neuen Ufern verliert jeder Künstler und jede Künstlerin oft einen Teil des Gefolges – und manchmal auch die eigene, künstlerische Identität, ablesbar an den beiden Nachfolgescheiben "IAM" und "Nastradamus". Auch ein Kanye West könnte darüber Litaneien schreiben.

1996 ist die (Welt-)Eroberung aber noch in Ordnung, und Nas leitet mit "It Was Written" die künstlerisch zeitloseste, von Größenwahn geprägte Rap-Phase ein. Genau wie Queensbridge Finest kreieren Ende der 90er - nach ihren unperfekt rauen Vorgängern - der Clan mit "Wu-Tang Forever", Gang Starr mit "Moment Of Truth", Biggie mit "Life After Death", Dr Dres "2001" oder Outkast mit "Aquemini" überlebensgroße, chartstürmende Meisterwerke in epischer Breite, die für alle Genannten den Höhepunkt ihres Schaffens und wie bei "It Was Written" den besten Mix aus Erfahrung, Größenwahn, Kohle und hungriger Unverbrauchtheit bildeten. Auch noch Jahrzehnte später.

Immer wieder erreichen Künstler*innen diesen Punkt, an dem das Versprechen größer als ihre Person ist und sie scheitern müssen. Weder führte Nas seine Leute "right up to the sun" ins gelobte Land, noch führte der RZA die Nu World Order ein, und schon gar nicht mutierte Kanye zu Jesus. Ihre Werke jedoch überdauern die persönlichen Niederlagen, die Höhen und Tiefen, Trials and tribulations und scheinen bis ans Ende aller Tage hell am Firmament des Universums. Wie "It Was Written". Oder um es mit Nas zu sagen: "Illmatic, n***a, It was written though."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Album Intro
  2. 2. The Message
  3. 3. Street Dreams
  4. 4. I Gave You Power
  5. 5. Watch Dem Niggas (ft. Foxy Brown)
  6. 6. Take It In Blood
  7. 7. Nas Is Coming (ft. Dr. Dre)
  8. 8. Affirmative Action (ft. The Firm)
  9. 9. The Set Up (ft. Havoc)
  10. 10. Black Girl Lost (ft. JoJo)
  11. 11. Suspect
  12. 12. Shootouts
  13. 13. Live Nigga Rap (ft. Mobb Deep)
  14. 14. If I Ruled The World (Imagine That) (ft. Lauryn Hill)

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7 Kommentare mit 21 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Warum hier noch keiner einen Meilenstein geschrieben hat ist mir schleierhaft

    Der einzig würdige Nachfolger zum unrealen Illmatic, der es sogar schafft den einzigartigen Fluss des Überwerks ins turbulente 1996 zu transportieren. Eine grimmig-mafiöse Aura umspannt das Album, es ist gespickt mit nachhaltigen Produktionen, die in ihrer nimmermüden Vielfalt gekoppelt mit Nas' einzigartiger Vortragsweise majestätische Kühle in gräulichen Plattenbauten versprühen. Der Wechsel vom quirligen Newcomer Nasty Nas zum berechnend-coolen Escobado geht hier auch soundtechnisch auf, es ist nicht eine bloße Fortsetzung der Golden Era Sounds, sondern eine absolut eigenständige Arbeit, die Nas' fulminante erste Jahre bestens dokumentiert.

    5/5

  • Vor 3 Jahren

    Endlich wird der wahre Wert erkannt.

  • Vor 3 Jahren

    Nicht besser als Illmatic, das ist geschichtsrevisionistisch. Bislang kam kein Rapalbum raus, das auch nur annähernd das ist, was Illmatic ist. Dennoch perfekte Platte und auf jeden Fall 5/5.

  • Vor 3 Jahren

    Fand's immer etwas besser als Illmatic deshalb 5/5

  • Vor 2 Jahren

    ein legendäres Werk und eines der besten Hip Hop-Langspieler, die jemals veröffentlicht wurden. Viel Reflexion, viel Beobachtung und viel Atmosphäre. Das Album sorgt für viel Melancholie, gleichermaßen aber auch für eine ungebändigte Energie, behält aber dabei gekonnt die Balance, ohne weder künstlich in die eine oder andere Richtung einzuschlagen.

    Höfempfehlungen: "The Message" (stärkster Titel), "Street Dreams", "I Gave You Power", "Watch dem Niggas", "Take It In Blood"...also eigentlich die ganze Tracklist. 5/5