laut.de-Kritik
Denn niemand kehrte je von dort zurück.
Review von Irina BrüningDas Verhältnis des Regisseurs Wong Kar-Wai zur Musik ist definitiv ein besonderes. Gleich drei seiner Filme sind nach Songs aus den 50er- und 60er-Jahren benannt, nämlich "As Tears Go By", "Happy Together" und "In The Mood For Love". In zwei weiteren Filmen wurde die weibliche Hauptrolle mit einer Sängerin besetzt - Faye Wong hatte vor "Chunking Express" nur kleinere Rollen gespielt, Norah Jones hatte vor "My Blueberry Nights" keinerlei Erfahrung als Schauspielerin.
Im Jahr 2004 kam mit "2046" der Abschluss der 1960er-Trilogie in die Kinos. Der 1958 in Shanghai geborene Regisseur lässt in "Days Of Being Wild", "In The Mood For Love" und schließlich im letzten Teil seine Adoptivheimat Hongkong erstehen, so wie er sie selbst als Kind erlebte. "2046" führt verschiedene Fäden zusammen und bildet den Höhepunkt, was auch für den Soundtrack gilt. Wong Kar-Wai greift hier auf Bewährtes zurück und hebt gleichzeitig neue Schätze.
Die eigens für den Film komponierten Stücke stammen von Shigeru Umebayashi und Peer Raben, beides keine Unbekannten. Der Japaner ist wohl vor allem für "Yumeji's Theme" berühmt, ursprünglich geschrieben für den Film "Yumeji" von Seijun Suzuki, bekannt geworden durch "In the Mood for Love", wo es erklingt, während die Hauptdarsteller in Zeitlupe aneinander vorbeigehen. Der 2007 verstorbene Raben, langjähriger musikalischer Weggefährte Fassbinders, war bei seiner Begegnung mit Wong Kar-Wai bereits zu schwach, um Neues zu schaffen, steuerte aber zwei Neubearbeitungen älterer Kompositionen bei. Neben Fassbinder ehrt der Regisseur aus Hongkong mit seiner Musikauswahl zwei weitere Legenden des europäischen Kinos: "Julien Et Barbara" von Georges Delerue stammt aus dem Film "Vivement Dimanche!" von François Truffaut, "Tu Ne Tueras Point" wurde von Zbigniew Preisner für den fünften Teil von Krzysztof Kieślowskis "Dekalog" komponiert.
Da Musik aus Lateinamerika im Hongkong der 60er-Jahre sehr populär war, erklingt sie auch in "2046" mehrfach. Besonders gewürdigt wird der "Rumba-König" Xavier Cugat mit der Instrumentalversion seines Songs "Perfidia" und seinem Arrangement von "Siboney" aus der Feder von Ernesto Lecuona, das im Film auch gesungen von Connie Francis zu hören ist. Nat King Cole, der auf dem Soundtrack zum Vorgängerfilm "In The Mood For Love" mit drei Liedern in spanischer Sprache vertreten ist, singt hier den "Christmas Song". Dieser wurde in der gleichen Version übrigens auch in "Catch Me If You Can" von Steven Spielberg verwendet, entstanden zwei Jahre vor "2046".
Weihnachten stellt im letzten Teil der Trilogie einen Fixpunkt innerhalb der vergehenden Zeit dar, dementsprechend wird das Lied von Nat King Cole mehr als einmal angespielt. Auch in der nicht von Grund auf christlich geprägten britischen Kolonie im Süden Chinas hat das Fest einen gewissen Stellenwert. Menschen gehen zusammen aus und möchten einen schönen Abend verbringen. Insgesamt haben viele der in "2046" verwendeten Musikstücke eine symbolische Funktion, sie charakterisieren eine bestimmte Figur.
Die männliche Hauptperson Chow Mo-Wan, Journalist und Verfasser fantastischer Literatur, ist von Frauenfiguren aus Gegenwart und Vergangenheit umgeben, die auch in sein Werk Eingang finden. Seine Angebetete Su Li-Zhen aus "In The Mood For Love" kann er nicht vergessen, durch eine Namensvetterin glaubt er sie ersetzen zu können. Dabei handelt es sich um eine professionelle Spielerin, die begleitet von Peer Rabens Neuarrangements auftritt, und ebenso geheimnisvoll wie der Charakter selbst bleibt. Die Tänzerin Lulu beschreibt Chow Mo-Wan bei ihrem Wiedersehen nach Jahren als "eifersüchtig wie eh und je". So passt denn auch kein anderes Stück so gut zu ihr wie die schon in "Days Of Being Wild" mit ihr verbundene Instrumentalversion von "Perfidia".
Lateinamerikanische Musik umgibt auch Chows Nachbarin Bai Ling, mit der er eine sexuelle Beziehung beginnt. Die Stimme von Connie Francis erklingt, während die sinnliche Schöne durch die Flure der schäbigen Pension stolziert. Tiefe Zuneigung fasst Chow ebenfalls zu Wang Jing-Wen, der älteren Tochter seines Vermieters. Ihr Vater ist strikt gegen ihre Liebe zu einem Japaner, Chow verarbeitet diese Geschichte in einem Science-Fiction-Roman und muss irgendwann feststellen, dass er selbst der Zugreisende ist, der sich in einen Androiden mit verzögerten Reaktionen verliebt hat. Um Familienstreitigkeiten zu übertönen, stellt der Vater seine Opernmusik besonders laut - in diesen Szenen ist die Arie "Casta Diva" aus Bellinis "Norma" zu hören, gesungen von Angela Gheorghiu. Diese war zur Entstehungszeit des Films ein aufstrebender Star. Den klanglichen Hintergrund zu den verzweifelten Umarmungen zwischen dem japanischen Reisenden und dem kühl wirkenden Androiden bildet das "Adagio" der norwegisch-irischen Formation Secret Garden (deren Debütalbum von 1995 u. a. in Hongkong sehr erfolgreich war).
Die Zahl 2046 steht für verschiedene Dinge. Ebenso wie bereits in "In The Mood For Love", handelt es sich um eine Zimmernummer. Bis zum Jahr 2046 soll sich für die Bevölkerung von Hongkong nach der Rückgabe der Kolonie an China nichts ändern. In Chows Roman ist 2046 ein Ort, an dem sich ebenfalls nichts ändert, an dem Menschen ihre verlorenen Erinnerungen wiederfinden können. Mehrfach wiederkehrende Melodien sollen Erinnerungen wecken. Musik und Bilder verschmelzen miteinander und ziehen uns in ihren Bann. Die Hauptfigur Chow macht zu Beginn der Geschichte in mondänen Lokalen die Nacht zum Tage, erlebt dann schmerzliche Sehnsucht und zieht am Ende resigniert und gereift ab. Für jede Stimmungslage hat der Regisseur die passenden Stücke ausgewählt. In musikalischer Hinsicht durchfährt der Zug nach 2046 verschiedene Epochen und Kulturräume, das Ergebnis ist ein harmonisches Gesamtbild.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Hab den Film vor Jahren mal gesehen.
Der tolle Soundtrack ist mir dabei bis heute in Erinnerung geblieben.
sickboy, allah. Wie geht's dir?
Gut. Danke. Wer da ?