laut.de-Kritik
Under The Influence Of Giants.
Review von Michael SchuhEs ist natürlich nicht so, dass Synthesizer im Sound-Universum von Nothing But Thieves bisher keine tragende Rolle gespielt hätten. Rückschlüsse auf die Urheber ließ der Vorabtrack "Welcome To The DCC" aber nur noch über Conor Masons Stimme zu. Die erkennt man dafür nach wenigen Sekunden. Mit allem anderen wird seit 2016 im Bandkontext munter experimentiert, was den Briten weder künstlerisch noch kommerziell geschadet hat.
Überhaupt: Wer im Jahr 2021 mitreißenden Nu-Metal abliefert ("Futureproof"), für den ist French House im Jahr 2023 natürlich nur eine Fingerübung. "Welcome To The DCC" zerrt Hörer*innen mit Justice-ähnlicher Energie hinein in den Club und dort auf den Dancefloor, was die Band auch genau so beabsichtigt hat.
Denn die titelgebende Dead Club City dient als Projektionsfläche, ihre wahre Bedeutung lassen die Briten offen, es geht um das Zusammenkommen verschiedener Individuen, das Abgleichen von Interessen, was durchaus auch politisch verstanden werden kann. Wichtig ist ihnen dabei, zumal so kurz nach Corona, die positive Message: "If you dream it / You can have it / If you believe it / It can happen".
"Overcome" knüpft am elektronischen Template an, nimmt aber deutlich Speed raus. Nur wer die 80er Jahre nicht selbst erlebt hat, kann vermutlich so ungezwungen und herzerwärmend nah an einem Pop-Klassiker des Kalibers "Boys Of Summer" operieren, ohne sich dabei ins eigene Fleisch zu schneiden. Mehr noch: Schon nach zwei Durchläufen erinnert man den "Boys Of Summer"-Refrain nur noch vage - dem Hymnen-Know-How des Quintetts sei Dank.
Man könnte nun sagen, so selbstsicher klingt eben eine Band, die inzwischen die Londoner O2 Arena voll macht und als Support von den Stones gebucht wird. Tatsächlich strahlten jedoch schon ihre vergangenen Alben diese unverschämt kühne Lässigkeit aus - es ist verrückt, dass man Nothing But Thieves manchen Leuten in Deutschland immer noch erklären muss.
Mit hibbeligen, an den Kanten abgeschliffenen Strokes-Vibes statten sie "Tomorrow Is Closed" aus, vielleicht auch, um besser darauf vorzubereiten, was danach kommt. "Keeping You Around" packt einen wie ein R'n'B-Klassiker an der Gurgel. Über schleifenden Trip Hop-Beats schildert Mason seine verzweifelten Versuche, die Angehimmelte für sich zu gewinnen, träumt von einem "quiet life in a quiet town" und setzt das jahrhundertealte Lied der Zurückweisung danach brillant in Szene: "Your lips want anyone else / Mine taste like everyone else / Oh, that's a tragedy."
"City Haunts" ist das Glanzstück ihrer Disco-Rock-Melange: Ansteckende Glam-Rock-Gitarre, funkelnde Elektronik, wuchtiges Drumming. Ein Song wie die trotzige kleine Schwester von "Supermassive Black Hole" - der Falsettauftakt von Mason nicht weniger als Prince-Niveau. Danach schillert "Do You Love Me Yet?" flamboyant mit Streichereinsatz unter der Discokugel im Studio 54 wie eine moderne Version von E.L.O., während Masons Falsett frappierend an die leider unbekannt gebliebene Ex-Band von Awolnation-Boss Aaron Bruno erinnert (Under The Influence Of Giants) - auch der abrupt einsetzende Beatles-Break im C-Teil.
Alte Alternative-Rock-Trademarks blitzen in "Members Only" auf, und selbst wenn sich Nothing But Thieves mal etwas zurücklehnen und einfach nur einen normal guten Popsong wie "Foreign Language" abliefern, ist das noch gehobener Standard. Den Ausschlag für die Höchstwertung liefert letztlich das dynamisch-aberwitzige "Pop The Balloon", halb um sich schlagender Industrial-Funk, halb beunruhigender Thriller-Score, dessen vermeintlich leises Fade-Out von Joe Langridge-Browns Harakiri-Gitarre skalpiert wird.
In dieser Form sind Nothing But Thieves mehr als nur potenzielle Stadionrock-Nachfolger von Muse. Die musikalische Neuerfindung gelingt den Briten hier noch überzeugender als zuletzt den Foals.
12 Kommentare mit 8 Antworten
Shit, ist das Album gut geworden. Die Vorab-Singles haben es angedeutet. Wie bei jeder bisherigen EP/LP haben sie mal wieder abgeliefert. Unfassbar facettenreich. Nothing But Thieves sind nicht nur die Stadionrock-Nachfolger, zwischen beiden Bands liegen (leider) mittlerweile Welten. Daher ist der Vergleich mit den bestenfalls durchschnittlichen Alben von Muse fast schon eine Beleidigung
Der Satz "Tatsächlich strahlten jedoch schon ihre vergangenen Alben diese unverschämt kühne Lässigkeit aus - es ist verrückt, dass man Nothing But Thieves manchen Leuten in Deutschland immer noch erklären muss." trifft es auf dem Punkt.
Auch wenn Sie aus welchen Gründen auch immer ein Geheimtipp in Deutschland bleiben, so freu ich mich schon auf das Konzert in Köln im nächsten Jahr.
Also wenn ich mir anschaue, in welch üppigen Venues die auf der kommenden Tour spielen, würde ich nicht mehr unbedingt von Geheimtipp sprechen
Ich sags seit dem ersten Album, seit ich Excuse me zum ersten Mal gehört habe, die Band hat einen besonderen Sound.
Und ich liebe die Entwicklung der Band, bei jedem Album gibt es interessante, neue Songs zu entdecken. Ich hoffe, dass sie nicht ähnlich untergehen wie Muse.
Klingt für mich, wie die Scissor Sisters Hand in Hand mit The Ark.
Keineswegs schlecht.
Keineswegs neu.
Nichts als Diebe. Der Name ist Programm.
Das ist doch impossible!
Das Ding ist übers Wochenende gewachsen. Am Anfang war es mir viel zu pompös und noch mehr zu 80er. Aber man hört die Könnerschaft selbst dann raus, wenn es nicht den eigenen Geschmack trifft und manche Experimente gehen sehr gut auf (Keeping you around). Macht schon Spaß, aber als nächstes will ich deren New Metal Album
Höchstwertung find ich massiv übertrieben. Das ist ziemlich häufig sehr durchschnittlich und wenig kreativ. Zumindest werden die spannenden Ideen ziemlich rasch von generischen Allerweltsmelodien a la Sunrise Avenue verdrängt. Kann mich der Rezi gar nicht anschließen. Wen's interessiert, hier eine kurze Review: https://youtu.be/svIvQq4MVQ0
Bin Fan, aber niemals ist das 5/5. Dafür sind's zu viele Filler.