laut.de-Kritik
Wir sind am Arsch, doch es ist noch nicht zu spät.
Review von Dominik Kautz"Crazy Horse gestatten mir Ausflüge, die ich sonst mit niemandem unternehmen kann [...] Wenn wir zusammen spielen, kann ich kosmisch werden, ich kann gehen, wohin ich will", schwärmte der fast 74-jährige Neil Young kürzlich in einem Interview mit dem Wired-Magazin. "Diese besondere Erfahrung habe ich bisher nur mit Crazy Horse gemacht."
Nach den eher halbgaren "The Monsanto Years" und "The Visitor" mit Promise Of The Real kehrt der unverwüstliche Dinosaurier für sein inzwischen 39. Studioalbum "Colorado" triumphal und ohne jegliche Spur von Altersmüdigkeit zu seinen altgedienten Zugpferden zurück, mit denen er zuletzt vor sieben Jahren auf dem wuchtigen und bärenstarken "Psychedelic Pill" zusammenarbeitete.
Für die Aufnahmen zum neuen Album bezog Young im April dieses Jahres gemeinsam mit Basser Billy Talbot und Drummer Ralph Molina das 2.800 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Studio In The Clouds im Bergdorf Telluride inmitten der Rocky Mountains von Colorado. Ebenfalls mit dabei: Nils Lofgren, der bereits 1970 als 19-Jähriger an Youngs "After The Goldrush" beteiligt war und erstmalig seit über 40 Jahren wieder als Gitarrist und Pianist Mitglied der Formation ist. Lofgren, sonst Teil von Bruce Springsteens E-Street-Band, ersetzt damit Frank "Poncho" Sampedro, der sich mittlerweile in den verdienten Ruhestand verabschiedet hat und seine Zeit lieber in aller Ruhe auf Hawaii als im Studio und auf der Bühne verbringt.
Klangtechnisch orientiert sich der Godfather Of Grunge für "Colorado" am rohen und direkten Gitarrensound, der vor allem seine Alben vor 1975 auszeichnete. Dazu benötigt er nichts weiter als seine 1953er Gibson "Old Black" Les Paul und seinen alten Fender Deluxe-Röhren-Amp. Wie Produzent und Toningenieur John Hanlon erklärt, hat Young "seine Gitarreneffekte überbrückt, um sich dem Sound zu nähern, den er vor 50 Jahren für [das Horse-Debüt] "Everybody Knows This Is Nowhere" aufgenommen hat." Tatsächlich rumpelt und knarzt es auf dem live aufgenommenen "Psychedelic Pill"-Nachfolger so herrlich altbacken und gleichzeitig frisch, dass man sich des Gefühls, eine Zeitkapsel in den Händen zu halten, kaum erwehren kann.
Bereits im rein akustisch dargebotenen nachdenklichen Opener "Think Of Me" klingt Young derart oldschool, folkig und klassisch, dass man sich mit einem Grinsen im Gesicht instant an alte Hits wie "Heart Of Gold" oder "Down By The River" erinnert fühlt und einfach mitgroovt. Eine bluesige Mundharmonika, die typische sehnsuchtsgetriebene, hohe Fistelstimme, geradliniges Tempo und eine schnörkellos treibende Rhythmusfraktion: Mehr braucht es für den gelungenen Start in das Album nicht.
Dass Young und seine Mitstreiter allerdings auch im goldenen Spätherbst ihrer Karriere noch ordentlich Bock auf ungestümen, an staubige Garage erinnernden Krach haben, zeigen sie eindrucksvoll mit dem zweiten Track "She Showed Me Love". In dreizehneinhalb Minuten mäandern sie zügellos durch einen im Blues wurzelnden Rocker und lärmen dabei so unnachahmlich, eigenständig-erdig und dreckig wie seit Jahren nicht.
Inhaltlich widmet sich der aktive Umweltaktivist hier einem seiner bevorzugten Themen und macht diesen Brocken von einem Song zu einer leidenschaftlichen Liebeserklärung an Mutter Erde und zu einer Protesthymne für die derzeit weltweit agierende Öko- und Klimabewegung. "I saw white guys tryin' to kill Mother Nature / ... / she showed me love / ... / I saw young folks fightin' to save Mother Nature / I saw them standing for themselves", singt der angry old man.
Auch ohne die kämpfende Fridays For Future-Bewegung um Greta Thunberg und ihre Gegenspieler wie Trump oder sonstige weltweit nach der 'Nach-mir-die-Sintflut'-Maxime regierende Konsorten zu erwähnen, bleiben keinerlei Zweifel daran, wer hier gemeint ist.
Überhaupt gibt die aktuelle Umwelt- und Klimaproblematik die thematische Ausrichtung des Albums vor. Traurig-melancholisch (engl. blue) zeigt sich Young im introspektiven und überaus schönen, von Gitarre und Piano getragenen Lamento "Green Is Blue". Es ist die schmerzhafte Erkenntnis der Alt-68er und der Ökobewegung, dass wir alle als gesamte Menschheit wider besseres Wissen an der Ausbeutung des Planeten und den daraus resultierenden Folgen beteiligt sind, eben nicht nur rücksichtslose Politiker und Industrielle.
Den einzig möglichen Ausweg und die Befreiung aus dieser misslichen Lage sieht Neil Young im wütend rockigen "Shut It Down" nur in einem radikalen, die Wurzel des Problems anpackenden Systemsturz, aus dem erst Neues entstehen kann. "People try to save this earth from an ugly dead / ... / when I look at the future I see hope for you and me", gibt er sich am Ende seiner energischen Brandrede für alle Klimaaktivisten auch hier optimistisch.
Trotz allen Kämpfertums zeigt Young auch sein treffsicheres Gespür für zarte, behutsame Melodien. Am besten kommt dies in "Milky Way" zum Tragen, einer gefühlvollen Ballade über das erste Zusammentreffen mit einer Frau, deren Lächeln ihn direkt in den Kosmos katapultiert. Das absolut reduzierte Spiel der gesamten Rhythmusfraktion, Neils trotz seines fortgeschrittenen Alters fesselnde Stimme und der warme, cremig-fuzzige Ton der Les Paul während seiner jamartig eingestreuten Gitarrensoli machen dieses grandiose Stück zu einem Highlight in Youngs Oeuvre und zum einem echten Juwel dieses kurzweiligen Albums.
Im sich langsamen und hymnenhaft erhebenden "Rainbow Of Colours" positioniert sich der Rock-Veteran politisch unmissverständlich gegen ideologische Überlegenheitsfantasien und zugunsten der Idee der Einheit aller. Damit verleiht er seinem holistischen, humanistisch-respektvollen Weltbild Ausdruck, in dem es weder Rassen noch Hautfarben gibt, sondern einfach nur Menschen in all ihrer bunten und belebenden Vielfalt. Auch wenn der Track mit Zeilen wie "When the people have spoken / and the walls are all gone" klare Anspielungen auf Youngs erklärten Feind Donald Trump und dessen protektionistische Politik enthält, bezieht sich die Aussage in bester "Keep On Rockin' In The Free World"-Manier auf den ganzen Planeten, nicht nur auf die Mauern bauenden USA.
Getragen von einer brüchigen Stimme und teilweise fast andächtig flüsternd beschließt der Meister mit der leisen, rein akustisch gespielten Ballade "I Do" das Album: ohne Frage das intensivste und persönlichste Stück der Platte. Mehr noch, es ist eine altersweise, ganz und gar liebevolle Ehrerbietung an seine sämtlichen aktuellen Wegbegleiter.
50 Jahre nach dem Kollaborationsdebüt ergänzt Neil Young mit Crazy Horse sein üppiges Gesamtwerk mit seinen alten Mitstreitern um ein weiteres relevantes Album. "Colorado" setzt ein umweltaktivistisches Ausrufezeichen zugunsten einer besseren Welt und pendelt dabei zwischen kämpferisch-roh und gefühlvoll-langsam. Die optimistische Message hinter all dem: Wir sind am Arsch, doch es ist noch nicht zu spät, es gibt nach wie vor Hoffnung.
Kompositorisch bewegt sich Young in gewohnt etabliertem Terrain auf hohem Niveau und knüpft mit seinem besten und organischsten Album seit Jahren nahtlos an den Vorgänger "Psychedelic Pill" und dessen Intensität an. Ohne die Rückkehr zu seiner musikalischen Petrischale Crazy Horse wäre dieses Album so nicht möglich gewesen.
Eine parallel zu den Recording-Sessions gedrehte Dokumentation mit Namen "Mountaintop" soll Ende November in hiesigen Kinos anlaufen und einen ungeschönten Blick auf den Aufnahmeprozess gestatten. Bereits im September erschien "To Feel The Music: A Songwriter's Mission To Save High Quality Audio", Youngs gemeinsam mit Phil Baker verfasste Memoiren, in denen er seinen mit Passion geführten Kampf gegen kalte und verlustbehaftete digitale Musikfiles abhandelt.
1 Kommentar mit 4 Antworten
der gleiche Prediger, der damals "Let´s Roll" zur Bush-Öl-Kriegsmaschinerie geschrieben hat- würg.
ach komm, zum einen ist es doch normal und menschlich, manchmal unrecht zu haben und manchmal recht zu behalten. dort war es falsch, hier ist es richtig.
und außerdem hat young sich von seiner unterstützung des "patriot act" schon kurz darauf zurückgezogen, den irrtum eingesehen und das anti-bush/anti-irakkriegsalbum "living with war" gemacht.
aha, vielleicht ist es hier ja auch nicht richtig - damals war lets roll genauso in den Medien "richtig" wie heute Gretha und Co
achso, du meinst, weil du dich zunächst nicht zu einem eigenen klimawandelleugnerversteherkommentar durchringen konntest/wolltest, war es legitim, young einfach durch verkürzte polemik direkt zu duskreditieren und die friday-bewegung indirekt? fieser geht es ja kaum auf der ebene "rhethorischer giftschrank vs ehrliche diskussion".
"achso, du meinst..."
Alles klar.